Demokratie ohne Demokraten?

Werbung
Werbung
Werbung

Vor zehn Jahren führte der Sturz Suhartos zur Demokratisierung Indonesiens. Doch trotz demokratischer Errungenschaften sehnen sich viele zurück nach einer harten Hand.

Das Wetter ist genau so schlecht wie damals", sagt Julianto Hendro Cahyono. Graue Wolken schieben sich über Jakarta zusammen und es dauert nicht lange, bis die ersten Regentropfen auf den Campus- der Trisakti-Universität fallen. "Damals", das ist der 12. Mai 1998. Auf dem Parkplatz, wo jetzt unter hohen Bäumen die Autos der Studenten der Eliteuniversität stehen, hatten sich an diesem regnerischen Maitag Tausende von Studenten versammelt. Die Asienkrise hatte die Mittelschichtkinder politisiert. Nachdem der Wirtschaftsboom im Tigerstaat Indonesien ein jähes Ende gefunden hatte, waren sie urplötzlich von Abstiegsängsten bedroht. Wie seit Wochen forderten sie den Rücktritt von Diktator Suharto.

"Wir haben hier Geschichte erlebt und Geschichte geschrieben", sagt der 35-jährige Hendro, der damals den Vorsitz des Studentensenats innehatte und die Proteste organisiert hat. Runde Gedenktafeln erinnern an die vier Trisakti-Studenten, die am Nachmittag jenes 12. Mai von Sicherheitskräften erschossen wurden. "Wir waren keine Radikalen, wir wollten nur auf Missstände aufmerksam machen", sagt Hendro, "doch sie haben meine Kommilitonen abgeschossen wie Tiere."

Die Schüsse an der Trisakti-Uni traten eine Gewaltwelle los, die in den Folgetagen rund 1.200 Todesopfer forderte. "Gleich da drüben war es." Hendro zeigt auf die Hauptstraße vor der Universität, "da haben damals die ersten Autos gebrannt". Vor allem die als geschäftstüchtig bekannte chinesische Minderheit war das Opfer von Plünderungen, Vergewaltigungen und Totschlag. Ganze Straßenzüge standen in den Folgetagen in Flammen.

Am 21. Mai 1998 trat Suharto zurück, sein Nachfolger Habibie kündigte Wahlen an. Seitdem hat Indonesien drei weitere Präsidenten erlebt, der amtierende, Susilo Bambang Yudhoyono, wurde 2004 erstmals direkt vom Volk gewählt.

Musterbeispiel Demokratie

Die Geschichte der jungen Demokratie ist von Erfolg geprägt. Wahlen verlaufen frei und ohne Gewaltausbrüche. Der Konflikt mit den Separatisten in Aceh wurde nach dem Tsunami von 2004 friedlich beigelegt. Viermal wurde die Verfassung geändert, Indonesien bekennt sich zu international geltenden Menschenrechtsnormen. Die Medien sind frei wie in kaum einem anderen asiatischen Land.

Doch die neue Freiheit hat Schattenseiten. Radikale islamische Gruppen scharen zunehmend Anhänger um sich. Die unsichere Wirtschaftslage lässt die Menschen nach einem Halt suchen. Ideologen, die "das Ausland" und "die Ungläubigen" für die Misere verantwortlich machen, haben leichtes Spiel. Am drastischsten zeigte sich das im Herbst 2002, als in der Touristenhochburg Kuta auf Bali mehr als 200 Menschen durch die Bomben islamischer Terroristen starben.

Dennoch sei der Islam keine Gefahr für die Demokratie, sagt Franz Magnis Suseno. Der deutsche Jesuitenpater lebt seit 40 Jahren in Indonesien. Täglich braust der über 70-jährige Professor mit seiner Vespa durch den Moloch Jakarta, wo er an der Driyakarya-Universität Philosophie lehrt. Suseno, von den Indonesiern als moralische Instanz verehrt, stellt seiner Wahlheimat zwar grundsätzlich gute Noten aus. "Im Prinzip läuft der Laden und das Land macht auch wirtschaftliche Fortschritte." Doch zu viele Menschen haben das Gefühl, auf der Strecke zu bleiben. Und zu wenige verteidigen die demokratischen Errungenschaften. "Auf die Frage, wer kümmert sich um die Arbeiterrechte oder wer ist für die Bauern da, gibt es keine Antwort", sagt Suseno. Er sieht die Gefahr, dass die Demokratie ihre Legitimation verliert: "Die Desillusionierung wird kommen, wenn nichts geschieht."

Indonesien ist eigentlich ein reiches Land, es besitzt Erdöl- und Erdgas, Kohle sowie Gold- und Kupfer. Vulkanerde und tropisches Klima bieten Fruchtbarkeit für landwirtschaftliche Produktion. Trotz eines Wirtschaftswachstums von rund fünf Prozent lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag.

