Das schleichende Gift

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Gott bewahre uns vor allem, was noch nicht antisemitisch ist. Anmerkungen zur österreichischen Variante der Antisemitismus-Debatte.

Die freie, aktuelle Abwandlung des Friedrich Torberg-Zitats "Gott bewahre uns vor allem, was noch ein Glück ist" in "Gott bewahre uns vor allem, was noch nicht antisemitisch ist" soll weniger die Lachmuskeln anregen, als die Alarmglocken schrillen lassen. Auch wenn die derzeitige, verkürzt als "Antisemitismus-Debatte" titulierte Auseinandersetzung in Deutschland nur einen kurzfristig aufflackernden Österreich-Ableger mit dem Schlagabtausch zwischen Karl Markus Gauß und Luc Bondy gebar - zum legeren Zurücklehnen oder frisch auf die Schenkel klopfen, lädt der Österreich-Befund zu diesem Themenkreis auch nicht ein.

Einerseits, weil bei uns gerade die Antisemitismus-Ferndiagnostiker leichtfüßig und großspurig unterwegs sind: Konrad Paul Liessmann weiß im Standard ebenso wie Hubert Patterer in der Kleinen Zeitung, wer in Deutschland nur geschmacklos oder marktgeil ist, und wer aller die "Antisemitismus-Killerkeule" so gar nicht verdient.

Antisemitismus hierzulande

Andererseits, weil wir in diesem grässlichen Metier eindeutig die älteren Brüder sind: Wir führen unsere Wortgefechte nie so direkt wie die Deutschen im Antisemitismus-Porzellanladen. Wir sind selten so patzig, so stur wie die da "draußen". Die österreichische Antisemitismus-Variante ist beherrscht von der perfekten Kunst der Anspielung, der Andeutung - sie schlurft und schleicht viel subtiler, verschlagener daher.

Somit wird die Schwelle zu dem, was in Antisemitismus münden oder ausarten kann, hierzulande schon viel früher überschritten. Denn vom historisch definierten Antisemitismus ist in unserem Land ja nur mehr eine winzige Minderheiten betroffen. Doch wenn wir das Kodewort "Antisemitismus" auf die alltägliche, schleichende, seelische und geistige Verschmutzung durch Hass, Neid, Verachtung, Missgunst und künstlichen Aufbau von Feinbildern ausdehnen - geht es uns alle an.

Es bedarf keiner konkreten Judenbeschimpfung mehr - wir sind schon längst infiziert.

Die Infektion beginnt dort, wo ein Land bei der täglichen Kronenzeitung-Lektüre - und die Auflage zeugt davon, dass es millionenfach österreichische Wähler aller Parteien sein müssen - bei Wolf Martins Reimen mitnickt oder sogar schmunzelt. Auch dort, wo man gelassen zuschaut, wenn die Grenze von lustig zu lächerlich, von witzig zu widerlich und von spaßig zu spöttisch mit selbstzerstörerisch anmutendem Masochismus verwischt wird.

Und auch schließlich dort, wo diese sprachliche Verrohung und Verdummung zuerst für den politischen Machtzugriff und in der Folge für den Machterhalt hinter dem blau-schwarz gemusterten Lätzchen hochgepäppelt wird.

Ja natürlich, es melden sich auch die roten Hatzls in Wien und die rotbraunen Genossen namens Arbeiter in Klagenfurt zu Wort, aber als elegante Florett-Wortfechter sind sie chancenlos. Die geschliffenere Klinge führen zumeist die Gebildeten. Doch rein menschlich gesehen, entschlüpft auch einmal einem hehren Bildungsbürger das saftige "die roten Gfrieser am Bildschirm" oder einem Kunststaatssekretär-Darsteller aus Anlass der EU-Maßnahmen die Feststellung "... jetzt haben manche gesagt, es wird unter dieser Regierung Konzentrationslager geben, und nix is g'schehn!"

Den jüngsten Beweis, dass er derzeit der unangefochtene Meister sowohl des Freund-Feind-Schemas als auch der Täter-Opfer-Umkehrungsdisziplin ist, hat Jörg Haider wieder einmal als einfaches Parteimitglied beim FPÖ-Parteitag angetreten. "Ich dulde Hass, ich dulde Verachtung", so Haider im O-Ton, und "es gibt keine Möglichkeit, sich mit unseren Gegnern zu arrangieren, denn die wollen uns auch in Zukunft mit allen Mitteln bekämpfen".

Die Botschaft, wer hier das eigentliche Opfer der weltweiten Verschwörung sei, kehrte im Stakkato der diversen Themenabsätze immer wieder. Bei hinlänglich bekannten und klar definierten Feinden war die Attacke gewohnt geradlinig: Die Anti-Regierungsdemonstranten im Februar 2000 waren "arbeitsscheues Gesindel"; für den Politiker und Menschen Alfred Gusenbauer werde man bald "Entsorgungsbeitrag" zahlen müssen; wer sich als Europäer hinter den USA verstecke, mache sich "mit Israel schuldig".

