Das Recht und das hinterste Anatolien

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Elmar Brok, einer der profiliertesten CDU-Abgeordneten im EU-Parlament hat einmal zum Verhältnis der EU zur Türkei gesagt: #Erst wenn der kleinste Richter im hintersten Anatolien verstanden hat, was Grundrechte sind, sollte die Türkei in die Union aufgenommen werden.# Hat nun die Türkei mit ihrem Verfassungsreferendum, das den Bürgern mehr Kontrollrechte gegenüber Staatsmacht und Armee gibt, einen Schritt in diese Richtung getan? Oder haben damit die Islamisten alle Instrumente, den Wächtern des Laizismus die Handschellen der Scharia anzulegen? Schon an diesen Fragen wird erkenntlich, dass sich die Türkei nicht einfach mit europäischen Maßstäben messen lässt. Warum? In Europa musste der Laizismus nicht verordnet werden, sondern hatte Jahrhunderte Zeit, sich zum Grundkonsens zu entwickeln. Die Türkei hatte diese Zeit nicht, vor allem nicht, was die Idee betrifft, dass Religion, Recht und Gesellschaft weitestgehend getrennt zu sehen. Die türkische Armee war immer der letzte Garant für diese Trennung. Sie hat diese Funktion mehrmals mit aller Brutalität und Menschenverachtung wahrgenommen. Von nun an aber sollen die Generäle schweigen.

Auch in der Türkei ist die Angst groß, deshalb die atatürksche Staatsordnung zu verlieren. Nicht umsonst haben alle #westlichen# (Fremdenverkehrs-)Regionen am Mittelmeer mit deutlicher Mehrheit gegen die Verfassungsänderung gestimmt. Und doch steht bei aller Sorge fest. Denn es gibt nur einen Weg zu einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft: Entweder es gibt Bürgerrechte # dann müssen sie auch für Islamisten gelten # oder es gibt sie für niemanden. Grundrechte zu erteilen ist insofern ein Risiko, das die Türkei annehmen muss # aber auch die EU. Auf dass auch der letzte Hinterbänkler im EU-Parlament verstehe, dass der kleinste Richter im hintersten Anatolien das Recht auf Grundrechte hat.

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