Werbung
Werbung
Werbung

Was blieb von der Ära Kreisky? Sein Nachfolger Alfred Gusenbauer und andere Wegbegleiter, aber auch Kreiskys neu aufgelegte Biografie geben Antwort.

Im Garten der Kreisky-Villa in Wien-Grinzing stehen viele Bäume, aber ein Baum übertrifft alle anderen: eine Libanon-Zeder, drei Stockwerke hoch, der Stamm so dick, dass ihn drei große Männer mit ausgestreckten Armen schwer umgreifen können. Und das Interessanteste an diesem Riesen: Er hat dicke, weit ausladende Äste fast bis zum Boden; und trotz der mächtigen Baumkrone bekommen aufgrund der großen Abstände zwischen den Ästen auch die ganz unten noch soviel Licht, dass sie grüne Nadeln tragen und im Saft stehen.

Wenige Meter von diesem hölzernen Solitär entfernt, drinnen in der Kreisky-Villa, diskutierte an diesem Montagabend eine illustere Runde, was von der Ära Kreisky geblieben ist. Während die Ohren dem Podium zugewandt sind und der Blick durch die offene Terassentür zu dieser Zeder schweift, drängte sich der Gedanke auf: Wäre Bruno Kreisky ein Baum gewesen, dann diese Libanon-Zeder - stark und groß, hoch hinauf und weit hinaus, das Ganz-Oben kennen, das Ganz-Unten nie vergessen.

"Schutzschild" und "Ermöglicher" nannte die frühere Frauenministerin Johanna Dohnal ihren Mentor Kreisky. Und auf die Frage, was von seiner Politik geblieben sei, antwortete sie: "Er hat aus einem verzopften Land ein weltoffenes Österreich gemacht - und geblieben sind auch wir, die diese Zeit miterleben durften, und wir sollten heute mithelfen, dass unser Land auf diesem Weg bleibt."

Ein sehr ausgeklügelt Buch

In den an diesem Abend präsentierten neu aufgelegten Kreisky-Erinnerungen (siehe Rezension unten) sagt Kreisky über seinen Freund Willy Brandt: "Er war kein ausgeklügelt Buch, er war ein Mensch mit seinem Widerspruch." Für Kreisky gilt wohl beides: viel Widerspruch und ein sehr ausgeklügelt Buch. Die Reden Kreiskys, erzählte Margit Schmidt an diesem Abend, "waren für uns Junge wie Vorlesungen, das war wie ein zweiter Bildungsweg". Schmidt war von 1965 bis zu Kreiskys Tod 1990 seine engste Mitarbeiterin und danach Generalsekretärin des Bruno-Kreisky-Forums. Ihr Chef war für sie ein "Mann mit Eigenschaften", ein "Gründer und Modernisierer mit dem Mut zum Unvollendeten". Sie freue sich, sagte Schmidt, wenn sie heute Frauen aus bescheidenen Verhältnissen trifft, die sagen, sie verdanken ihre Bildung und Karriere der Kreisky-Politik - "das ist doch was, diese Kreisky-Kinder!"

Schmidt zitierte auch noch eine Kreisky-Befürchtung: "Nichts wäre grausiger als der Gedanke, dass man nur administriert hätte." Ein willkommenes Stichwort für den ebenfalls am Podium anwesenden Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Verwalten allein ist auch für ihn zuwenig, und "ins Räderwerk der Geschichte greifen zu dürfen, ist ein großes Privileg". Das man im Sinne Kreiskys nützen solle, sagte der Bundeskanzler, "um die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu verändern, dass alle mehr Chancen erhalten".

Taus: "Ein ganz Großer"

Der Applaus war Gusenbauer bei diesem Heimspiel sicher; "aus der Sicht eines Schwarzen" beschrieb nur Josef Taus "seinen" Kreisky: "sehr gebildet, sehr weltläufig, einer der ganz Großen …" Die Zeit hat zweifellos so manchen Streit zwischen den beiden verklärt … Das milde Licht der Abendsonne strahlte in die Kreisky-Villa, und Gusenbauer und Taus waren sich auch bei einer "breiteren Vermögensbildung für den Mittelstand" einig, und im Garten blies der Wind durch die Äste der Zeder. Was sagte doch Willy Brandt einmal über Bruno Kreisky: "Seine Welt war größer als sein Land."

Engelbert Dollfuß empfiehlt als Landwirtschaftskammerdirektor dem Maturanten Bruno Kreisky ein Buch seines Intimfeindes Otto Bauer, des Parteichefs der Sozialdemokraten und Austromarxisten schlechthin: Diese unglaublich erscheinende Konstellation - wenn man sich die Todfeindschaft zwischen Rot und Schwarz in der Ersten Republik vor Augen hält - findet sich unter vielen anderen zeitgeschichtlichen Schmankerln in Bruno Kreiskys neu aufgelegten Erinnerungen. Der Historiker Oliver Rathkolb war vor gut 20 Jahren als Kreisky-Interviewer maßgeblich am Zustandekommen der dreiteiligen Memoiren des Langzeitkanzlers beteiligt; jetzt hat er aus diesen 1300 Seiten 500 ausgewählt, die Kreiskys "wesentliche persönlichen und politischen Prägungen dokumentieren".

Und bereits nach wenigen Seiten Lektüre wird klar, warum Kreiskys Memoiren schon bei ihrem ersten Erscheinen zum Bestseller wurden (da hat die Partei mit Großbestellungen nicht nachhelfen müssen): Kreisky war ein großer Erzähler, und Geschichte - vor allem auch Gschichtln - hat er genug erlebt.

Doch vor einem Gschichtl noch ein Wort zu Kreiskys Sprache, die bezeugt, was ihm der politische Gegner einmal auf infamste Weise absprechen wollte: Kreisky war ein echter Österreicher, der sich über "sekkante" Präfekten ärgerte und seine Briefmarkensammlung "zizerlweis" verkaufte. Und Kreisky war ein echter Wiener und von Herkunft ein feiner Binkel, der in die "elegante Equipierung gewissermaßen hineingewachsen ist". Ein Schlafwagendieb, den Kreisky als Zellengenossen im Gefängnis kennen gelernt hatte, meinte einmal: "Schade, dass du ein Politischer bist. Aus dir könnt' ich noch was machen."

Bruno Kreisky hat schließlich selbst aus sich sehr viel gemacht, und das obwohl, so Rathkolb im Vorwort, "alle traditionellen innenpolitischen Strukturbedingungen gegen ihn gesprochen haben". Und was bleibt nach Kreiskys Erinnerungen als Kreiskys Vermächtnis? Humor und Optimismus als Rat für jedermann. Und für Politiker? Das Gespräch suchen über Gräben hinweg und bereit sein zu erklären, "täglich aufs Neue zu überzeugen - so hab ich es immer gehalten".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung