Das Wasser abgegraben

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Im westindischen Bundesstaat Goa hat der Bergbau die Umwelt zerstört. Wichtiger Abnehmer des Erzes ist China: Die Olympiade in Peking 2008 hat einen gewaltigen Bauboom ausgelöst.

Das Dorf Pissurlem lag ursprünglich zwei Kilometer weiter östlich, jenseits einer Kokosplantage. Vor 25 Jahren begannen Ziegel von den Dächern zu fallen und die Hauswände bekamen Sprünge: In der nahe gelegenen Eisenmine hatte man zu sprengen begonnen. Um die Kinder zu schützen, zogen die Leute fort. Das ganze Dorf wurde verlegt, keiner beklagte sich. Schließlich verdankten einige Dorfbewohner dem Bergwerk ihren Job. Und alle erwarteten, dass der Bergbau ihnen eines Tages Wohlstand bringen würde.

Krater wie auf dem Mars

Das hatte man ihnen versprochen, erinnert sich Barekalo Vishnu Parwar, der ein junger Mann war, als die Minengesellschaften im indischen Bundesstaat Goa auftauchten. Seine hagere, von der Tuberkulose gezeichnete Gestalt, nur mit einem weißen Lendenschurz bekleidet, der kahle Schädel mit der altmodischen Brille erwecken den Eindruck, als wären sie nach dem leibhaftigen Mahatma Gandhi modelliert. Vor 50 Jahren seien die Bergwerksleute gekommen und hätten Arbeit und Geld versprochen: "Das machte uns froh. Aber jetzt sehen wir, dass der Bergbau unsere Umwelt ruiniert." Der 76-Jährige flicht Matten und Körbe aus Bambusfasern für den Markt, denn der Acker gibt schon seit Jahren nichts mehr her: "Seit der Berg abgetragen ist, gibt es kein Wasser mehr."

Goa - der winzige Bundesstaat an der indischen Westküste (ein wenig kleiner als das Burgenland) - gleicht in weiten Teilen einer lebensfeindlichen Marslandschaft, von Kratern durchlöchert und von rotem Staub bedeckt. Im Tagbau werden Eisen und Mangan gefördert. Teilweise in Kleingruben mit primitiven Geräten, teils in riesigen Bergwerken mit internationaler Kapitalbeteiligung. 14 Millionen Tonnen Eisenerz exportiert der Ministaat jedes Jahr. Seine gesicherten Reserven von 400 Millionen Tonnen werden sich erst in zwei Jahrzehnten erschöpfen. Keine guten Aussichten für die Bauern, die in Nachbarschaft einer der Minen leben müssen.

Philip Neri, ein Laienbruder beim Salesianerorden, ist nicht als Mann der Kirche zu erkennen. In seinen abgetragenen Ledersandalen, dem beigefarbenen Polo-Hemd und der Baseballkappe auf der hohen Stirn unterscheidet er sich nicht von den Bauern, die mit dem Anbau von Reis und Gemüse gerade das Lebensnotwendige erwirtschaften. Für die Behörden und vor allem die Bergwerksbetreiber der Region ist er jedoch schon lange zum roten Tuch geworden. Er protestiert, macht Eingaben, fordert Umweltverträglichkeitsprüfungen und begleitet Bauern zu Gerichtsterminen. Bei den Salesianern sind schon mehrere Beschwerden eingegangen, der Bruder wiegle die Bauern auf. Auch manchem Ordensvater geht sein Engagement zu weit, doch bisher ist er vom Orden zumindest nicht zurückgepfiffen worden.

Versiegte Brunnen

In Pissurlem sind alle 300 Brunnen versiegt. Das Trinkwasser kommt im Tankwagen: Gratis - als Spende der Bergbaugesellschaften, die sehr wohl wissen, dass sie die Dürre verursacht haben. Philip Neri hat erkannt, dass die Bauern keine Alternative zur Landwirtschaft haben. So versucht er, die Dorfbewohner zu ermuntern, ihr Anliegen gemeinschaftlich zu vertreten.

Saptu Faterpenkar, ein Mann mit grauem gewelltem Haar und dichtem Schnauzbart, pflegte 60 bis 70 Tonnen Zuckerrohr zu ernten, die Bananen gediehen prächtig. Doch seit fünf Jahren werden die Erträge immer geringer. Nur das in einiger Entfernung gelegene Reisfeld trägt noch Frucht. Allerdings ist auch da immer weniger zu holen. Im Brunnen der Familie steht das trübe Wasser keinen halben Meter hoch. "Wenn die Grabungen in der Mine voll losgehen, trocknet der Brunnen aus", erzählt die 23-jährige Sunnita, die älteste Tochter der Familie.

Sanjay Kumar Singh, der Manager des Timblo Private Limited-Bergwerks, ist überzeugt, dass alles bestens geregelt ist: "Das Wasser sammelt sich in der Grube, die ist so tief, dass nichts überrinnen kann. Vielleicht sickert ein bisschen durch, aber es wird ja von uns gereinigt." Und dass rundum die Brunnen vertrocknen? Wenn es sein müsse, wolle er sich das ansehen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Quellwasser durch unsere Grabungen betroffen wird."

Das Erz aus der Timblo-Mine wird nach Fernost exportiert, vor allem nach China. Mit einem durchschnittlichen Eisengehalt von 62 Prozent ist es minderwertig. Wenn die Olympischen Spiele 2008 in Peking nicht einen gewaltigen Bauboom ausgelöst hätten, wäre es gar nicht exportfähig. So aber wurden stillgelegte Gruben reaktiviert, und in den anderen wurde das Fördertempo erhöht.

Politische Interessen

Bis zu 6.000 Lastwagen rattern an Arbeitstagen über die schmalen Landstraßen und hüllen die Landschaft in roten, metallhaltigen Staub. Aber kaum jemand protestiert; viele haben ihr Erwerbsleben an den Bedürfnissen des Bergbaus orientiert. Der Umweltjournalist Sarvanand Dessai kennt diesen Standpunkt: "Viele Dorfbewohner profitieren auf die eine oder andere Weise vom Bergbau. Sie haben Lastwagen gekauft und transportieren das Erz." Einige finden auch Arbeit in den Gruben.

Rajiv Narain, der 60-jährige Herausgeber der Wochenzeitung Goan Observer, hält die wirtschaftliche Bedeutung des Bergbaus für weit überschätzt: "Die Bergbaugesellschaften verbreiten das Märchen, dass die Schließung der Gruben zu massiver Arbeitslosigkeit, Auswanderung und Elend führen würde." Der Anteil des Bergbaus am Bruttoinlandsprodukt von Goa sei aber seit der Zeit der Befreiung von der portugiesischen Kolonialherrschaft von über 20 auf etwa sechs Prozent zurückgegangen. Aber viele Politiker haben selbst Interessen im Bergbau.

Schaden für Tourismus

Auf Naturschutzgebiete wird ebenso wenig Rücksicht genommen wie auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft. Das findet Narain widersinnig: Goas größter Devisenbringer ist der Tourismus. Statt selbst genug Nahrungsmittel für Gäste und die eigene Bevölkerung zu produzieren, muss Goa nun zukaufen. Und die Langzeitschäden, die der Bergbau bei der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung anrichtet, übertreffen die Gewinne um ein Vielfaches. Dennoch: Während sich Peking mit Hilfe des Eisenerzes aus Goa für die Olympiade 2008 herausputzt, verkommt der kleine Bundesstaat immer mehr zur lebensfeindlichen, unwirtlichen Gegend.

Der Autor ist freier Journalist.

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