Der Feind gleicht dem Regime

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Falun Gong: Sekte, die in den Tod treibt oder gesunde Meditationspraxis? Darüber ist man auch im Westen uneins. Außer Frage steht hier jedoch die Verurteilung der chinesischen Menschenrechtsverletzungen.

Mao, schau oba!" Kein Tag der gerade stattfindenden Plenartagung des chinesischen Volkskongresses in Peking vergeht, der nicht von Appellen und Protesten überschattet wird. Sogar in nächster Nähe zur Großen Halle des Volkes, in der die knapp 3.000 Delegierten tagen, werden Banner und Transparente entrollt, formieren sich Demonstranten und fordern Sprechchöre, gehört zu werden. Neben Vertretern der Demokratie-Bewegung von 1989 und Uiguren, die für ihre drangsalierten muslimischen Landsleute im Nordwesten Chinas eintreten, sind es vor allem Falun-Gong-Anhänger aus der ganzen Welt, die gegen die Verfolgung ihrer Bewegung in China protestieren. "Falun Gong ist gut", steht auf den Spruchbändern der Aktivisten. Das reicht, um verhaftet, eingesperrt und im günstigsten Fall aus dem Land verwiesen zu werden.

Vergangene Woche gelang es Falun-Gong-Praktizierenden einen städtischen Fernsehsender im Nordosten des Landes zu besetzen und 50 Minuten lang eigene Beiträge auszustrahlen, in denen die Verfolgungen und Verleumdungen der Regierung gebrandmarkt wurden. Direkte Folge dieser für China einzigartig neuartigen und spektakulären Aktion soll ein "wutentbrannter Befehl" Jiang Zemins gewesen sein, Falun-Gong-Mitglieder "erbarmungslos hinzurichten". Höhepunkt der seit drei Jahren andauernden Verfolgung von Falun Gong, sagen Aktivisten. Eine Verfolgung, die Zehntausende in Gefängnisse und Arbeitslager brachte und offiziell mehr als 375 Todesopfer forderte, erklärt Martin Schrott, Falun-Gong-Aktivist in Österreich. Aber nicht die Verfolgung ist das Neue, meint Schrott, die habe es im kommunistischen China gegenüber Religionen einmal mehr, einmal weniger immer schon gegeben. "Das absolut Neue ist", so Schrott, "der starke Widerstand!"

70 Millionen Anhänger

1992 von Li Hongzhi in China bekannt gemacht, gelang es Falun Gong, auch Falun Dafa genannt, in wenigen Jahren 70 Millionen Anhänger aus allen Schichten der Gesellschaft für diesen "buddhistischen Kultivierungsweg" zu gewinnen. Die Regierung, zunächst über die positiven gesundheitlichen Auswirkungen von Falun Gong erfreut, beobachtete die rasante Zunahme der Anhängerschaft mit wachsendem Misstrauen. Im Sommer 1999, nachdem bei einer friedlichen Kundgebung 10.000 Falun-Gong-Aktivisten, Glaubensfreiheit beziehungsweise das freie Praktizieren ihrer Meditationspraxis forderten, wurde Falun Gong verboten.

Warum, Falun Gong weist doch jede politische Stoßrichtung strikt von sich? Martin Schrott erklärt sich die Angst der Regierung mit dem Faktum, dass es schon mehr Falun Gong Praktizierende als eingeschriebene Parteimitglieder gab, dass dieses Durchgreifen als Drohgebärde für alle anderen religiösen Gruppen und Glaubensgemeinschaften dienen sollte. "Fragen Sie doch bei der Chinesischen Botschaft an", rät Schrott, zeigt sich aber über die Chancen, eine befriedigende Antwort zu erhalten, skeptisch. Die diesbezügliche schriftliche Anfrage der furche wird jedoch von Liang Jianquan, Presseattaché der Chinesischen Botschaft in Wien, unverzüglich und ausführlich behandelt zurückgeschickt.

"Falun Gong ist eine ketzerische Sekte", heißt es zu Beginn des Schreibens. "Sie nützt den Wunsch gewöhnlicher Menschen, Gesundheit zu pflegen und stark zu bleiben, aus und fabriziert Lügen, um Menschen in die Falle zu locken und anschließend geistig zu beherrschen." Weitere Vorwürfe aus der Botschaft lauten: Falun Gong praktiziere "Guru-Kult", verleite ihre Anhänger zu Verstößen der Gesetze, Verachtung der Gesellschaft und grausamer Vernichtung des menschlichen Lebens. "1.700 von der Falun Gong Sekte betörte Menschen", sollen laut Liang Jianquan Selbstmord begangen haben. Besonders die Selbstverbrennung der Falun-Gong-Anhänger im Januar des vergangenen Jahres auf dem Tiananmen-Platz, hat "erneut das böse Wesen der Falun-Gong-Sekte entlarvt", heißt es im Schreiben aus der Botschaft.

