Den ganzen Tag Schule

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Keine Rede mehr von "Zwangstagsschule“. Was früher unter diesem Titel bekämpft wurde, ist längst auch für bürgerlich Gesinnte unter dem Motto "Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ als Notwendigkeit erkannt worden. Nicht nur Proletarierinnen und Kampfemanzen sind berufstätig - auch in der Stammklientel konservativer, liberaler, rechter Parteien sind (so vorhanden) vielfach beide Elternteile erwerbstätig. Womit sich, wenn die Schule um 13 oder 14 Uhr aus ist, die Frage der nachmittäglichen Kinderbetreuung stellt.

Was bürgerlich Gesinnten freilich nach wie vor suspekt ist und immer sein wird, ist jede Form von oktroyierter Nivellierung - also etwa eine flächendeckende und alternativlose Einführung der Ganztagsschule. Dann wäre sie nämlich doch eine "Zwangstagsschule“. Aber davon redet (hoffentlich) ohnedies niemand. Die ÖVP sicher nicht - und die SPÖ im Moment auch nicht (mehr).

Was letztere betrifft, so fiel in den letzten Tagen insbesondere bei deren ressortmäßig zuständiger Ministerin in diversen Radio- und Zeitungsinterviews ein ungewohnt sanfter Ton auf. Claudia Schmied scheint Kreide geschluckt zu haben, um den Koalitionspartner bei Laune zu halten und das zarte Pflänzchen eines möglichen Einschwenkens nicht zu ersticken. Sätze wie "Ich halte hier nichts von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung, aber es soll ein Angebot geben“ aus dem Mund einer Spitzenvertreterin der Sozialdemokratie sind schon bemerkenswert.

Bleibende Differenzen

Ein Stück Entideologisierung scheint also beim ursprünglich ideologisch so aufgeladenen Thema Ganztagsschule gelungen zu sein. Wobei natürlich die weltanschaulichen Differenzen nicht verschwunden sind: da das Bemühen, Erziehung möglichst zu einer öffentlichen, staatlichen Aufgabe zu machen und der Familie - Hort des "Privaten“(!) - zu entziehen; dort die tiefsitzende Überzeugung, dass Kinder noch immer am besten bei ihren Eltern aufgehoben sind und die Familie demnach - Hort des "Privaten“(!) - der primäre Ort der Erziehung sein sollte. Doch, wie gesagt, die Lebensrealität, die gesellschaftlichen Entwicklungen haben die einst scharfe Grenze aufgeweicht - und das ist nichts Schlechtes.

Außerschulische Bildung

Wenn man sich nun im Grundsatz auf die Ausweitung des Ganztagsschulangebots bei Fortbestand anderer Formen verständigt hat, dann geht es um praktische Fragen. Und deren gibt es jede Menge. Die wichtigste ist, wie sich das individuell unterschiedliche Nachmittagsprogramm der Kinder und Jugendlichen in die Ganztagsschule integrieren lässt. Was passiert also mit den Musik-, Tanz-, Ministranten/Jungschar/Pfadfinderstunden, mit den diversen sportlichen Betätigungen? Auch dem an sich sehr beredten und grundvernünftigen deutschen Bildungsexperten Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung fiel im Presse-Interview dazu nur ein: "Wir haben eine ausgeprägte Kultur des ehrenamtlichen Engagements und der außerschulischen Bildung. Eine solche Kultur muss erhalten und in die Schule geholt werden.“ Genau - aber wie das gehen soll, scheint noch nicht ganz geklärt. Dazu kommt die mangelnde bauliche Eignung der meisten Schulen als Lebens-, Lern- und Bewegungsräume, von denen viele träumen.

Und noch ein Punkt darf nicht übersehen werden: Die Ganztagsschule wird nicht allen gerecht werden können. Am besten ist sie wohl für die breite Mitte, für die "Normalen“, Unauffälligen geeignet. Für die Stärksten und auch die Schwächsten, die "aus der Reihe Tanzenden“, möglicherweise weniger. Das hat nicht nur mit Fragen der Leistung zu tun, sondern auch mit sozialem Verhalten. Nicht alle Kinder fühlen sich wohl in der Klasse …

Deswegen ist es gut, wenn es mehr (und verschiedene) Ganztagsangebote gibt - aber auch überkommene andere Formen.

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