Demokratie-Vorgaukler Putin

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Hugo Chávez ist mehr Demokrat als Wladimir Putin. Der Präsident Venezuelas hat über eine Verfassungsänderung abstimmen lassen, damit er auf Lebenszeit Präsident bleiben und schalten und walten kann, wie er will. Also selbst für den übergeschnappten Chávez ist die Verfassung seines Landes noch irgendwie bindend.

Putin pfeift auf die russische Verfassung - weder bindend noch Richtschnur ist sie für ihn. Und Putin lässt die Russen nicht über eine Verfassungsänderung abstimmen, wenn er mehr Macht will, er nimmt sie sich einfach. Dabei müsste Putin, im Gegensatz zu Chávez, der mit einer Abstimmungsniederlage aus seinen Allmachtsträumen aufgeweckt wurde, kein Referendum fürchten. Auch wenn er die russische Mikro-Opposition nicht mundtot machte, Obdachlose mit einem Teller Suppe zur Wahl lockte oder die russischen Wähler laut eigener Ausage "bis aufs Klo" verfolgte - Putin gewänne selbst ohne diese Manipulationen jede Abstimmung.

"Putin ist der Nagel, an dem alles hängt", bestätigt die "Kremlinologin" Lilija Schewzowa (siehe Seite 6) die Allmacht des Präsidenten - die von der Mehrheit der Russen nicht nur akzeptiert, sondern als unerlässlich für das Funktionieren des Landes angesehen wird. Deswegen reagieren Russen mit Kopfschütteln auf Kritik und verweigern sich gereizt Beobachtern, die demokratische Mindesstandards fordern.

Demokratie westlichen Musters passe nicht zu Russland, glauben heute die meisten Russen. Demokratie russischen Musters braucht einen starken Führer. Dass das dann keine Demokratie ist, stört (noch) nicht. Denn im Unterschied zu Venezuela, wo Chávez die Uhren des Landes offiziell um eine halbe Stunde zurückgedreht hat, tun die Russen so, als lebten sie in der Gegenwart, obwohl sie ihrem Präsidenten erlauben, sie in eine überwunden geglaubte Vergangenheit zurückzuführen.

wolfgang.machreich@furche.at

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