Alles Lüge und Täuschung, antwortet Martin Schrott auf die Vorwürfe der Chinesen: "In allen Falun-Gong-Büchern könne man nachlesen, dass jede Art der Tötung, einschließlich des Selbstmordes strikt den Prinzipien der Kultivierungslehre von Falun Gong widerspricht." Eine Untersuchung des Videos der angeblichen Selbstverbrennung auf dem Tiananmen-Platz beweise, so Schrott, dass es sich dabei um eine von der Regierung inszenierten Täuschungsaktion gehandelt habe. Das werde auch von der UNO bestätigt, fügt der Falun-Gong-Sprecher in Österreich hinzu. Zudem hätten Recherchen der Washington Post ergeben, dass die verbrannte angebliche Falun-Gong-Praktizierende, ein liederliches Leben geführt haben soll, was vollkommen unvereinbar mit den Falun-Gong-Prinzipien: Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht wäre. "Niemand hat sie je gesehen, Falun Gong zu praktizieren", schließt der Post-Artikel, in dem auch kritisiert worden war, dass es bis zum heutigen Tag ausländischen Journalisten verwehrt werde, die überlebenden Opfer der Selbstverbrennungsaktion zu kontaktieren.

Die Sekten-Vorwürfe gegenüber Falun Gong weist auch Anne Lopez, Mitarbeiterin von Christian Solidarity International (CSI) zurück. Es werde nirgends Geld verlangt, und sie habe keine Anzeichen von moralischem Druck feststellen können, erläutert Lopez ihre Meinung. Zum angeblichen "Guru" befragt, meint sie: "Sicher, es gibt ihn, aber er spielt keine so große Rolle." Die Angst der chinesischen Regierung resultiert für Lopez, die auch über die zunehmende Verfolgung von Christen im Reich der Mitte klagt, aus der unglaublich raschen Zunahme der Falun-Gong-Praktizierenden.

Trotzdem, die Frage ist noch immer nicht befriedigend beantwortet: Warum wütet das kommunistische Regime, dass doch sonst in vielen Bereichen um mehr Annäherung an den Westen bemüht ist, derartig augenfällig und weltweit Aufsehen erregend gegen diese Meditationspraxis, Kultivierungslehre, Sekte - wie auch immer? Georg Schmid, Leiter der evangelischen Informationsstelle "Kirchen, Sekten, Religionen" mit Sitz in der Schweiz, gibt eine naheliegende und doch oder gerade deswegen überraschende Antwort: "Die Kommunisten haben wahrscheinlich Falun Gong besser verstanden als Falun Gong selbst. Sie spürten, dass in dieser Bewegung etwas heranreift, was den Kommunismus im Empfinden, Denken und Leben der Chinesen restlos zu ersetzen vermag." Laut Schmid gleicht Falun Gong gerade in seinen totalitären Strukturen der chinesischen Staatsdoktrin. Eine andere Parallele sieht der Religionswissenschafter darin, dass sowohl Marxismus als auch Falun Gong sich einem utopischen Ziel, einer neuen Stufe der Menscheitsgeschichte verpflichtet fühlen. Schmid: "Sie führen beide die Menschheit auf eine höhere oder letzte, vollkommene Stufe der Menschheitsentwicklung. Sie werden beide von perfekten Meistern angeführt."

Schwäche des Systems

Ähnlich auch die Analyse von Thomas Heberer, Politikwissenschafter mit dem Schwerpunkt Ostasien in Duisburg. Der Staat tue sich mit der Zerschlagung der Bewegung deshalb so schwer, glaubt er, "weil sie ähnlich organisiert ist, wie seinerzeit die Untergrundzellen der Kommunistischen Partei: konspirativ, lose strukturiert, im Glauben an ein vermeintlich korrektes eschatologisches Weltbild und einen charismatischen Führer". Aber auch wenn Heberer nicht der Meinung ist, dass Falun Gong nach der Lehre Li Honghzis die Menschen zu selbstbewussten und liberalen Bürgern macht, sondern "Aberglaube, Abhängigkeit und Weltentzug zu den Grundlagen dieser Lehre zählen", verurteilt er auf das Schärfste die unter dem Vorwand der Sektenbekämpfung praktizierten Menschenrechtsverletzungen in China. Die Unfähigkeit, mit zivilen Mitteln gegen Andersdenkende vorzugehen und gesellschaftliche Konflikte zivil zu lösen, ist für den Chinafachmann, "nicht nur Ausdruck der Unsicherheit des politischen Systems, sondern auch Ausdruck der Hilflosigkeit und Schwäche dieses Systems."

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