"Der kleine Mozart in uns"

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Bildungsministerin Claudia Schmied über Identitätsbildung, Vielfalt und die "Neue Mittelschule".

Die Furche: Frau Ministerin Schmied, Schule gilt als grundlegende Stätte für Identitätsbildung. Wie stellen Sie sich eine Schule vor, in der das am besten gelingt?

Claudia Schmied: Die ideale Schule beschreibe ich als einen Ort, in dem die Beziehungsarbeit und damit die Verbindung zwischen Lehrer und Schüler gut gelingt. Es ist ganz entscheidend, welches Klima an einer Schule herrscht. Ich persönlich hatte das große Glück, ein sehr wohlwollendes, förderndes und wertschätzendes Gegenüber gehabt zu haben, sowohl was meine Eltern betrifft als auch die Erfahrungen an der Schule. Der Schlüssel zum Gelingen eines erfüllten Lebens hängt ganz entscheidend von den Beziehungen und von tragfähigen Bindungen ab. Daher sind das Vorbild und die Persönlichkeit der Lehrer zentrale Ansatzpunkte meiner Arbeit.

Die Furche: Das heißt, in der Lehrerausbildung muss angesetzt werden.

Schmied: Ich möchte es Lehrerbildung nennen. Das Wort "Ausbildung" suggeriert stark den Aspekt des fachlichen Wissens. Neben dem Faktenwissen kommt es aber zunehmend auf andere Elemente an: Persönlichkeitsentwicklung, gelebte Werte, Vorbilder, Angebote zur Nachahmung. Es kommt sowohl auf die Vermittlung der Fähigkeiten und Kenntnisse des realen Wissens als auch auf die Sozialkompetenzen an. Dazu werden wir an den Pädagogischen Hochschulen Schwerpunkte in der Bildung und Weiterbildung der Lehrer setzen. Ein zweiter Schwerpunkt ist der Bereich Motivation der Schüler. Die Basis für Motivation ist Aufmerksamkeit, Achtung, Mutmachen. Wir müssen am gesellschaftlichen Image der Lehrer stark arbeiten. Wir müssen sie mehr stützen und unterstützen. Es wird immer wichtiger, dass Kindergarten und Schule die Funktion "Schule als Lebensraum" erfüllen. Das bedarf großer Entwicklungsschritte.

Die Furche: Gibt es ab Herbst bereits konkrete Veränderungen im Lehrplan der angehenden Lehrer?

Schmied: Ich habe großen Wert darauf gelegt, dass die Bereiche Didaktik und Sozialkompetenzen in den Pädagogischen Hochschulen verankert sind. Ich möchte aber Weiterbildung nicht mit Androhung und Anordnungen verbinden. Das Weiterbildungsangebot muss sich mit den Bedürfnissen der Lehrer treffen. Ein Beispiel: die Mediationsausbildung vor dem Hintergrund des Phänomens Gewalt an der Schule. Das ist nicht mit der Einführung an den Pädagogischen Hochschulen im Herbst getan, das ist ein permanenter Entwicklungsprozess. Wir müssen in der Bildung, Aus- und Fortbildung der Lehrer stets auf die Anforderungen der Wirklichkeit reagieren.

Die Furche: Inwiefern unterscheidet sich Ihr Konzept "Neue Mittelschule" vom jetzigen System in punkto Identitätsbildung?

Schmied: Identitätsbildung ist eines der Kernargumente, die für die "Neue Mittelschule" sprechen. Die derzeitige Bildungsentscheidung mit zehn Jahren kommt für die Kinder viel zu früh. Durch diese frühe Entscheidung oder Weichenstellung verzichten wir auf viele Talente und Begabungen. Es sind oft kleine Weichenstellungen, die ausmachen, dass man bei A oder B ankommt, die aber weit auseinander liegen. Mit zehn Jahren sind viele Talente noch nicht so ausgeprägt und erkennbar. Wir sehen das jetzt bei den Wiederholungsprüfungen. Den größten Anteil haben wir im Bereich Sekundarstufe II, der Oberstufe. Das deutet darauf hin, dass die Wahl des Schultypes nicht immer ideal gelingt. Das zeigen auch Untersuchungen von Prof. Günter Haider (Bildungsexperte, Anm.) Diese falschen Entscheidungen sind letztendlich auch ökonomisch unklug, weil sie dann in der Folge wieder Kosten verursachen.

Die Furche: Werden Sie die ÖVP je davon überzeugen können, oder hat die Volkspartei schlicht ein anderes Menschenbild?

Schmied: Ich führe ganz viele Gespräche - mit Vertretern einzelner Bundesländer, mit meiner Expertengruppe und Regierungsmitgliedern. Da erlebe ich sehr differenzierte Meinungen innerhalb der ÖVP. Ich erlebe die ÖVP hier nicht als Bollwerk gegen die "Neue Mittelschule." Auch Vizekanzler Wilhelm Molterer hat versichert, dass die Modelle, die 2008/2009 starten sollen, stattfinden werden. Ich bin zuversichtlich.

