Der politische Wille zum Konsens

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Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter über seine Rolle als krisenmanager, sebastian kurz und die "neue Volkspartei" sowie zukünftige Projekte in seinem Ressort.

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Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter über seine Rolle als krisenmanager, sebastian kurz und die "neue Volkspartei" sowie zukünftige Projekte in seinem Ressort.

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Er sieht sich als parteifreien, katholisch geprägten Christlich-Sozialen, trauert ein wenig der Großen Koalition nach, sieht aber auch den neuen VP-Obmann Sebastian Kurz ganz in der Tradition der bisherigen ÖVP. Ein Weitermachen als Justizminister nach den Wahlen schließt er nicht aus.

Die Furche: Herr Vizekanzler, wie gefällt Ihnen eigentlich diese Anrede - haben Sie sich schon daran gewöhnt?

Wolfgang Brandstetter: Ich habe jetzt eine ganz spezielle Aufgabe übernommen, das ist mir schon klar. Und ich bin auch deswegen Vizekanzler geworden, weil ich nach wie vor mit allen Regierungskollegen gut kann -und das ist die Voraussetzung dafür, dass sich noch einiges vom gemeinsamen Regierungsprogramm umsetzen lässt.

Die Furche: Wie blicken Sie auf die Arbeit dieser Regierung insgesamt zurück?

Brandstetter: Ich finde es schade, dass dieses Regierungsprojekt letztlich gescheitert ist. Aber man wird vielleicht mit einigem zeitlichen Abstand feststellen, dass doch einiges gelungen ist. Da gibt es auch etliches, wo die ÖVP über ihren Schatten gesprungen ist: Frauenquote in Aufsichtsräten, Primärversorgungszentren, Bildungsreform Insgesamt aber ist das, was ursprünglich an Gemeinsamkeit da war, im Lauf der Zeit verloren gegangen.

Die Furche: Klingt da ein bisschen Nostalgie nach der Großen Koalition durch? Bedauern Sie es, dass diese Regierungsform, die über Jahrzehnte die dominierende in Österreich war, nun möglicherweise unwiderruflich an ihr Ende gekommen ist?

Brandstetter: Persönlich bin ich schon so geprägt, dass mir der größtmögliche Konsens ganz wichtig ist. Konsens ist ein Wert an sich, und der Kompromiss ist eine der besten Erfindungen der Menschheit. Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist - und so habe ich auch meine Arbeit als Justizminister immer verstanden -Polarisierung möglichst zu vermeiden.

Die Furche: Könnte es nicht einfach sein, dass da über viele Jahre zwei Parteien zusammengespannt waren, die völlig unterschiedliche Weltbilder vertreten, unterschiedliche historisch-politische Narrative mit sich tragen? Dass da also zusammen regiert, was weltanschaulich nicht zusammengehört?

Brandstetter: So scharf kann ich das nicht sehen. Zum ersten: Wenn das so wäre, dann hätte es nach dem Krieg nicht so lange erfolgreiche Koalitionen zwischen ÖVP und SPÖ gegeben. Zum anderen glaube ich, dass es ausreichend Schnittmengen gibt, auf denen man aufbauen könnte: etwa wenn ich an christlich-soziale Ideen denke, die ja nicht so weit weg von sozialdemokratischen Ideen sind. Und ich glaube auch, dass man nicht vergessen darf, was in der Ersten Republik passiert ist. Die Lehren daraus muss man ziehen, und die Gefahren darf man nicht übersehen: Zuspitzung und Verabsolutierung eigener Standpunkte, mangelnde Kompromissfähigkeit - das ist letztlich immer schlecht für die Gesellschaft.

Die Furche: Sie sind als Parteifreier - wenn auch auf einem ÖVP-Ticket -in die Regierung gekommen. Würden Sie die ÖVP als Ihre politische Heimat bezeichnen - und gilt das auch für die "neue Volkspartei"?

Brandstetter: Ich bin sicher jemand, den man der christlich-sozialen Grundorientierung zuordnen kann. Von daher gibt es natürlich mit der ÖVP viele Schnittmengen. Aber ich sehe solche Schnittmengen, wie schon erwähnt, auch mit der Sozialdemokratie, ich habe auch privat immer Freundschaften zu Personen verschiedener weltanschaulicher Prägung gehabt. Für mich selbst aber ist eine christlich-soziale und auch katholische Prägung sicher bestimmend.

