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Der Mensch als Grenzsprenger

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Seit 1. Dezember ist Österreich Schengen-Land: also in grenzenloser Verbindung mit anderen EU-Staaten, die dem Schengener Abkommen schon beigetreten sind. Unsere Nachbarn Deutschland und Italien gehören jedenfalls dazu. Auf dem Flughafen Wien-Schwechat merkt man es bereits, an den Landgrenzen wird man es in wenigen Monaten gewahren.

Ein weiterer, psychologisch wichtiger Schritt ins gemeinsame Europa ist getan.

Die Verdünnung der Grenzen im EU-Baum führt automatisch zu einer Verdichtung der Grenzen gegenüber Nicht-EU-Ländern. Wir bekommen es an den Grenzen gegenüber Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien zu spüren - hoffentlich nicht auch gegenüber Liechtenstein und der Schweiz. Das ist zunächst einmal leider unvermeidlich. Schon aus diesem Grund ist zu hoffen, daß die Voraussetzungen für eine EU-Osterweiterung ohne unnötige Verzögerung geschaffen werden können. Es ist nicht egal, ob die EU-Außengrenze 60 oder 600 Kilometer östlich von Wien verläuft.

Angesichts vieler gemeinsamer Interessen ist es auch richtig, daß Österreich für eine gleichzeitige Aufnahme der EU-Verhandlungen mit allen unseren Nachbarn, also auch mit der Slowakei, eintritt. Sie müssen ja nicht gleichzeitig enden, und Zeit für Mahnungen zur Demokratisierung im Meciar-Land bleibt noch genug.

Andererseits wäre es unverantwortlich, die Nachteile einer überstürzten Grenzöffnung nach Osten zu verschweigen. Freizügigkeit der Arbeitsmärkte könnte uns neue Arbeitslosenströme bescheren, ehe wir mit den eigenen halbwegs fertiggeworden sind.

Unbestritten ist daher auch, daß Grenzen notwendig sind. Sie dienen der Erfahrung und der Sicherung eigener Identität. Eine Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs im Kärntner Bildungszentrum 'Tainach war dem Generalthema Grenze gewidmet. „Sich nicht abzugrenzen hätte die Auflösung der eigenen Person zur Folge”, rief Harald Meindl in Erinnerung. „Die Grenze aber absolut dicht zu machen, hieße blind, erstickt, verdurstet zu verenden ... Wir sind offensichtlich auf Grenzziehung und gleichzeitige Grenzüberschreitung angelegt.”

Es kommt also gewissermaßen auf die richtige Dosierung von Grenzziehung an. Das Fallen der Grenzbalken macht Deutsche nicht zu Österreichern oder Österreicher zu Italienern. Aber es erinnert daran, daß der unvergessene Friedrich Heer den Menschen schon vor Jahrzehnten als „grenzüberschreitendes Wesen” definiert hat (nachzuhören jetzt auf einer ausgezeichnet geschnittenen Vermächtnis-CD des OBF). Der Mensch ist von seinem Wesen her ein Grenzensprenger - in Wissenschaft, Technik, Politik und auch Charakterbildung. Wer sich widerstandslos mit Grenzen abfindet, ist zum Verkümmern verurteilt.

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