Die Furche: Aber hat man es Ihnen nicht übel genommen, als Sie das Konzept der VP-Bildungssprecherin Katharina Cortolezis-Schlager als "Sommerlochwahnsinn" bezeichnet haben?

Schmied: Das war nicht auf Frau Cortolezis-Schlager gemünzt, sondern auf das Potpourri der Vorschläge. Das hat man mir nicht übel genommen. Ich freue mich auf die Ausarbeitungen der ÖVP-Perspektivengruppe, die für Oktober angesagt wurden, und auf eine fruchtbringende Diskussion.

Die Furche: Und wie wollen Sie die kritische Bevölkerung überzeugen?

Schmied: Wir haben einen klaren Auftrag, der Öffentlichkeit die Vorteile dieses Weges klar zu vermitteln: Talente entdecken, Persönlichkeit entwickeln, Identität bilden und stärken, Fehlentscheidungen und Unglück durch falsche Bildungswahlen zu vermeiden. Es geht aber vor allem um Vertrauensarbeit, es geht um das Vertrauen in öffentliche Institutionen. Die Menschen müssen uns vertrauen, dass auch die Themen Integration und Sprachförderung gelingen. Wir werden Schulentwicklungsprojekte nur ganz behutsam angehen.

Die Furche: Wie kann es gelingen, dass Kinder aus Migrantenfamilien ihre Identität erhalten und sich dennoch integrieren können?

Schmied: Hier müssen wir eine Doppelstrategie verfolgen. Zum einen müssen wir früh mit der Sprachförderung beginnen. Im letzten Kindergartenjahr wird nun verstärkt die Sprache gefördert. Gleichzeitig ist es wichtig - da gibt es entsprechende Angebote in den Schulen -, den mehrsprachigen Unterricht zu fördern. In der Unternehmenswelt, aus der ich komme, wird immer ganz stolz berichtet, wie viele Nationalitäten im Unternehmen arbeiten. Hier wird die Internationalität, die Weltoffenheit, die Vielfalt an Kultur- und Sprachkenntnisse und damit die Möglichkeit zur Expansion in andere Länder betont. Im schulischen Bereich wiederum ist das mit viel Sorge verbunden. Da sehe ich einen starken öffentlichen Auftrag. Das Gelingen der Bildungspolitik ist ganz entscheidend vom Erfolg der Integration und Sprachförderung abhängig.

Die Furche: Und zweisprachige Lehrer?

Schmied: Das ist ein ganz zentraler Ansatzpunkt. Aber es gibt auch andere interessante Modelle: Zum Beispiel werden heterogene Klassen in einer Fremdsprache wie Englisch geführt. Damit werden Unterschiede ausgeglichen. Das Modell zeigt gute Ergebnisse.

Die Furche: Es werden oft besonders schwierige Situationen für Lehrer genannt, wie Klassen mit über 90 Prozent Migrantenkinder. Was wollen Sie da tun?

Schmied: Die erwähnte Sprachförderung ist ein Schlüssel. Wir müssen aber auch zu einer besseren - und das ist kein schönes Wort - "Durchmischung" kommen.

Die Furche: Also Schulbusse, die Kinder in andere Bezirke fahren …

Schmied: Das sicher nicht. Das führt zu Stigmatisierung der Persönlichkeit. Da müssen wir an anderen Konzepten arbeiten. Hier werden Vorschläge erarbeitet.

Die Furche: Manche haben Angst, die österreichische Identität könnte durch Migration verloren gehen.

Schmied: Das hat sehr viel mit dem eigenen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu tun. Die kulturelle Vielfalt und interkulturelle Aktivität setzt voraus, dass man eine ausgeprägte Identität hat. Das heißt wiederum, dass man an der Persönlichkeitsentwicklung und dem Selbstwertgefühl arbeiten muss. Und da sind wir wieder in der Schule angelangt. Die Persönlichkeitsentwicklung ist noch ein Argument für die gemeinsame Ausbildung bis zum 14. Lebensjahr, weil es dann nicht dazu kommt, dass Schüler nach dem Motto "Du entsprichst uns nicht" hinausgeprüft werden, ohne sich die Mühe zu machen, die individuelle Begabung zu fördern. Frei nach Antoine de Saint-Exupéry: "In jedem von uns steckt ein kleiner Mozart."

Die Furche: Wird es mehr Kunstunterricht an Schulen geben?

Schmied: Das ist eines meiner Lieblingsprojekte: "Kunst macht Schule". Ich halte das für einen Schlüssel zum Erfolg, was die Sprachkompetenzen, die soziale Integration und das Selbstvertrauen betrifft. Es gibt viele Beispiele, wo Außenseiter durch das Theaterspielen und das Zuschreiben einer Rolle an Zuversicht gewonnen haben, so dass sie auch in Mathematik besser wurden. Wir werden Kunst auch stark in den Bereich der Tagesbetreuung integrieren. Linz Kulturhauptstadt 2009 wird hier auch beispielgebend sein.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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