Der Krieg kommt in die Hauptstadt

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Die Ausläufer der Katastrophe in West-Darfur reichen bis an den Stadtrand von Khartum. Von Wolfgang Machreich

Das Gefängnis kennt Kamal Tadros aus eigener Anschauung: Zehn Tage war er vor einigen Jahren in einer zwei mal zwei Meter großen Zelle eingesperrt. Mit gezogener Waffe hatten Uniformierte zuvor das Büro des heute 71-Jährigen gestürmt und ihn schwer an der Schläfe verletzt. Doch nach Kamals Verhaftung liefen die Telefonleitungen im Sudan heiß: Es intervenierte die "katholische Welt", vom päpstlichen Nuntius angefangen, um den Leiter der Gemeinschaft des Hl. Vinzenz von Paul in Khartum wieder frei zu bekommen. "Sie haben wohl Freunde in Frankreich", sagte der Wärter, der Kamals Zelle aufsperrte. "Ich habe Freunde in der ganzen Welt", konterte Kamal. Und dabei hat der kleine Mann mit Hornbrille und abstehenden Ohren nicht übertrieben.

In den 1980er-Jahren begegnete Kamal Tadros Schwester Emmanuelle, der "Mutter der Müllmenschen" in Kairo. Von der Konsequenz dieser Frau beeindruckt, hängte er seinen Beruf als Manager im Ölgeschäft an den Nagel - und seither widmet er sich dem Management seiner katholischen Hilfsorganisation, die von der österreichischen Caritas finanziell unterstützt wird.

Wegen Schnaps im Gefängnis

"Bei den Ärmsten der Armen sein", bringt Kamal den Leitgedanken der Vinzenzgemeinschaft auf den Punkt. Hunderte dieser Ärmsten sind Frauen, die in den Gefängnissen der sudanesischen Hauptstadt eingesperrt sind. Ihr Verbrechen: Sie haben Alkohol, meist Dattelschnaps, gebrannt und verkauft - das ist im Sudan strengstens verboten. Aus gesundheitlichen, hygienischen und moralischen Gründen, heißt es offiziell. Natürlich spielt aber auch die Religion eine große Rolle, denn im Norden der Islamischen Republik gilt nach wie vor die Scharia, das religiös legitimierte Gesetz des Islam.

Zum Rechtsbruch getrieben werden diese Frauen aber von einer anderen Norm: dem Gesetz der Armut. Sie sind den Bürgerkriegen der letzten Jahrzehnte im Südsudan oder aktuell in West-Darfur entflohen und in den Slums der Hauptstadt gelandet. Prostitution und Schnapshandel sind dort für sie oft die einzige Einnahmequelle - und der Anfang vom Ende im Gefängnis. Der Eintritt dort ist Ausländern verwehrt. "Keine Chance", wehrt Kamal diesbezügliche Begehrlichkeiten der Journalisten ab, die Caritas-Präsident Franz Küberl letzte Woche bei seinem Besuch der Hilfsprojekte der Vinzentiner nach Khartum begleiteten. Doch auch ohne Lokalaugenschein, soviel ist sicher: Die Umstände, unter denen die Frauen mit ihren Kindern hinter Gittern vegetieren, müssen verheerend sein. Selbst der seiner Regierung sehr wohl gesonnene Anwalt und Herausgeber der sudanesischen Zeitung The Advocat, Wani Tombe, zeigt sich erschüttert: "Das Elend, das ich dort gesehen habe, kann ich nicht vergessen." Tombe hat sich und seine Zeitung deswegen in den Dienst der guten Sache gestellt, unterstützt die Vinzenzgemeinschaft. Die bringt Lebensmittel ins Gefängnis, vor allem für die Kinder der eingesperrten Frauen, die aus der knapp bemessenen Schüssel der Mütter nicht satt werden. Medikamente und Arztbesuche sind weitere Hilfsleistungen der Vinzentiner für die Frauen und Kinder im Kerker. Manchmal gelingt es Kamal auch, mit dem Bezahlen der Geldbußen die Haftstrafen abzuwenden.

Gabarona heißt "gezwungen"

Eine andere Initiative um die Armut in den Flüchtlingslagern rund um Khartum zu lindern und den Müttern den verzweifelten Ausweg in die Kriminalität zu ersparen, sind die Kinder-Küchen der Vinzenzgemeinschaft. "Gabarona" heißt ein Flüchtlingscamp 40 Kilometer westlich von Khartum. Der Name kommt aus der Dinka-Sprache und heißt übersetzt: "Man hat mich gezwungen." Die meisten Neuankömmlinge, die dort in Lehmhütten ihr Dasein fristen, stammen aus der Krisenregion West-Darfur. In Gruppen zu sechst sitzen die Kinder dort unter einem Wellblechdach zusammen. Ehrenamtliche Helferinnen stellen blecherne Schüsseln voll Reis hin, eine kleine Hand nach der anderen taucht in den Brei; die Kinder essen schnell, die Größeren füttern die Kleinen, im Handumdrehen ist eine Schüssel leer - eine zweite wird hingestellt, das war's, Pech, wer noch Hunger hat.

Einzelne Sonnenstrahlen fallen durch die Schilfwände der Küche. Dieses Bild muss sich dem Caritas-Präsidenten eingeprägt haben: "Die Hilfsprojekte der Vinzentiner-Gemeinschaft sind Sonnenstrahlen der Hoffnung in einem dunklen Schlund der Hoffnungslosigkeit", zieht er Resümee nach seinem Besuch im Sudan. Und besonders ein Satz von Kamal Tadros ist ebenfalls in Erinnerung geblieben: "Anderswo bedeutet Armut ein schlechtes Leben, bei uns bedeutet sie einen elenden Tod."

Lesen Sie nächste Woche: Friedens- und Versöhnungsarbeit im Sudan.

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