Das Volk begehrt nach Bildung

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Die Diskussion um die Zukunft des Bildungssystems nähert sich einem neuen Höhepunkt: Eine überparteiliche, unabhängige Initiative soll die Sozialpartner und Interessenvertreter mit den heimischen Bildungsexperten einen - und am Ende die Regierung zum Handeln zwingen.

"Sehr vage“ sei das erste Vernetzungstreffen gewesen, zu dem Hannes Androsch, der ehemalige SPÖ-Finanzminister und Vizekanzler unter Bruno Kreisky, am Montag geladen hat. Zumindest, wenn man Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, folgt. Als karenzierter AHS-Direktor - der promovierte Historiker war vor seinem Einzug in den Nationalrat 2008 lange Jahre als Lehrer für Deutsch und Geschichte am Bundesgymnasium Feldkirch tätig - liegt ihm vor allem die "gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen“ am Herzen.

Grundsätzlich Neues sei nicht besprochen worden, als sich die über 100 Expertinnen und Experten im Wiener Museumsquartier trafen. Umso mehr hätte sich Walser gewünscht, "dass man sich auf zentrale Forderungen wenigstens ansatzweise einigt, wie das auch viele Teilnehmer wollten“.

"Kniefall der IV vor Josef Pröll“

Dass diesem Wunsch nicht entsprochen werde, hatte Androsch allerdings schon zu Beginn in Aussicht gestellt; zu heterogen war die Masse der anwesenden Vertreter, die vom Kindergarten- bis zum Hochschul- und Erwachsenenbildungsbereich, von der Bildungsforschung bis zum Wirtschaftsverband, von der Arbeiterkammer bis zur Industriellenvereinigung (IV) abgestellt worden sind.

Letztere hatte sich letzten Freitag ins Gespräch gebracht, als IV-Präsident Veit Sorger meinte, das Bildungsvolksbegehren zu unterstützen, wenn sich die Gesamtschule nicht als Forderung darin finde. Diese Äußerung im Magazin Format unterstrich Gerhard Riemer, IV-Bereichsleiter für Bildung, Innovation und Forschung, am Montagabend.

Für Walser ist das "widersprüchlich“, da man in einem früheren Konzept der Industriellenvereinigung sehr wohl das Gesamtschulmodell gefunden habe. Er vermutet einen "Kniefall vor Vizekanzler Josef Pröll“ und dem ÖVP-Bildungskonzept, das auch am Freitag vorgestellt wurde. Abgesehen von der bereits davor bekannten Idee einer Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr - die sich nicht in dem Konzept findet, der aber auch keine eindeutige Absage widerfahren ist - kann Walser den jüngsten ÖVP-Plänen nur wenig abgewinnen.

Wenn sich nun Regierungspolitiker bis hinauf zu Bundeskanzler Werner Faymann eine Unterstützung des kommenden Volksbegehrens überlegen, ist Walser jedoch "fassungslos“, weil damit ja gerade die Regierungspolitik angegriffen werde. Bildung sei für Faymann und Co. eben "nur eine Manövriermasse und keine Herzenssache“.

Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) Wien hat sich bei Androsch "prinzipiell wiedergefunden“. Die KJA hatte zuvor selbst an den Start eines Volksbegehrens gedacht - so wie auch der Vorarlberger HTL-Lehrer Andreas Postner (vgl. FURCHE Nr. 1/2011) und der frühere Grünen-Parteisekretär Lothar Lockl, der heute als Berater tätig ist.

Derzeit sei "unerträglich“, wie Politik und Interessenvertreter mit dem Bildungssystem umgingen, so Pinterits. Bernd Schilcher, der Leiter der Expertenkommission zur Schulreform und ehemalige Präsident des Landesschulrates in der Steiermark, habe sie mit seinen Vorstellungen sehr beeindruckt. Der Universitätsprofessor, der im Vorfeld 51 Positionspapiere im Gesamtumfang von 331 Seiten zu einem Handout für alle Teilnehmer zusammenfasste, orientiere sich am finnischen Modell.

Der Wert der Bildung sei dort bekanntlich ein ganz anderer als bei uns. Pinterits wehrt sich gegen die frühe Selektion bei den Zehnjährigen, wenngleich sie nicht am "ideologisch belasteten Terminus Gesamtschule“ festhalte, sowie gegen die Definition von Schule als reiner Wissensvermittlung in Form des Frontalunterrichts.

