Der kurdische Konflikt ALS FALLSTRICK

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Die türkische Regierung und Präsident Erdogan kommen durch ihre Politik der Härte unter Druck, im Bereich der Außenbeziehungen aber auch in der Wirtschaft.

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Die türkische Regierung und Präsident Erdogan kommen durch ihre Politik der Härte unter Druck, im Bereich der Außenbeziehungen aber auch in der Wirtschaft.

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Wenn einer einmal die Oberhand hat, dann lässt er sich schwer bremsen. Jedenfalls wird von der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen nichts besonders Schmeichelhaftes über die Eroberer berichtet. Sultan Mehmet II. ließ die Stadt zur Freude seiner Truppen ausgiebig plündern und ihre Bewohner versklaven, vergewaltigen oder köpfen. Laut den späteren Annalen der Stadt freilich habe der Eroberer über die Ruinen geweint, da so viel "Schönes zerstört worden ist".

Bei den Triumphfeiern, die der Präsident der Türkei, Recep Tayyipp Erdo gan, am vergangenen Sonntag ausrichten ließ, fehlt die besinnliche Trauer freilich. Vielmehr wurde mit Flugzeuggeschwadern, Janitscharen-Folklore, überdimensionalen Lichtshows und einer 3D-Darstellung des antiken Konstantinopel noch einmal gefeiert, dass am 29. Mai 1453 die islamischen Fürsten die Herrscher über das mehr als eintausend Jahre alte christliche Byzanz wurden.

Der Präsident und sein Vorbild

Und damit auch alle verstehen, wie historische Tradition verläuft, prangt neben Sultan Mehmet auch gerne einmal Präsident Erdo gan auf dem Plakat. Dass die Feier in ihrem Pomp und Trara für einen 563. Jahrestag etwas übertrieben ist, stört die türkische Führung gar nicht. Sie soll vielmehr Zeichen einer neuen Zeit sein, in der, so sagt es der Präsident selbst, die Türkei zu einer der zehn größten Nationen der Welt aufsteigen wird. Tatsächlich scheint es mit der Türkei wirtschaftlich wie politisch und demokratisch bergab zu gehen - und zwar systematisch. Verantwortlich dafür ist der, der in den Umfragen ganz oben steht. Der Präsident.

Wobei im Kern des Konflikts auf beinahe allen Ebenen die aggressive Politik des Recep Erdo gans gegen die Kurden steht. Die Feindseligkeiten sind nach Jahren des Waffenstillstandes zwischen der Türkei und der PKK just in dem Moment wieder aufgeflammt, wo Türken und Kurden Seite an Seite gegen die Terroristen des Islamischen Staats vorgehen sollten.

Doch seit Ende vergangenen Jahres haben die Gefechte in Kurdistan kein Ende, bis heute sind nach türkischen Angaben mehr als 4500 Kurden dabei ums Leben gekommen. Warum das alles? Im Hintergrund steht hier nicht die Gefahr, die von den kämpfenden Kurden in Syrien oder um Nordirak ausgeht, sondern die Angst des türkischen Präsidenten vor den politisch-demokratischen Kurden. Die hatten sich angeschickt, als HDP-Partei die Alleinherrschaft der AKP Erdo gans zu brechen, wenn auch nur als eine von drei 10-Prozent-Parteien. Die Antwort des Präsidenten auf die, wenn auch nur kleine, Herausforderung war die der starken Hand, von der Erdo gan so viel zu verstehen meint.

Denn 59 Abgeordneten der HDP droht nach einem Parlamentsbeschluss in der vergangenen Woche die Strafverfolgung wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation. Da reicht es schon aus, wenn einer der Politiker die "Selbstverwaltung der Kurden" fordert, schon drohen ihm zehn Jahre Haft. Es sind nun genau diese Antiterrorgesetze, die die Einigung mit der EU Richtung Visafreiheit für die Türkei behindern. Schlicht, weil sie mit demokratischen Standards nicht vereinbar sind, wie das in dieser Woche auch der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz betonte. (siehe Kasten unten.)

Aber das Vorgehen des Präsidenten irritiert noch weit mehr, wenn man einmal von seinen europäischen Plänen absieht. So braucht Erdo gan nach wie vor die wirtschaftliche und die militärische Unterstützung der USA. Und gerade was die Kurden betrifft, stehen die Zeichen dabei nicht gut. Denn die Türken kämpfen tatsächlich gegen von den USA und dem Westen insgesamt bewaffnete Truppen der kurdischen YPG-Miliz im Norden Syriens.

Das Abzeichen-Scharmützel

Dabei war es in der vergangenen Woche zu einer kuriosen Auseinandersetzung gekommen, die die Schwierigkeiten nicht besser hätte aufzeigen können. US-Spezialkräfte, die mit den Kurden gemeinsam gegen den IS kämpfen hatten sich in alter Tradition das Abzeichen der Kurdenmiliz YPG auf die Anzüge nähen lassen.

Daraufhin rückte der türkische Außenminister Mevlüt Çavu¸soglu aus um mitzuteilen: "Es ist inakzeptabel, dass US-Soldaten das Emblem einer Terrororganisation tragen." Woraufhin sich das US-Verteidigungsministerium genötigt sah, seinen Soldaten die Abnahme der Abzeichen zu befehlen, andererseits aber unverblümt festzuhalten: "Spezialkräfte haben eine lange und stolze Geschichte, was das Tragen von solchen Abzeichen angeht, wenn sie mit anderen zusammenarbeiten."

US-amerikanische Medien orakelten daraufhin gleich von einer Krise in den US-türkischen Beziehungen. Wahr ist vielmehr, dass weder die USA noch die Türken wissen, wie sie mit der Lage umgehen sollen. Wenn etwa Vizepräsident Joe Biden einmahnt, mehr im Kampf gegen den IS zu tun und die Grenzen besser zu kontrollieren, über die der Nachschub des IS läuft, dann weisen die türkischen Vertreter immer wieder darauf hin, bisher 1500 IS-Kämpfer getötet zu haben. Aber in Wahrheit ist der Kampf gegen die Kurden einer, der den IS und die Türkei eint. Und die USA wissen darum.

Aber auch die wirtschaftliche Situation hat sich mit der Kurdenkrise verschlechtert. Die Anschläge der PKK, die sich auch gegen die touristischen Zentren des Landes richteten, haben zu einem drastischen Rückgang der Buchungszahlen in der Türkei geführt. Allein im April sanken die Nächtigungszahlen um ein Drittel, nachdem etwa in Istanbul zwölf Touristen bei der Explosion einer Bombe starben. An diesem Schwund können auch die bombastischen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Eroberung Konstantinopels nichts ändern.

Vielmehr tut sich da eine neue Parallele auf. Der von Erdo gan so sehr verehrte Sultan Mehmet hatte aufgrund der verübten Grausamkeiten Mühe, die Stadt wieder zu bevölkern. Er gab also einen Ukas heraus, der die vertriebenen Griechen wieder zurück nach Konstantinopel bringen sollte. Werber reisten durch das Reich und riefen "is tin polin!","Kommt in die Stadt". So entstand der Name Istanbul. Ähnliches kann auch Erdogan den Touristen zurufen, Aber wie bei Mehmet werden sie nicht so leicht gehorchen.

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