Den Geschichten zuhören

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"Flucht ist kein Verbrechen“ war dieser Tage auch das Motto von "Gebeten der Solidarität“ für Menschen auf der Flucht. Dieser Satz wird jedoch erst dann politisch greifbar, wenn Flüchtlinge ihre Geschichten auch erzählen können.

M an scheut sich, dieser Tage zum Thema Flüchtlinge in die Internet-Foren zu schauen. "Ein Ultimatum, binnen 24 Stunden das großzügige Angebot der Caritas anzunehmen oder im Flieger in die Heimatländer zu sitzen, wäre das einzig Richtige.“ Dieser Satz zu den Vorgängen in der Wiener Votivkirche, zitiert aus einem Leserbrief im größten Kleinformat, klingt da vergleichsweise zivilisiert. Aber er gibt zweifelsohne Volkes Stimme wieder, wie sie landauf, landab zu hören ist.

Dass die Kronen Zeitung auf eine Umfrage ihres Online-Ablegers verweist, nach der 93 Prozent der Österreicher das Verständnis für die Forderungen der Asylwerber in der Votivkirche fehlt, mag unabhängig davon, dass solche Zahl niemals die Meinung "der Österreicher“ wiedergibt, etwas über die Stimmung im Land aussagen. Man kann auch den Ärger Kardinal Schönborns nachvollziehen, der sich persönlich um eine konkrete Lösung für die Flüchtlinge in der Votivkirche müht und dabei Rückschläge hinnehmen muss.

Kein konstruktiver Dialog

Ob es aber hilft, den zurzeit ausgesetzten Hungerstreik in der Votivkirche ins Eck der Verschwörungstheorie einer "abgekarteten linkslinken Aktion“ (© M. Jeannée), wie es der Boulevard insinuiert, zu stellen, darf bezweifelt werden. Dass Schönborn zuletzt präzisierte, keinesfalls die Flüchtlinge im Stich lassen zu wollen, war richtig und wichtig.

Ein Blick hinter die tagesaktuellen Vorgänge zeigt schnell, wie viel hier wieder einmal über einen Kamm geschoren und simplifiziert wird, und wie wenig die politischen Player im Land imstande sind, die Auseinandersetzungen, die die Menschen bewegen, in einen konstruktiven Dialog und eine rationale Politik münden zu lassen.

Eigentlich, so kann man es auf den Punkt bringen, lässt die Politik die Kirche im Stich. Es ist einfach nicht so simpel, dass Österreich eine "vorbildliche Asylgesetzgebung“ vorzuweisen hat. Zumindest zeigt sich wiederholt der offensichtliche Widerspruch zwischen abstrakter Gesetzgebung und Normierung und konkreten Schicksalen. Die Geschichten, die Flüchtlinge über ihr Überleben - ja auch! - in Österreich erzählen, sind oft erschütternd. Neben wirklich gelungenen Beispielen (die sollen keineswegs verschwiegen werden) stehen zahlreiche Berichte, in denen Flüchtlinge glaubhaft von schrecklichem Schicksal erzählen und ihrer unbändigen Angst in selbiges zurückzufallen, wenn ihnen hierzulande der Staat oder die Gesellschaft nicht glaubt.

Man muss natürlich nüchtern sehen: Jedes kodifizierte Recht kann in Widerspruch zur konkreten Situation von Menschen geraten. Das ist ein immanentes Problem. Aber dies verlangt umso mehr, sich möglichst intensiv mit persönlichen Schicksalen auseinanderzusetzen, um eine menschenfreundlichere Gesetzgebung zu erreichen.

Die Tagespolitik (etwa: die Situation in der Votivkirche zu lösen) ist das eine. Aber das dahinterstehende Problem sitzt tief und verlangt den Einsatz aller gesprächsbereiten Teile der Gesellschaft.

Räume und Orte für Geschichten schaffen

Es geht darum, in einen Dialog über die Ängste zu kommen - nicht nur die der Flüchtlinge sondern auch diejenigen von "Volkes Stimme“. Denn die Argumente von letzterer sind ja auch von Ängsten bestimmt.

20 Jahre nach dem Lichtermeer fehlt dieser Dialog immer noch; das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Und da liegt auch die dringliche Herkulesaufgabe für die Christen im Land.

Dass diese sich zuletzt, von der Katholischen Aktion und der Caritas initiiert, zu Gebeten der Solidarität zusammengefunden haben, mag ein Zeichen dafür sein. Dort haben im Übrigen auch Flüchtlinge aus ihren Leben berichtet.

Patentrezepte kennt zurzeit niemand. Aber es ist unabdingbar, Räume und Orte zu schaffen, in denen die Menschen, die hierzulande Schutz suchen, ihre Geschichten erzählen können. Und wo ihnen "Volkes Stimme“ auch zuhört. Ein schwieriges Unterfangen, manche werden sagen: ein unmögliches. Doch was wäre die Alternative?

* otto.friedrich@furche.at

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