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Der Eidgenosse und das Atom

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„Der Wirklichkeitssinn des Schweizer Volkes hat gesiegt“ — „Atomwaffenverbot von Volk und Ständen abgelehnt“ — „Pour la libette de defendre la liberte“ — „Der Anschlag auf unsere Landesverteidigung abgewiesen“ — „Wir binden uns die Hände nicht“ So und ähnlich lauteten am 2. April die Schlagzeilen der Schweizer Zeitungen. Sie galten dem Ergebnis der Abstimmung vom ersten Aprilsonntag

über ein Ätomwaffenverbot, desser Aufnahme in die Bundesverfassung durch eine Volksinitiative verlangt worden war. Als man am Sonntagnachmittag die Urnen öffnete, wurder ihnen 537.000 Neinstimmen und 286.000 Jazettel entnommen. Die Aus-nen. Bei verfassungsändernden Volksentscheiden ist nämlich nicht nur eine

Zählung ergab überdies 18 ablehnende und vier befürwortende Standesstimmen.

Standesstimmen? Der mit den Eigenarten der helvetischen Abstimmungsdemokratie nicht Vertraute wird fragen, was es damit für eine Bewandtnis habe. Die Standesstimme bildet, zusammen mit dem Ständerat, die wichtigste föderalistische Bremse gegen die Majorisierung der Kantone und Regio-

Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Bürger notwendig, damit die Neuerung in Rechtskraft erwachsen kann, sondern diese muß überdies in der Mehrzahl der Stände (Kantone) angenommen werden. Jede Verfassungsänderung unterliegt obligatorisch dem Referendum: Sie m u ß von Volk und Ständen gutgeheißen werden, gleichviel, ob sie durch Parlamentsbeschluß oder durch eine von mindestens 50.000 Stimmbürgern unterschriftlich unterstützte Volksinitiative vorgeschlagen wird.

Der Souverän ist im allgemeinen wenig geneigt, solche Volksinitiativen zu sanktionieren. Auch das von der „Schweizerischen Bewegung gegen die atomare Aufrüstung“ lancierte Volksbegehren für ein in der Verfassung zu verankerndes Atomwaffenverbot hat nun dieses Schicksal geteilt. Die Initiative ist seinerzeit aus der auch in der Schweiz verbreiteten Atomangst heraus entstanden. Im Hintergrund wirkten Drahtzieher der ferngesteuerten weltweiten Atomtodkampagne, deren Bundesgenossenschaft allerdings der Sache mehr geschadet als genützt hat. Trotzdem stellten sich in diesem Sonderfall nebst prominenten Sozialdemokraten namentlich zahlreiche reformierte Pfarrer, aber auch angesehene Wissenschaftler hinter das Postulat, das von allen Parteien, mit Ausnahme der kommunistischen, zur Ablehnung empfohlen wurde. Die Initiative verlangte die Aufnahme folgender Bestimmung in die schweizerische Bundesverfassung: „Herstellung, Einfuhr, Durchfuhr, Lagerung und Anwendung von Atomwaffen wie ihrer integrierenden Bestandteile sind im Gebiet der Eigenossenschaft verboten.“

Wer diesen Text ohne Kenntnis der Umstände liest, wird annehmen, die schweizerischen Behörden schicken sich an, die Ausrüstung der Armee mit Atomwaffen in die Wege zu leiten, und die Initiative habe dieses Vorhaben verhindern wollen. Das trifft indes nicht zu. Die Frage der Atombewaffnung ist in der Schweiz momentan — und auf absehbare Zeit hinaus — gar nicht aktuell. Selbst wenn die Schweiz heute oder morgen Atomwaffen zur Verstärkung ihrer Verteidigung anschaffen wollte, könnte sie sie gar nicht erhalten. (Eine Eigenproduktion steht sowieso außer Diskussion.) Dagegen machen Bundesrat und Armee kein Hehl daraus, daß sich in ferner Zukunft die Situation ändern könnte. Niemand kann heute die künftige Entwicklung voraussagen, und es ist daher nicht möglich, sich heute nach der einen oder anderen Seite festzulegen.

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