Ihr geht es um Chancen für "über 20.000 Kinder und Jugendliche“, die "teils nicht einmal einen Hauptschulabschluss“ haben; dass weiterhin Schüler aus dem System fallen, dürfe es einfach nicht geben. Ein Volksbegehren, das sie mittragen könnte, müsse in diesem Sinn ein "Gesamtpaket“ von Reformen vom Kindergarten bis zur Hochschule umfassen. Auch ein gemeinsames Grundstudium für alle Pädagoginnen und Pädagogen - besser mit Master- als mit Bachelorabschluss - hält Pinterits für unumgänglich.

Kurt Koleznik, Generalsekretär der Fachhochschul-Konferenz (FHK) - einem vereinsbasierten Zusammenschluss aller FH-Erhalter -, beschloss seine Teilnahme in der Meinung, einen "interessanten Tag“ mit den zahlreichen anderen Bildungsprofis verbracht zu haben. Dennoch: Der Hochschulsektor sei deutlich zu wenig behandelt worden und überhaupt sei noch "schwer zu erkennen, in welche Richtung das Ganze geht“.

Mehr werde man wohl erst am 2. Februar wissen, wenn Androsch neuerlich zur Versammlung bittet. Einen ersten Textentwurf soll bis dahin ein "kleines Redaktionsteam“ verfassen. Als Experten sind unter anderem dabei: Rudolf Mosler, Vizerektor der Universität Salzburg, Nikolaus Glattauer, Lehrer und Schriftsteller ("Der engagierte Lehrer und seine Feinde“), Heinz Pechek von der Donau-Universität Krems und Heidi Schrodt, Direktorin des Wiener Bundesgymnasiums Rahlgasse.

Stärkung der Hochschulen

Laut Koleznik ist für die FH-Vertreter klar, "dass das differenzierte Hochschulsystem erhalten bleiben muss, bei gleichzeitigem Ausbau der wechselseitigen Durchgängigkeit zwischen Unis und FHs“. Die "mittlere Reife“, die sich die ÖVP als Abschluss für die AHS-Unterstufe sowie die Neue Mittelschule wünscht (die künftig alle Hauptschulen ersetzen soll), bewegt Koleznik zu einer alternativen Überlegung - die er allerdings als reine Privatmeinung deklariert.

So wäre es in Hinblick auf die steigende Autonomie der Hochschulen, die nicht zuletzt von der ÖVP verfolgt wird, für ihn vorstellbar, überhaupt auf eine Bescheinigung zu verzichten, die zum Wechsel in einen höheren Bildungssektor berechtigt. Keineswegs wolle er damit die Matura abwerten, die gemeinhin als Bestätigung der Hochschulreife gilt; aber schon bisher gebe es - gerade an den FHs - auch für Studierende ohne Reifeprüfung die Möglichkeit zum akademischen Studium. "Und das mit großem Erfolg“, wie der FHK-Generalsekretär eifrig betont.

Ob sich die Österreichische Volkspartei mit ihren Vorstellungen zur heimischen Bildungslandschaft durchsetzen wird, ist derzeit offen. Der Koalitionspartner SPÖ zeigte sich nur in Ansätzen davon überzeugt, wenngleich sowohl sozialdemokratische Stimmen als auch verschiedene Bildungsexperten attestierten, dass sich Vizekanzler Pröll und Wissenschaftsministerin Beatrix Karl "bewegt“ hätten.

Aus den eigenen Reihen kommt aber etwa mit Christoph Leitl ein mächtiger Querschläger. Der Wirtschaftskammerpräsident sagte am Mittwoch zum Standard, es werde "auf lange Sicht de facto“ einen einzigen Schultyp für die fünfte bis achte Schulstufe geben: "Gymnasium und Mittelschule werden zusammenwachsen.“

Bei all den hitzigen Diskussionen bleiben einige bildungspolitische Anliegen weitgehend unbeachtet und werden derweil im Hintergrund vorangetrieben: Bis 2012 soll z. B. eine neue Behörde für den tertiären Sektor kommen, die den Österreichischen Akkreditierungsrat (zuständig für Privatunis), den FH-Rat und die Österreichische Qualitätssicherungsagentur AQA - eine Einrichtung für den gesamten Hochschulbereich - ersetzt. Weiters steht, in Abstimmung mit dem gesamteuropäischen Bildungsraum, der "Nationale Qualifikationsrahmen“ auf dem Programm, der auf die Vergleichbarkeit schulischer, beruflicher und akademischer Aus- und Weiterbildung in nationaler und internationaler Hinsicht abzielt.

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