Den Krieg gewonnen,

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50 Jahre nach Dien Bien Phu und fast 30 Jahre nach dem Ende des "Amerikanischen Krieges" ist Vietnam weiterhin alles andere als ein freies Land. Auch die Religionen sind nach wie vor Repressionen ausgesetzt.

Ich komme jeden Tag zur Messe. Ich arbeite nicht weit von hier, da geht sich das gut aus", erzählt eine junge Frau in der zentralvietnamesischen Stadt Danang. So wie sie sind an diesem Donnerstag an die 150 Christen in die Kathedrale gekommen. Wie in vielen großen Kirchen in Vietnam finden die Gottesdienste auch hier täglich um fünf Uhr früh und um fünf Uhr nachmittag statt. Und alle sind gut besucht. Besonders rege ist der Zustrom zu Weihnachten, zu Ostern und an den Marienfeiertagen, an denen farbenprächtige Prozessionen statt finden. "Ein flüchtiger Beobachter könnte all dies als Zeichen für die Freiheit der Katholischen Kirche in Vietnam werten. Doch der Schein trügt", betont Pater Chan Tin. "Wer mit der Situation wirklich vertraut ist, macht sich ernsthafte Sorgen um die Seele der Kirche."

Die Kritik des Redemptoristen Chan Tin richtet sich gegen das KP-Regime ebenso wie gegen Kirchenobere. Die Regierung verletzt systematisch die Menschenrechte, darunter auch die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit. Viele Kleriker aber bewahren aus Angst ein verhängnisvolles Schweigen. "Anstatt auf Angriffe gegen sich selbst und auf Ungerechtigkeit an den Menschen zu reagieren, ignoriert die Kirche einfach die Untaten des Regimes. Statt das Salz für eine bessere Gesellschaft zu sein, hat die Kirche sich verloren und ist nutzlos geworden", sagt Chan Tin.

84 Jahre ist der in Ho Chi Minh-Stadt, dem früheren Saigon, lebende Pater heute. Einen Maulkorb hat er sich noch nie verpassen lassen und wird es auch künftig nicht tun. Zu verlieren, sagt er, hat er nichts und Angst? "Ich? Angst? Wieso? Ich bin meiner Verantwortung nachgekommen. Als katholischer Priester habe ich die Aufgabe zu protestieren gegen jede Verletzung der Menschenrechte und gegen die Einschränkung des religiösen Lebens."

Chan Tin - der Widerständige

Freiheit, Friede und Demokratie sind seit Jahrzehnten die großen Anliegen von Chan Tin. 33 Jahre war er alt und gerade erst mit einem Doktorat in Theologie aus Rom zurück, als die von Kommunisten dominierten Viet Minh-Truppen am 7. Mai 1954 die französischen Kolonialisten endgültig besiegten. Der 50. Jahrestages des Siegs bei Dien Bien Phu im Nordwesten des Landes, nahe der Grenze zu Laos, wird dieser Tage in Vietnam groß gefeiert. Historikern zufolge galt er anderen Kolonien als Beweis für die Unbesiegbarkeit eines Volkes, das für seine Unabhängigkeit kämpft.

Der Sieg über die Franzosen brachte dem Land aber weder Frieden noch Einheit. Bei der Genfer Konferenz wurde Vietnam entlang des 17. Breitengrades geteilt. Im Norden herrschte die Kommunistische Partei, im Süden ein dem Kapitalismus verpflichtetes Regime, das sich bald weigerte, die vereinbarten gesamtvietnamesischen Wahlen abzuhalten. Als sich der Konflikt verschärfte, landeten 1965 US-Kampfeinheiten im Süden. Der im Westen als Vietnamkrieg, in Vietnam als Amerikanischer Krieg bezeichnete Konflikt sollte erst 10 Jahre später mit dem Fall von Saigon am 30. April 1975 enden.

Chan Tin lebte bei der Teilung 1954 im Süden, in den damals Hunderttausende Katholiken vor der KP im Norden flüchteten. Weltanschaulich aber stand er zwischen den Fronten, lehnte er doch die antikommunistische Hetze des katholischen Diktators Ngo Dinh Diem und seines Bruders, des Kardinals Ngo Dinh Thuc, strikt ab. Er wollte die katholische Kirche von ihrem Image als Kolonialkirche befreien und zugleich verhindern, dass sie zum Handlanger der US-amerikanischen Containment-Politik werde. Mit gleich gesinnten Christen und Buddhisten setzte sich Chan Tin im Süden für Versöhnung und die Freilassung politischer Häftlinge ein. Als Saigon 1975 fiel und das Land unter der KP wieder vereint wurde, wollte Chan Tin zunächst an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz glauben. Bald aber wurde er zur wichtigen Stimme gegen die Diktatur der KP.

