DER FEIND in meinem Netz

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Der Großteil der Medien in Russland wird bereits streng vom Staat kontrolliert. Nun wird auch der Zugriff auf das Internet härter.

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Der Großteil der Medien in Russland wird bereits streng vom Staat kontrolliert. Nun wird auch der Zugriff auf das Internet härter.

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Russland im Jahr 2027. Ein Land, beherrscht von einem allmächtigen Herrscher und umgeben von einer "Großen Russischen Mauer", vom Westen abgeschnitten. Es ist eine düstere Zukunftsvision, die der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin in seinem Buch "Der Tag des Opritschniks" entworfen hat. Doch eine neue Strategie rückt Fiktion und Realität näher aneinander - zumindest in der virtuellen Welt: Kremlnahe Oligarchen und Beamte arbeiten daran, ein "national souveränes Internet" aufzubauen, um es von äußeren Einflüssen - namentlich von den USA - abzuschotten.

Konstantin Malofeew sitzt in seinem Büro am Moskauer Gartenring, die Wände und Regale mit Ikonen und orthodoxen Kreuzen geschmückt. Der streng russischorthodoxe Oligarch, der sein Vermögen im Kommunikations- und Agrarsektor gemacht hat, hat in Moskau zuletzt das "russisch-chinesische Forum zur Entwicklung und Sicherheit der Informationstechnologien" organisiert. Dass sich unter den 50 Gästen aus China auch der Architekt der berühmten chinesischen Firewall, Fang Binxing, befand, hat Spekulationen über eine russische Firewall befeuert. "Derzeit wird das Internet von den USA dominiert", doziert Malofeew. "Wir, die anderen Länder, sind nun gezwungen, uns mit der Souveränität des Internets zu befassen", so Malofeew weiter. "Die ersten, die das erfolgreich getan haben, sind die Chinesen."

Das letzte Refugium der Freiheit

Das Internet, auch "RuNet" genannt, galt lange Zeit als das letzte Refugium der Meinungsfreiheit in Russland. Doch mit dem Arabischen Frühling 2011, der über Twitter und Facebook organisiert wurde, sowie mit den russischen Massenprotesten im selben Jahr hat der Kreml die Meinungsfreiheit auch im Netz eingeschränkt. Seit November 2012 werden Internetseiten blockiert, seit der Annexion der Krim und der Eskalation des Ukraine-Konfliktes stehen auch politische Seiten auf der Schwarzen Liste der Behörden - etwa die Seiten der Oppositionspolitiker Garri Kasparow oder Alexej Nawalni.

Bezahlte Blogger, sogenannte Trolle, haben das Netz im In-und Ausland mit kremltreuen Kommentaren überschwemmt. Seit 2015 gibt es zudem ein Gesetz, wonach ausländische Internetkonzerne, die private Daten von russischen Usern speichern, ihre Server auf russisches Territorium verlegen müssen. Von einem neuen "digitalen Eisernen Vorhang" schreibt gar der russische Journalist Sergej Medwedew. Doch damit nicht genug. Malofeew, ein enger Vertrauter des ehemaligen Medienministers und derzeitigen Präsidentenberaters Igor Schjogolew, kämpft an vorderster Front für ein "patriotisches Internet", wie es zuletzt von hochrangigen Beamten gefordert wurde. 2011 hat Malofeew die "Liga für ein sicheres Internet" gegründet. 5000 sogenannte "Cyberguards" machen im Netz Jagd auf Kinderpornografie sowie jede Art von "Homosexuellen-Propaganda", die laut Gesetz in Russland verboten ist.

"Das Internet ist viel sauberer geworden", sagt Malofeew stolz. Beobachter sehen darin aber auch den Versuch, die Kontrolle über politisch unliebsame Inhalte auszuweiten. Auf Anfrage war es nicht möglich, mit einem der 5000 Cyberguards zu sprechen, weil "sie anonym bleiben wollen", so die Presseabteilung.