Vater des Aufbaus

Es verwundert daher nicht, dass viele Indonesier sich nach der vermeintlichen ökonomischen Sicherheit unter Suharto zurücksehnen. Für viele ist der kürzlich verstorbene Militärherrscher noch immer der "Vater des Aufbaus". In Giribangun in Zentraljava, wo Suharto Ende Jänner per Staatsbegräbnis zur ewigen Ruhe gebettet wurde, finden sich Tag für Tag Hunderte von Verehrern des Toten ein. Sie streuen Blumen, singen und beten.

Zuweilen hören sich auch demokratisch gewählte Führer des Landes an, als würden sie der Vergangenheit nachtrauern. Vizepräsident Jusuf Kalla, der einer der reichsten Familien des Landes entstammt, betont gern, dass Demokratie im westlichen Stil nur für Unruhe sorge - was Gift für die Wirtschaft sei. Ein solcher Diskurs erinnert fatal an die alte Rhetorik von der Effizienz der Entwicklungsdiktatur und von den "asiatischen Werten", die unvereinbar seien mit dem westlichen Demokratiemodell. Jahrzehntelang gehörte sie zum Standardrepertoire südostasiatischer autoritärer Herrscher.

Auch in den Straßen Jakartas hört man viele Lobgesänge auf die alte Zeit. Für Daeng Labuang ist die Sache klar: "Unter Suharto war alles besser", sagt der agile 68-Jährige, der seit über 30 Jahren als Parkwächter in Jakarta arbeitet. "Suharto war schlau, der verstand zu regieren. Den Bauern gab er Dünger und Vieh. Auch uns Städtern ging es gut, das Essen war reichlich, die Schule war billig." In den letzten Jahren habe er den Großteil seines Verdienstes für das Schulgeld seiner neun Kinder aufwenden müssen. Für ein Studium reicht das Geld jedoch bei keinem. Daeng verfällt ins Schimpfen: "Was ist denn das für eine Demokratie, in der alle nur reden und jeder nur an sich denkt! An der Korruption ändert sich dadurch nichts."

Die Korruption macht die Anstrengungen der Armutsbekämpfung zunichte, sie behindert Reformen im Justizsystem ebenso wie bei Polizei und Militär. Indonesien ist eines der korruptesten Länder der Welt, auf dem aktuellen Corruption-Perceptions-Index von Transparency International liegt es auf Platz 143 von 180 Ländern.

"Wir haben politisch viel erreicht", sagt Ex-Studentenführer Hendro im Rückblick auf die letzten zehn Jahre, "ökonomisch jedoch fast nichts." Die Lobeshymnen auf Indonesiens Wirtschaftswachstum dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch immer im Griff alter Eliten sei, so Hendro. In der Tat liest sich die Forbes-Liste der reichsten Indonesier wie ein "Who is who" alter Freunde Suhartos. Der Militärmachthaber selbst wurde nie für die grassierenden Menschenrechtsverletzungen während seiner Amtszeit vor Gericht gestellt. Und auch nicht dafür, dass er und seine Familie in den 32 Jahren Herrschaft Milliarden von Dollar anhäuften.

"Der größte Fehler war, Suharto nicht zu verurteilen. Damit schlug fehl, was wir am meisten wollten", sagt Usman Hamid. einer der führenden Menschenrechtler Indonesiens. Usman leitet die "Kommission für die Verschwundenen und die Opfer von Gewalt" (Kontras), die sich um Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Indonesien kümmert. Der 32-jährige Usman lobt die Offenheit, die seit zehn Jahren in Indonesien möglich ist. Doch gesichert werden kann sie nur, wenn vergangenes Unrecht aufgearbeitet wird, ist sich der Menschenrechtler bewusst.

Vergangenes aufarbeiten

Was auf dem Spiel steht, wenn man sich bei den Recherchen über vergangenes Unrecht zu weit an die Herrschenden heranwagt, weiß keiner so gut wie Usman. Sein Vorgänger bei Kontras, Munir Said Thalib, wurde 2004 mit Arsen vergiftet. Eine Beteiligung des Geheimdienstes am Giftmord gilt als sicher.

Die Aufklärung des Falls Munir gestaltet sich zäh, ebenso wie die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während des 1999 durchgeführten osttimoresischen Unabhängigkeitsreferendums, ganz zu schweigen vom Massaker an vermeintlichen Kommunisten in den Jahren von Suhartos Machtergreifung 1965/1966. "Im Moment treten wir auf der Stelle - aber es gibt nun mal kein Geheimrezept", sagt Menschenrechtler Hamid. Vergangenes Unrecht aufzuarbeiten brauche Zeit und Geduld. Gleichzeitig warnt er vor einem allzu konfrontativen Kurs gegenüber der Regierung: "Aufklärung und Versöhnung müssen parallel erfolgen."

Dass der Teppich des Schweigens über den Geschehnissen der Vergangenheit es jenen ermöglicht, die Rädchen wieder zurückzudrehen, glaubt Usman dennoch nicht. "In Asien gibt es zwar einen starken Trend zum Autoritarismus, aber wir sollten nicht sagen, wir haben nichts erreicht. Das soziale Kapital der letzten Jahre kann uns niemand mehr nehmen. Ein Zurück gibt es nicht mehr."

Die Autorin ist freie Journalistin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung