Demokratie und Liberalität

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Man könnte vermuten, dass Viktor Orbán, der Mann mit den autoritären Neigungen, nach seinen jüngsten Äußerungen, denen zufolge eine Demokratie nicht notwendig liberal zu sein hat, nicht weiß, was eine Demokratie überhaupt ist. Noch schlimmer ist die andere Vermutung: dass er es weiß. Denn er hat Recht. Joseph Schumpeter hat vor Jahrzehnten geschrieben: Demokratie sei zunächst einmal nur eine politische Methode der öffentlichen Entscheidungsfindung. Man könne auf "demokratischem" Wege auch die Verfolgung von Christen, das Verbrennen von Hexen und das Hinmorden von Juden praktizieren. Wir würden diese Praktiken nicht darum billigen, doch es ist "demokratisch", wenn es eine (allenfalls populistisch "aufgeregte") Mehrheit beschließt. Demokratie kann auch eine Diktatur der 51 Prozent bedeuten.

Deshalb gehört die Liberalität untrennbar zum europäischen Demokratieverständnis: In einer freien Gesellschaft wird vieles nach dem Willen der Mehrheit entschieden, vieles darf jedoch auch von der Mehrheit nicht entschieden werden. Liberalität bedeutet: Keine Mehrheit darf Rechte wie Glaubens-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit und andere Menschen- und Bürgerrechte antasten. Jede demokratische Ordnung gerät in Gefahr, wenn Rassisten, Islamisten oder Möchtegern-Diktatoren an die Macht gewählt werden. Lange Zeit war das Modell einer "liberalen Demokratie" für die Europäer selbstverständlich, und man hat darauf gebaut, dass Hässlichkeiten an der Peripherie in naher Zukunft ausgebügelt werden. Die Türkei hat sich statt des europäischen Weges für den Weg in die Diktatur entschieden, bei den griechischen Rabauken ist alles offen, aber Ungarn auf dem Weg in eine "illiberale Demokratie" ist eine besonders unerfreuliche Botschaft: Dieses Land haben wir bislang doch dem Kern Europas zugerechnet.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz

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