Neue Kunst der Anspielung

Doch man soll nicht ungerecht sein, auch der Ex-FP-Chef lernt dazu: Er vernachlässigt zusehends den Vulgär- und Primär-Antisemitismus, mit dem er noch bei der Wien-Wahl glaubte, einiges gewinnen zu können. Damals beschuldigte er in einem Presse-Gastkommentar den Präsidenten der Kultusgemeinde Ariel Muzicant, "Österreich den Krieg erklärt" zu haben - ein echter Klassiker, Marke Joseph Goebbels.

Jetzt frönt er, umsichtiger geworden, dem "sekundären Antisemitismus". Diesen wissenschaftlichen Begriff definiert Alexander Pollak, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt "Diskurs, Politik, Identität" der Akademie der Wissenschaften, in seinem Aufsatz "Konturen medialen Antisemitismus in Österreich" sehr treffend: "Nachdem offener, unabgeschwächter Antisemitismus nach 1945 nicht mehr möglich war, entwickelten sich einerseits Formen der Verleugnung und zum anderen auch eine neue Sprache des Antisemitismus. Der sekundäre Antisemitismus' basiert auf Andeutungs- und Anspielungsformen."

Der letzte FPÖ-Parteitag zeitigte mindestens zwei Beispiele für Pollaks These. Jörg Haider machte sich über die "gesinnungslose FDP" lustig, die nach "zwei Tagen in die Knie gegangen" sei. Vor wem musste er nicht mehr konkretisieren: Das große Johlen unter den Delegierten signalisierte: Die Botschaft war angekommen. Ähnlich gelagert bezog er sich auf die Angriffe gegen Martin Walser und stilisierte sich gleich mit hoch als Opfer der Medienkampagne: "Bei Walser haben sie den Falschen erwischt."

Wenige der erwähnten Haider-Zitate fanden sich in den Printmedien wieder. Der ORF übte sich überhaupt in Enthaltsamkeit, denn der macht "rotweißrote" Politik. Und die ausgegebene Parole schien klar - nicht nur an der Körpersprache der entsandten Redakteure abzulesen: "Haider nicht zuviel Aufmerksamkeit geben, die Susi nicht kaputt machen lassen, denn die brauchen wir ja noch ..." Viele in diesem Land sehen an dieser Einstellung nichts Ehrenrühriges oder Kritikwürdiges. Denn sie merken nicht, wo der seeelenhygienische und gesellschaftspolitische Flurschaden tatsächlich angerichtet wird: Über 700 Delegierte kehren in ihre Länder, Gemeinden, Familien, an die Stammtische zurück - und sie haben etwas mitgebracht: billige, Menschen herabwürdigende Häme.

Gefährliche Lustigkeiten

Mannigfach weiterverbreitet, wird sie niemanden motivieren in Zukunft die Ohren zu spitzen und Herzen zu öffnen, wenn jemand verletzt oder verhetzt wird. Denn wurde jemand taxfrei und mutig lächerlich gemacht, lacht man schon viel leichter über ihn. Da lacht man sich die Angst weg. Jene Angst vor der unsicheren Zukunft, vor persönlichen und beruflichen Problemen, vor den rasanter werdenden Veränderungen. Und auch vor diesen ewigen Ausländern um uns herum, die keine Ruhe geben. Jene Angst, die weder mit einem Hurra-Lustig-Sager noch mit realitätsverweigernder Schönrednerei zu nehmen ist.

Die traditionell konservativ-bürgerliche Partei in diesem Land glaubt trotz notgedrungener realpolitischer Körpernähe zur FPÖ gegen alle prinzipiellenGefahren immun zu sein. Leider ist dem nicht so: Der Versuch, die Abwehrkräfte zu stärken, hat unsagbar viel Substanz gekostet, hat taub, stumm und sogar stumpf gemacht gegen all das, was lange vor dem dumpfen Antisemitismus kommt. Der Preis ist einfach zu hoch.

Die Autorin

ist Korrespondentin für verschiedene

ausländische Medien in Wien.

Veranstaltunstipp:

AUS DEM HOLOCAUST LERNEN?

Hürden und Methoden der pädagogischen Vermittlung der Shoa.

Fortbildung für im pädagogischen Bereich Tätige.

Zeit: 28. bis 31. August 2002

Ort: Evangelisches Bildungshaus Deutschfeistritz/Stmk.

Informationen und Anmeldung:

Evangelische Akademie Wien,

1090 Wien, Schwarzspanierstr. 13, Tel. 01/4080695

www.evang.at/akademie

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