DDR soll Afghanistan retten

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Disarmament (Entwaffnung), Demobilization, Reintegration: Ohne dieses Projekt wird Afghanistan weiterhin ein "gescheiterter Staat" bleiben. - Lokalaugenschein einer EU-Delegation im Land am Hindukusch.

Afghanistan, eineinhalb Jahre nach dem Bonner Prozess und etwas weniger als zwei Jahre nach dem Eingreifen der USA als unmittelbare Folge des 11. September ist ein Fallbeispiel für das, was Krisenexperten einen "gescheiterten Staat" nennen. Allen, denen es im Irak zu langsam geht, sei geraten, das mühsame Aufbauen einer staatlichen Struktur in diesem Kernland Zentralasiens zu analysieren. Ein Land, das dreizehnmal größer als Bosnien-Herzegowina ist, ein Vierteljahrhundert Krieg, davon zehn Jahre sowjetische Besatzung und drei Jahre Bürgerkrieg, schließlich die Willkürherrschaft der islamisch-fundamentalistischen Taliban hinter sich hat.

Das Europäische Parlament, das nicht zuletzt die jährlichen 200 Millionen Dollar für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe bewilligt - die EU ist einer der größten Geber - hat eine Delegation nach Afghanistan geschickt, der ich angehört habe. Die Union wollte ein Zeichen setzen, für die Konsolidierung des Landes, das immer im Fadenkreuz weltpolitischer Interessen gelegen ist und dessen Krisensymptome uns spätestens dann zu Bewusstsein kommen, wenn Österreich von Billig-Heroin überschwemmt wird: Denn Afghanistan ist nach dem Fall der Taliban wieder zum Opium- und Heroinproduzenten Nummer eins geworden. Im Rahmen der internationalen Hilfe beteiligt sich Österreich daher am Antidrogenprogramm der UNO, an Hilfsprogrammen für Frauen, deren Situation Lichtjahre von "Gender mainstreaming" entfernt ist, und an Entminungsprojekten.

Wie Drogenhandel stoppen?

Afghanistan kann so kurze Zeit nach der Eliminierung des Taliban-Regimes nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden: Die Taliban wurden zwar zerschlagen, aber sie konnten sich in der Zwischenzeit wieder rekrutieren und die Sicherheitssituation hat sich nach übereinstimmender Information der Sonderbeauftragten der UNO Lakhdar Brahimi und der EU Francesc Vendrell verschlechtert und nicht verbessert. Die angeschlagene El Kaida infiltriert den Süden des Landes, wo die Amerikaner ständig in kleine und große Gefechte verwickelt sind, im Norden geraten rivalisierende Kriegsherren aneinander und solange der Kreislauf zwischen Drogenproduktion und Kriegsherren nicht durchbrochen ist, wirken alle Bemühungen um die Stärkung der zentralen Autorität Präsident Hamid Karzais äußerst gefährdet.

Kriegsherren zahlen besser

Ein Abkommen zur Einführung zentraler Steuern ist endlich geschlossen worden. Aber der Großteil des Geldes bleibt nach wie vor in den Kassen der regionalen Kriegsherren und daher ist eines der wichtigsten Projekte noch nicht angelaufen. Es trägt den unsympathischen Namen DDR und meint eine sehr sympathische Sache: nämlich Disarmament, Demobilization und Reintegration - also Entwaffnung und Eingliederung der Privatarmeen in eine nationale Armee und Polizei. Dreimal wurde dieses Programm bereits verschoben, weil zu großes Misstrauen herrscht. Misstrauen zwischen der Minderheit der Tadschiken, die den Staatsapparat, den immer noch nach sowjetischem Muster funktionierenden Geheimdienst und das Verteidigungsministerium dominieren und der Mehrheit der Paschtunen. Alles Drängen der USA, Präsident Karzais und der Japaner, die die Hauptverantwortung für die DDR tragen, die Tadschiken der Nordallianz mögen die Macht teilen, sind fruchtlos geblieben.

Ohne Entwaffnung gibt es aber nicht genügend Kräfte für eine nationale Armee und Polizei, die die Sicherung der Wahlen und des Verfassungsprozesses gewährleisten sollten. Die internationalen Streitkräfte, sei es die unter US- Führung stehende Koalition von 15.000 Mann, seien es die unter UNO Mandat aus 22 Nationen gebildeten Internationalen Assistenzkräfte der ISAF von 5.000 Mann wollen die Verantwortung so schnell wie möglich an nationale Kräfte abgeben. Alle Entwaffnungsprozesse haben aber einen Schwachpunkt: sie sind freiwillig. Und wer gibt freiwillig seine Waffen her, wenn er in Privatarmeen ein besseres und vor allem sicheres Einkommen hat, als bei nationaler Armee und Polizei?

Auf dem Papier klingen die Pläne gut: 100 Studenten sollen rekrutiert werden, um die Soldaten zu registrieren, die für die nationale Armee abgeworben oder umgeschult werden sollen. Bis 2004 sollen die nationalen Streitkräfte 9.000 Mann umfassen, später 20.000, an 70.000 in der Endphase will niemand so recht glauben. Überhaupt sei der Aufbau einer nationalen Polizei wichtiger als der einer Armee, meint der UNO-Sonderemissär Brahimi. Dies hätten auch die USA eingesehen. Und die Deutschen, die für den Aufbau der Polizei zuständig seien, leisteten hervorragende Arbeit.

Despot von Afghanistan?

Das ist der Unterschied zum Irak: In Afghanistan teilen sich die USA die Verantwortung: Sie sind zuständig für den Aufbau der Armee, die Deutschen für den Aufbau der Polizei, die Italiener interessanterweise für das Rechtssystem, die Briten für die Drogenbekämpfung, die UNO für die Verfassungs- und Wahlprozesse. Der Verfassungsentwurf ist ein gut gehütetes Geheimnis, die Konsultation darüber findet in ausgesuchten Gruppen quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Aber, was heißt schon Öffentlichkeit in einem Land, wo es kaum Straßen, Telefone, kein Fernsehen und kein flächendeckendes Radio gibt, und der Großteil der Bevölkerung weder schreiben noch lesen kann? Die UNO ist auch zuständig für die Wahlen. Ob sie überhaupt zum vorgesehenen Termin stattfinden können, im Juni 2004, ist die große Frage? Es wäre seriöser, sie um ein halbes Jahr zu verschieben. Aber Präsident Karzai besteht darauf, sie wie geplant abzuhalten. Denn er will keinen Tag länger ohne demokratische Legitimierung regieren. Er möchte nicht als Despot von Afghanistan in die Geschichte eingehen, erklärt er uns. Einstweilen reicht seine Macht nicht über Kabul hinaus.

Die Autorin ist Leiterin der ÖVP-Delegation im EU-Parlament.

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