Der ÖVP fehlt eine Wende

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Rücktritten, zumal in der Politik, wird ja zumeist etwas Befreiendes zugeschrieben. Abgänge, die die Fronten klären und die Zukunft zumindest etwas weniger kompliziert erscheinen lassen. Ist eine Person zur Belastung geworden, dann sind die Verbleibenen befreit. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre Guido Westerwelles Rücktritt als FDP-Vorsitzender. Oder aber eine Person empfindet eine Situation als zu belastend für sich selbst und geht - dann wäre dies Akt der Selbstbefreiung. Treffendes Beispiel: Der Rücktritt der deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler. Aber wie ist das im Fall Wolfgang Schüssels? Seltsam jedenfalls.

Schüssel geht nicht, weil er als Exkanzler die Verantwortung für die unterstellten Skandale seiner Minister übernimmt und seine Partei nicht länger belasten möchte. Nein, er geht reinen Gewissens, hat sich "nichts vorzuwerfen“ und datiert alle möglichen von ihm nicht begangenen und außerdem unbewiesenen Malversationen außerhalb seiner Amtszeit. Aber: Warum geht er dann?

Wir müssen raten: Weil der Druck durch die Enthüllungen durch die Medien zu groß wurde. Weil VP-Chef Spindelegger sich nicht täglich vom Boulevard (Krone/heute/Österreich) auffordern lassen wollte, sich seines Altvorderen zu entledigen. Weil die Parteispitze der ÖVP ihn darum bat (was sie energisch dementiert), angesichts eines kommenden Telekom-Untersuchungsausschusses.

Nicht plausibel

Die Erklärung, die Schüssel selbst abgab ist kaum nachvollziehbar. Er wolle mit seinem Rücktritt zur Aufklärung der Vorwürfe beitragen. Was hat sein Amt als Parlamentarier mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu tun? Hätte er Kraft seines Amtes die Untersuchungen behindert? Hätten die Ermittler ehrfurchtsvoll auf seine Zeugenaussage verzichtet? Das alles ist nicht plausibel.

Da in dieser Republik, wie Andreas Khol richtig bemerkt hat, nichts geheim bleibt, werden wir eine schlüssige Version wohl schon bald serviert bekommen. Vielleicht kommt man dann zu dem Schluss, dass der Rücktritt eigentlich unerheblich für die verschiedenen Causen war - vor allem aber unerheblich für die Situation, in der sich die ÖVP befindet. An ihrem Dilemma ändert Schüssels Abschied nämlich nichts. Die eine Hälfte der Republik wird weiter genüsslich über die Schüsseljahre zu Gericht sitzen und jeder Bericht über neue Vorwürfe wird die Partei weiter in die Defensive treiben.

Zielgruppenschwund

Eine gesunde ÖVP könnte die Aufarbeitung der Altlasten noch überstehen. Aber der Partei fehlt es an inhaltlicher Substanz, welche die Affären in den Schatten stellen könnte. Es fehlt an politischen Angeboten, die breite Wählerschichten ansprechen würden und an einem Programm, das den Realitäten des 21. Jahrhunderts entspräche.

Der Familienpartei ÖVP kommen die intakten Familien abhanden, der Bauernpartei kommen die Bauern abhanden, der christlichen Partei zunehmend das katholische Reservoir. Das ist eine gefährliche Gemengelage für die Volkspartei, so sie sich nicht von Grund auf modernisiert. Der schmerzhafte Prozess der Marginalisierung zeichnet sich schon jetzt in Umfragen ab. Er wird weitergehen, solange es kein Einsehen gibt, dass neue gesellschaftliche Gruppen angesprochen werden müssen. Sozial gefährdete Alleinerzieherinnen sind ebenso darunter wie ein Mittelstand, der sich im sozialen Abstiegskampf vollends im Stich gelassen fühlt. Die Stimmen der 80.000 sehr Vermögenden dieses Landes, deren Interessen die ÖVP derzeit so gerne verteidigt, werden jedenfalls nicht ausreichen, um Wahlen zu gewinnen. Die Volkspartei sollte sich daran machen, ihren Namen wieder zu rechtfertigen. Das wäre auch wichtiger, als sich in Selbsterbauungen zu üben, wie viel gutes die Wendejahre hatten - und hinter jede Aussage ein "trotzdem“ setzen zu müssen.

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