Dem Krieg die Zähne ziehen

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Die atomenergieorganisation hat 2005 den Friedensnobelpreis erhalten. Ob sie den Preis auch verdient, kann sie heute in der nordkorea-krise unter Beweis stellen.

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Die atomenergieorganisation hat 2005 den Friedensnobelpreis erhalten. Ob sie den Preis auch verdient, kann sie heute in der nordkorea-krise unter Beweis stellen.

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Die überdrehten Streithähne selbst sind wohl nur ein Nebenschauplatz. "Nordkorea hat eine weitere Rakete abgeschossen. Hat dieser Typ in seinem Leben nichts Besseres zu tun", ätzt Donald Trump via Twitter. Mitte März war er der Ansicht, Nordkorea kann sich nicht benehmen. Per Nachrichtendienst lässt Kim Jong-Un vernehmen - aber es mag schon manchmal auch rüder hergehen -, er könne Trump "nicht mehr ernst nehmen". Neben den Streithähnen sieht sich die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) inmitten einer Großbaustelle in den internationalen Beziehungen: der Streit um das nordkoreanische Atomprogramm. Nicht wenige diesbezüglich kaum pflegeleichte Schwergewichte säumen die Arena: China, Südkorea, Japan oder Russland. Die EU wirkt dabei fast wie ein Komparse.

Die Atomenergieorganisation und ihr Direktor Mohamed ElBaradei wurden 2005 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. 1957 wurde die Organisation gegründet und hat ihren Sitz in Wien Kaisermühlen. Sie kabelt ihre Berichte regelmäßig an die Generalversammlung und den Sicherheitsrat der UNO. Das entschied zumal über Krieg und Frieden. Nicht nur innerhalb des UN-Systems, sondern auch in der öffentlichen Auseinandersetzung war die Agency -so im englischen Akronym - immer wieder sichtbar. Sogar auf Transparente von Friedensdemos hatte es die IAEO im Jahr 2003 geschafft. Es galt, den drohenden Krieg der USA und ihrer Koalition gegen den Irak zu verhindern und die Kuh vom Eis zu bringen. Die Waffeninspekteure sollten ihre Arbeit tun, so die Forderung. Unabhängig und genau mit Blick auf die Vorgeschichte. Die angeblichen Beweise von George Bush jun. und Colin Powell führten zum Krieg und stellten sich nachher als "fake news" heraus. Recht hätte man mit dem Drängen auf Atominspektoren gehabt. Und der Irak hat bis heute keinen Frieden gesehen.

Blick nach Nahost

Der Blick über den Tellerrand auf die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens kennzeichnet die schwierige Phase der IAEO der Ära Bush jun. Die Entwicklungen im Iran und der nicht-offizielle Atomwaffenstaat Israel veranlassten ElBaradei zum Appell für eine atomwaffenfreie Zone in der Region. Die USA ließen den IAEO-Direktor abhören und sägten an seinem Sessel. Dieser entstieg dem Konflikt jedoch gestärkt und war ein gut funktionierendes Rädchen, aus dem Atomkonflikt zwischen Bush und dem Iran keinen heißen Krieg werden zu lassen. Seine Warnungen bezüglich eines Waffengangs gegen den Iran richteten sich nicht nur an die USA, sondern auch an Israel. Die jahrelangen Verhandlungen sollten im Juli 2015 zu einem Handschlag in Wien und zu einem Abkommen mit dem Iran führen.

Zähneknirschend musste auch Trump kürzlich feststellen, dass der Iran seinen Teil des "Deals" erfüllt. Zu seinem Wahlversprechen, das Abkommen aufzukündigen, redet und twittert der Präsident nicht gar so gern. Aber neue Sanktionen haben die USA kürzlich trotzdem verhängt.

Und am zivilen Kernmaterial setzt auch die Kritik an. Gemäß ihrer Satzung soll die IAEO "den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit beschleunigen und vergrößern". Folglich wirbt man mit dem Motto "Atoms for Peace and Development". Lehrbücher kennen unterschiedliche Möglichkeiten, Sicherheit - oder drüber hinaus vielleicht sogar Frieden - zu erreichen. Während die einen Macht und Waffen zu ihrer Sicherheit anhäufen, bemühen sich andere um Demokratisierung, Abrüstung und eine friedensfähige Wirtschaft. Ein Stichwort des Institutionalismus ist die Erwartungsstabilität.

Institutionen sind ein Kooperationskatalysator mit Blickrichtung eines Rechts- und Ordnungsfriedens, so die Theorie und immer wieder auch die Praxis. Die Atomenergieorganisation versucht genau jene Beiträge zur Vertrauensbildung zu leisten. Vertrauen, das zeigt ein bunter Strauß an aktuellen Konfliktformationen, ist kein Selbstläufer. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diese Lenin sinngemäß zugeschriebene Redewendung gilt auch für die IAEO.

Am 7. Juli wurde in New York der Verbotsvertrag für Atomwaffen beschlossen. 122 Staaten votierten dafür, Einsatz, Drohung, Entwicklung, Test, Erwerb, Besitz, Stationierung, Lagerung oder die Kontrolle von Atomwaffen zu verbieten. Der Schönheitsfehler: die "nuclear nine" - die Atomwaffenstaaten - sind nicht dabei.

Teil des Abrüstungsgebäudes

Die Atomenergieorganisation wacht auch über den Atomwaffensperrvertrag (NPT) aus dem Jahr 1970. Der Vertrag regelt die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, die Verpflichtung zur Abrüstung und das Recht auf "friedliche" Nutzung der Kernenergie. Und diese wird im Verbotsvertrag für Atomwaffen auch ausdrücklich festgehalten. Die Förderung von Atomkraft im gleichen Atemzug mit der Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen zu nennen, wirft nicht nur technische, sondern auch politische Fragen auf.

Die Atomenergieorganisation ist ein wichtiger Teil des fragil konstruierten Abrüstungsgebäudes. Der IAEO-Leiter Yukiya Amano hat mit dem nuklearen Verbotsvertrag eine neue und weitere Basis, um Vertrauen zu schaffen. Kaum geringer wird wohl auch die Herausforderung sein, den globalen Bewusstseinswandel bezüglich der "zivilen" Nutzung der Atomkraft auch in der Arbeit der IAEO künftig widerzuspiegeln. Vertrauensbildung im eigenen Haus. Wahrlich ein Projekt für einen Friedensnobelpreis.

Der Autor ist Friedensforscher und Privatdozent an der Uni Wien. Sein Buch "Märkte, Macht und Muskeln" erschien im Frühjahr.

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