Hat er oder hat er nicht? Das katholische Kondom-Verbot gelockert. Es war die diesbezügliche Bemerkung Benedikts XVI. im Interview-Buch mit Peter Seewald, die wieder einmal global Furore machte. Ja, Sex sells. Dies ist mittlerweile auch dem Vatikan nicht fremd, denn es war der Osservatore Romano der das Kondom-Zitat vor Erscheinen des Buches "Licht der Welt" in die Weltöffentlichkeit posaunte. In der Sache scheint alles viel simpler, denn die Rede vom "geringeren Übel" - und darauf läuft die Argumentation des Papstes hinaus - ist auch in der katholischen Kirche längst nichts Neues. Und einmal mehr ist darauf hinzuweisen, dass die katholische Kirche schon seit Jahrzehnten ihre Orientierungskompetenz beim Thema Sexualität eingebüßt hat: Katholik(inn)en halten sich im besten Fall ans eigene Gewissen oder scheren sich - im schlechtesten Fall - keinen Deut darum, was Rom sagt.
Kontext der katholischen Weltlage
Außerdem verstellt diese Diskussion den Blick auf grundlegende Weichenstellungen in der katholischen Weltkirche. Man kann im Hinblick auf das Buch dem Papst zugutehalten, dass er mit dieser Kommunikationsform erfrischend offen umgeht und damit mehr Menschen erreicht, als es päpstliche Enunziationen normalerweise vermögen. Dass Peter Seewald allerdings ein affirmativer und gar kein kritischer Fragesteller ist, macht es Benedikt XVI. auch wieder leicht.
Im Grundduktus des Interviews (man hat den Eindruck, dass Seewald da auch nichts anderes hören wollte) bleibt der Pontifex bei den bekannten Positionen, vor allem was sein gebrochenes Verhältnis zur Moderne und die daraus folgende defensive Weltsicht betrifft.
Und man sollte dieses gedruckte Gespräch im Kontext der katholischen Weltlage lesen. Nein, hier geht es nicht um einen schöngeistigen, wenn auch durchaus zeitdiagnostischen Diskurs. Sondern auch dieser Band fügt sich in den globalen Mainstream des katholischen Zeitgeistes, der stramm gen rechts wandert: Es geht nicht mehr ums Überhandnehmen konservativer Positionen gegenüber liberalen - das fand längst unter Johannes Paul II. statt. Vielmehr ist weiteres Abdriften zu konstatieren.
Von Rom bis New York
Die Rehabilitierung der Piusbrüder war da nur ein erster Höhepunkt, auch wenn man dem Papst persönlich abnimmt, dass es ihm dabei um die Aufhebung eines Schismas zu tun war. Aber es gibt weitere Indizien für obigen Befund: Anfang November wurde etwa das Engelwerk, eine sattsam bekannte ultrakonservative Gruppierung, von der Glaubenskongregation neu anerkannt. Und immer wieder weisen Insider darauf hin, wie sehr Personalia in Rom, aber auch Bischofsstühle mit Parteigängern aus diesem Spektrum besetzt werden - aufschlussreich dazu etwa das Buch "Der heilige Schein" von David Berger, des ehemaligen "Jungstars" der Ultrakonservativen (vgl. Seite 19 dieser FURCHE).
Auch die jüngste Wahl des Erzbischofs von New York, Timothy Dolan, zum Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz spricht für sich: Dolan war von den Bischöfen völlig überraschend dem eher liberalen Favoriten vorgezogen worden. Diese Wahl zeigt, dass bereits die Mehrheit der US-Bischöfe dem rechten Spektrum zuneigt. Dolan war bislang durch den Vergleich von Homosexualität mit Alkoholmissbrauch aufgefallen, er ist ein Gegner von Präsident Obamas Gesundheitsreform und war führend beim - erfolglosen - Versuch einiger Bischöfe wegen Obamas Haltung in der Abtreibungsfrage, eine Rede des Präsidenten an der katholischen Universität Notre Dame zu verhindern. Was würde man hierzulande sagen, wenn die Bischöfe den Bundespräsidenten, der bekanntlich Agnostiker ist, ausladen würden, vor einer katholischen Institution zu sprechen? In den USA steht ein Repräsentant solch gesellschaftspolitischer Haltung nun der katholischen Ortskirche vor.
Man mag sich gar nicht ausmalen, was da weiter im Schwange ist.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!