Die Furche: Nun meinen manche, dass unter dem neuen Obmann Sebastian Kurz ebendieses christlich-soziale Profil ins Hintertreffen geraten könnte, dass die "neue Volkspartei" generell mehr auf Zuspitzung, Polarisierung, Abgrenzung zu den Mitbewerbern setzt. Wie sehen Sie diesen Wandel, den die ÖVP offensichtlich durchmacht - und fühlen Sie sich da, gerade vor dem Hintergrund dessen, was Sie vorher gesagt haben, noch zu Hause?

Brandstetter: Absolut. Weil ich nicht nachvollziehen kann, wie man zu dieser Interpretation kommt, dass diese neue Bewegung, die "Liste Sebastian Kurz", für Zuspitzung steht. Ganz im Gegenteil: Kurz hat ja mehrfach gesagt, er will, dass dieses ständige Hickhack aufhört, dass Sachpolitik gemacht wird. Das war seine Ansage -und ich erlebe das auch so. Was allerdings wirklich neu ist bei Kurz: Er versucht historisch gewachsene, verkrustete Strukturen aufzubrechen, die uns blockiert haben.

Die Furche: Gesetzt den Fall, die ÖVP wird am 15. Oktober stärkste Partei, Sebastian Kurz vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt und er bietet Ihnen an, in seinem Team als Justizminister weiterzumachen: Wäre das eine Option für Sie - oder haben Sie genug von der Politik?

Brandstetter: Also ich habe in meinem Ressort einige Reformvorhaben angestoßen, die noch Zeit bräuchten und die ich auch gern zu Ende führen würde. Wenn mich Sebastian Kurz bitten würde, zur Verfügung zu stehen, dann wäre das eine Frage der Rahmenbedingungen -das müsste ich mir dann konkret anschauen.

Die Furche: Was wären denn solche Projekte, die Sie gerne angehen bzw. zu Ende führen würden?

Brandstetter: Da wäre einmal der gesamte Bereich des Straf- und Maßnahmenvollzugs. Mir ginge es dabei darum, dass psychisch kranke Straftäter medizinisch optimal betreut werden und nicht ständig die Krankenanstaltenträger alles tun, um sie nicht behandeln zu müssen; und dass auf der anderen Seite sichergestellt wird, dass das Gefahrenpotenzial, das von solchen Menschen ausgeht, verlässlich kontrolliert wird. Da hat man jahrelang eine Situation zugelassen, die natürlich auch zu solchen Katastrophen wie auf dem Brunnenmarkt (ein junger Kenianer hatte im Mai 2016 eine 54-Jährige mit einer Eisenstange erschlagen, der Mann wurde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen; Anm.) geführt hat. Da sagen wir jetzt: Wir wollen uns darum selbst kümmern, das heißt: die Justiz muss selbst Spezialkliniken betreiben. Eng in Verbindung damit ein weiteres Vorhaben: die Standortoptimierung der Justizanstalten. Welche Standorte machen überhaupt noch Sinn? Da muss man manche sicher auflassen und neue schaffen.

Die Furche: Gibt es noch etwas jenseits des Komplexes Strafvollzug?

Brandstetter: Ganz wichtig ist mir die Reform der Sachwalterschaft durch das Erwachsenenschutzgesetz, das nächstes Jahr in Kraft treten wird. Da wäre mir wichtig, darauf zu schauen, dass das dann auch entsprechend umgesetzt wird. Das ist nämlich wirklich ein Paradigmenwechsel, den wir da geschafft haben: weg von dem Bild, dass der Mensch nur ein Teil der Konsumgesellschaft ist und wenn er in bestimmten Bereichen als Rechtssubjekt nicht mehr "funktioniert", dann kommt ein Sachwalter und die Welt ist wieder in Ordnung. Im Gegenteil, man muss genau schauen, wo wirklich Unterstützung notwendig ist, um die Selbstbestimmung des Menschen weitestmöglich zu erhalten.

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