Derweil hat der Kreml aber auch den Druck auf die Internetuser erhöht. Erst vor wenigen Tagen ist ein junger Familienvater aus Twer nach dem sogenannten "Extremismus-Paragrafen" 282 zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er auf Vkontakte, dem russischen Pendant zu Facebook, geschrieben hatte, dass die Krim zur Ukraine gehört. Was unter dem Paragrafen 282 fällt, ist allerdings politisch opportun: Auch gegen den bekannten russischen Blogger Anton Nossik wurde zuletzt ein Verfahren wegen Extremismus eröffnet, nachdem er die russische Syrien-Intervention in seinem Blog kritisiert hatte. "Der Machtapparat möchte das Internet als Ganzes kontrollieren, weil sie die Gedanken und die Kommunikation ihrer Bürger überwachen wollen", kommentiert Nossik. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der nach dem Extremismus-Paragrafen Verurteilten verdreifacht, so ein Report des Zentrums für wirtschaftliche und politische Reformen.

Ringen um die Daten

Bei der Zensur des Netzes tut sich der Kreml trotz der zunehmenden Repressionen dennoch schwerer als bei TV-Kanälen oder Zeitungen. Wenn es bisher reichte, Druck auf Medienmacher auszuüben, funktioniert das im Internet nicht mehr. Das beste Beispiel ist Vkontakte, das "russische Facebook": Nachdem sich Vkontakte-Gründer Pawel Durow geweigert hatte, dem russischen Geheimdienst sensible User-Daten zu übergeben, wurde der Druck gegen ihn so groß, dass er das Land verlassen musste. Das hinderte die User des sozialen Netzwerks freilich nicht daran, auch weiterhin pikante Informationen - etwa Soldaten-Selfies aus der Ostukraine - auf dem Portal hochzuladen. "Er (Putin, Anm.) ist es gewohnt, Hierarchien und Organisationen über ihre Chefs unter Druck zu setzen", schreiben die Journalisten Andrej Soldatow und Irina Borogan in ihrem Buch "The Red Web. The Struggle Between Russia's Digital Dictators and the New Online Revolutionaries." "Aber Netzwerke haben keine Spitze, sie sind horizontal organisiert."

China als Helfer mit Erfahrung

Die Strategie, sich jetzt für die Kontrolle des Internets noch Know-how von den Chinesen zu holen, sei dabei aber eine "völlig neue Entwicklung", sagt Soldatow im Gespräch. "Das zeigt die völlig verzweifelte Lage, in der sich der Machtapparat befindet." Die repressiven Maßnahmen sind zunehmend an ihr Ende gestoßen: Findige Programmierer hätten immer wieder Wege gefunden, die blockierten Seiten zugänglich zu machen. Zudem haben sich die Internetriesen Twitter, Facebook und Google bisher geweigert, ihre Server nach Russland zu verlegen. Die Kooperation mit den Chinesen soll helfen, die Lage bis zu den russischen Parlamentswahlen im Herbst 2016 unter Kontrolle zu bringen, glaubt Soldatow.

Ob das chinesische Modell auf Russland übertragbar ist, wird allerdings stark bezweifelt. Immerhin konnte sich das russische Internet seit der Wende relativ frei entfalten - im Gegensatz zu China, wo das Internet schon länger systematisch kontrolliert wird. "Den Behörden fehlen außerdem Personal, Ressourcen und Technologien", sagt Soldatow. "Damit kann man in wenigen Monaten keine Firewall aufbauen." Und so einfach geht der Geist des freien Internets nicht mehr zurück in die Flasche. "Das System von Putin ist so lange effektiv, so lange sich die Leute sicher sind, dass der Kreml die Kontrolle hat und die Stabilität des politischen Regimes unangefochten ist", schreiben Soldatow und Borogan in ihrem Buch. "Aber wenn es zu einer Vertrauenskrise kommt, wird sich die Dynamik verändern."

"Russlands Gegenwart lässt sich nur noch mit den Mitteln der Satire beschreiben", sagte Sorokin selbst über seine anti-utopischen Romane. Inwiefern sich die "Große russische Mauer" zumindest in der virtuellen Welt zur Gegenwart wird, wird sich noch zeigen.

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