Chan Tin bestreitet nicht die ökonomischen Entwicklungen in Vietnam in jüngster Zeit. Eine schwere Wirtschaftskrise mit 775-prozentiger Inflation veranlasste das Regime, ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung vom sozialistisch-planwirtschaftlichen Modell ab- und zur Marktwirtschaft überzugehen. Unter der 1986 als Doi Moi (Erneuerung) lancierten Politik wurden die Kooperativen, gegen die es zumal im Süden massiven Widerstand gab, aufgelöst, Land an individuelle Bauern verpachtet und die Preise liberalisiert. Lebten Mitte der 80er Jahre noch mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Armut, so waren es laut einem UNO-Bericht Ende 2003 29 Prozent. Bei einer Gesamtbevölkerung von 80 Millionen Menschen sind das freilich noch immer 24 Millionen.

Gewachsen ist aber nicht nur der Wohlstand, sondern auch die Kluft zwischen Arm und Reich, betont Chan Tin und thematisiert dabei sofort den politischen Hintergrund so mancher reicher Vietnamesen. "Die einen haben sich angeeignet, was dem alten Regime gehörte oder den Boat People. Kader haben Häuser in der Stadt und vermieten sie um tausende Dollar pro Jahr. Die Armen leben von der Hand in den Mund."

Die KP diktiert und unterdrückt weiterhin, klagt Chan Tin. Alle Vietnamesen sollten die politische, ökonomische, kulturelle und geistige Entwicklung des Landes mitgestalten können, fordert der Pater. Nie wird er von seiner Forderung nach Demokratie abgehen, koste es, was es wolle. Als er das Regime angesichts des Umbruchs in Osteuropa 1989/ 90 zur "Reue" für seine Irrtümer aufrief, wurde er wegen antisozialistischer Propaganda verhaftet und in einem Dorf im Mekong-Delta für drei Jahre unter Hausarrest gestellt. Einige Jahre später versuchte man, ihn durch einen Mopedunfall "aus dem Weg zu räumen. Aber ich bin noch immer da", sagt Chan Tin.

Verhaftungen auch 2003

Die Menschenrechtslage in Vietnam hat sich nach Angaben der in New York ansässigen "Human Rights Watch" weiter verschlechtert. Das Regime hat 2003 Dutzende Buddhisten, politische Dissidenten, und Cyber-Dissidenten sowie Christen ethnischer Minderheiten verhaftet. Religionsgemeinschaften - knapp 10 Prozent der Vietnamesen sind Katholiken - werden so wie unabhängige Organisationen weiter als potenzielle Gefahr für die Staatsmacht gesehen. Die große politische Rolle, die buddhistische Aktivisten einst in Südvietnam spielten, hat die KP nicht vergessen. Prominente Mönche aus der damaligen Zeit leben bis heute im Exil und dürfen nicht nach Vietnam zurück. Zugleich versucht die KP seit Jahren, die Gläubigen mit der von ihr errichteten "Vereinigung der Buddhisten in Vietnam" und der "Katholisch-Patriotischen Vereinigung" unter Kuratel zu stellen.

"Das Regime mischt sich in die Angelegenheiten der Kirche ein. Sie kontrollieren alles, die Ausbildung, Weihe und Bestellung von Priestern," erzählt Chan Tin und verweist auf die subtile Unterdrückung durch einzelne Gesetze, die jedes für sich nicht so schlimm erscheinen. So dürfen Gläubige ihre religiösen Feiern nur in Orten wie Kirchen, Pagoden oder Tempeln abhalten. Und laut Gesetz muss jeder religiöse Bau von der Regierung genehmigt werden. "Das Regime braucht also nur Baulizenzen verweigern. Mangels Kirchen und Tempeln müssen sich die Gläubigen anderswo treffen, zumeist in Privathäusern. Dort Messen zu feiern, ist aber illegal. Oft hat das Regime wegen solcher Verstöße Gläubige verhaftet." Vor allem die Christen unter den Minderheiten im Hochland werden derart verfolgt.

Verhaftungen stehen laut Chan Tin heute nicht mehr im Vordergrund, auch wenn es immer wieder dazu kommt. Die Verfolgung besteht nun darin, "dass man sich eine Kirche im Dienste des Staates schaffen will." Für leitende Ämter wählt das Regime diejenigen aus, "die sich seinen Forderungen beugen. Diese vom Regime eingesetzten Würdenträger haben die Kirche im Stillen sehr effizient sabotiert."

Chan Tin lässt sich im Glauben an Gerechtigkeit dennoch nicht beirren: "Sehr viele denken wie ich, selbst Kommunisten!" Noch mag die Angst die meisten Menschen daran hindern, sich offen für Freiheit und Menschenrechte einzusetzen. Aber "die Evolution wird zu einer anderen Regierung führen, zu einem demokratischen Leben."

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