Der entfesselte Populismus

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Das politische Gedächtnis des Wählers funktioniert derzeit offenbar vornehmlich im Kurzzeitmodus. Anmerkungen zum unsäglichen öffentlichen Diskurs dieser Tage.

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Das politische Gedächtnis des Wählers funktioniert derzeit offenbar vornehmlich im Kurzzeitmodus. Anmerkungen zum unsäglichen öffentlichen Diskurs dieser Tage.

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Europaweit ist das Gespenst des Populismus mit Händen zu greifen. Auch in Österreich scheint seit den letzten Landtagswahlen Feuer am Dach: Der Strache-Partei bescheinigen die Umfragen mittlerweile, die Nummer eins im Land zu sein. Es scheint ein politisches Naturgesetz, dass die Regierenden vom Wähler abgestraft und die Populisten nach oben gehievt werden. Einfache Botschaften zu komplexen Problemen, Dreinschlagen bei vermeintlichen oder tatsächlichen Missständen und Heilsversprechen, die bei nüchternem Hinsehen sich als unerfüllbar entpuppen, kommen an: ein Zeichen der Verunsicherung bei vielen Bürgern im Lande, so die verharmlosende, wenn leider nicht falsche Diagnose. Selbige mag als Erklärung herhalten, aber auch als Aufweis dafür, dass Gefahr ist.

Das politische Gedächtnis des Wählers funktioniert offenbar vornehmlich im Kurzzeitmodus: Auch Österreich hat ja längst erfahren, dass der Rechtspopulismus, wenn er an die Macht und Pfründe kommt, sich so geriert, dass man ihn von beidem fernhalten sollte. Man kann etwa im Hypo-Untersuchungsausschuss sehen, wie eine unanständige politische Klasse ein ganzes Bundesland heruntergewirtschaftet hat, und nun auch und gerade die Anständigen im Land zur Kasse gebeten werden, um das Angerichtete zu planieren.

Von Regierenden, die keinen Plan haben

Es mutet da schon, beschönigend ausgedrückt, anachronistisch an, dass der Rechtspopulismus weiteren Zulauf erfährt. Aber wo die alten Ex-Großparteien am Ruder sind, vermitteln sie kaum politische Gestaltungskompetenz, jedenfalls wenn sie, wie im Bund, miteinander "regieren". Visionäre sucht man da vergebens, ja man findet zurzeit nicht einmal einen Plan vor, nach dem diese Regierung agiert. Aber genau das ist die fatale Chance für den Populismus, der zu einem Gutteil davon lebt, "dagegen" zu sein, worum immer es sich dabei handelt.

Und weil die rote wie die schwarze Regierungshälfte auf die Populisten wie ein Kaninchen auf die Schlange starren, ist die Versuchung groß, selber den Populismus in die eigene politische Agenda zu übernehmen. Da ließ der - schwarze - "Integrations"-Minister mit dem Vorschlag aufhorchen, Familienbeihilfen an im Ausland lebende Kinder von in Österreich Beschäftigten zu kürzen. Eine Idee, die weder ökonomisch noch politisch irgendwie durchdacht war, sondern bloß Ressentiments bediente - die unterschwellige Botschaft: Österreich würde da sein Geld nach Rumänien verschleudern.

Der schwarze und der rote Populismus

Und dass der Kanzler, seit er vor sieben Jahren vom heutigen Kasachstan-Apologeten Alfred Gusenbauer das Ruder übernommen hat, vor allem über die und mit der Kronen Zeitung Politik macht, ist die aktuelle sozialdemokratische Spielart des Populismus.

Beide Beispiele tragen nichts, aber auch gar nichts dazu bei, dass der zumindest demoskopisch untermauerte Wählerstrom nach weit rechts eingedämmt würde. Im Gegenteil: Den populistischen Schmiedl lassen diese Wandernden links liegen. Das alles ist alarmierend und ein großes Problem für die Demokratie, deren Funktionsfähigkeit wesentlich von einem öffentlichen Diskurs abhängt, der diesen Namen auch verdient. Doch auch der liegt im Argen, und es sieht nicht so aus, als dass sich das kurzfristig ändern wird. Aber: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch? Ob Hölderlin, von dem dieses Wort stammt, recht hat?

Zurzeit, so erklären Soziologen, fragmentiert die Gesellschaft immer mehr. Und der Zeitgenosse nimmt, wohin er auch blickt, entsetzt Entsolidarisierung wahr. Dass, wie dieser Tage geschehen, ein Gemeinderat nicht einmal bereit war, eine Handvoll minderjähriger Flüchtlinge - Kinder und Jugendliche! - auf seinem Gemeindegebiet unterkommen zu lassen, ist ein Symptom für den mehr als Besorgnis erregenden Befund.

otto.friedrich@furche.at

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