Der Regenwaldmensch

Werbung
Werbung
Werbung

Im Mai 2000 verliert sich die Spur des Schweizer Umweltschützers Bruno Manser im malaysischen Regenwald. Nunmehr wurde der "Penan-Mann" offiziell für tot erklärt.

Wenn ich groß bin, möchte ich einen guten Beruf haben, der mit der Natur zu tun hat. Zum Beispiel Naturforscher. Mein Beruf sollte ein wenig abenteuerlich sein! Könnte ich nur einmal nach Sumatra, Borneo und Afrika und dort im tiefen, undurchdringlichen Dschungel zwischen Gorillas, Orang Utans und anderen Tieren wie ein Höhlenbewohner hausen!" Diese Lebensperspektive, die der 12-jährige Gymnasiast Bruno in einem Schulaufsatz formulierte, hat sich für ihn erfüllt. Er wurde Naturforscher, führte ein höchst abenteuerliches Leben, hat wie ein steinzeitlicher Höhlenbewohner gehaust - und gelangte sogar nach Borneo, dieser drittgrößten Insel der Welt, die zu seiner Bestimmung werden sollte.

Vom 23. Mai 2000 stammt sein letztes Lebenszeichen, ein Brief an seine Schweizer Lebensgefährtin Charlotte Bélet, der diese nie erreichte. Er wurde von Unbekannten im Postamt des Dschungelortes Bareo aufgegeben und blieb dort liegen. Manser unterschrieb mit einem gezeichneten Männchen, das jemandem eine lange Nase dreht. Er sei in einem Gebüsch versteckt, schrieb er, und warte auf die Dunkelheit, um den Holzfällerstraßen zu folgen.

Er war vielen unangenehm, hatte viele und mächtige Feinde, dieser starrsinnige Zivilisationsflüchtling, geboren 1954 in Basel. Schon früh zeigt sich in ihm eine tiefe Naturverbundenheit, der Drang, Tiere, Pflanzen, das Wetter zu erforschen. Der kleine Bruno verbringt Tage in den Basler Wäldern, um das Wesen der Natur kennen zu lernen; selbst am Balkon der Stadtwohnung baut er sich aus Baumteilen und Laub eine Schlafstelle zum Übernachten. Später, nach der Matura, wird er Schafhirte und Senn in den Bündner Alpen, lernt weben, töpfern, schmieden, schweißen, zimmern, Bienen züchten, drechseln, Kuhglocken gießen ...

"Mich vom System befreien"

Früh äußert sich in Bruno schon eine radikale Zivilisationskritik. Bereits in dem eingangs erwähnten Schulaufsatz erwähnt er: "Als Mann möchte ich alle Fabriken, die nicht lebensnotwendig sind, dem Erdboden gleich machen." Daraus entwickelt sich dann immer mehr eine Kritik am Kapitalismus: "Sobald ich unabhängig bin, werde ich mich vom System befreien und mich hoffentlich nicht wieder integrieren lassen." Er sieht sich als kleinen Revolutionär und Spinner, der "er selbst" sein wolle.

Borneo ist die größte Insel des Malaiischen Archipels, überzogen - zumindest in Bruno Mansers Jugend - von endlosen Regenwäldern. Borneo, dorthin bricht der 30-jährige Bruno Manser auf, "um ein Volk kennen zu lernen, das autark und ohne Geld in seiner frei gewachsenen Kultur lebt" und, wie er sagt, "auf der Suche nach den eigenen, verschütteten Wurzeln".

In dieser Zeit leben im Norden der malaysischen Provinz Sarawak noch etwa 12.000 Penan - eines der über 400 Urvölker Borneos. Nur mehr an die 300 Familien ziehen noch als Vollnomaden durch die Regenwälder, leben vom Jagen und Sammeln, in völligem Einklang mit der Natur, aber auch völlig ausgesetzt ihren Widrigkeiten. Diese Familien sucht der Schweizer Zivilisationsflüchtling auf, schließt sich ihnen an, der schmächtige Brillenträger mit dem großen Rucksack - und wird mit der Zeit auch tatsächlich von ihnen angenommen, wird zum "Laki Penan", zum "Penan-Mann". Er erlernt ihre einfache und für ihn zunächst oft schmerzliche Lebensweise, das Barfußgehen, Nacktsein, ständige Feuchtigkeit, Insekten, Blutegel, gefährliche Tiere, Malaria. Der zähe Europäer überlebt selbst Sumpffieberattacken und den Biss einer Giftschlange, und bald jagt auch er mit Blasrohr und Giftpfeil, erlegt Bären und Affen und sammelt Waldfrüchte, erlernt das Spiel der Nasenflöte und die Sprache der Penan. Bruno Manser ist in seinem Paradies angelangt. Es ist kein Paradies der gebratenen Tauben, der Sorglosigkeit, sondern eines, in dem alle natürlichen Gegensätze wie Leben und Tod, Freude und Trauer ständig präsent sind, in dem der Mensch sich fortwährend behaupten muss.

Zivilisation holt ihn wieder ein

Mit einem hatte Bruno Manser aber nicht gerechnet: Dass ihn diese Zivilisation, vor der er geflüchtet war, auch bei den Penan, einholen würde. Das Kreischen der Kettensägen und das Dröhnen der Bulldozer und Lastwagen beginnt den Urwald zu durchdringen, Baumriesen werden gefällt, um zu Luxusmöbeln und Yachten, zu Fensterrahmen und Essstäbchen verarbeitet zu werden. Das hochwertige Hartholz der Regenwaldbäume besiegelt die Zerstörung des Regenwaldes. Der Kampf gegen diese Zerstörung sollte nunmehr zum Lebensinhalt des Bruno Manser werden.

Die Penan-Familien bitten ihn um Hilfe. Der Schweizer "Laki Penan" zögert, gerät in einen Konflikt. Er entscheidet sich schließlich, die Stimme der Penan in die Weltöffentlichkeit zu tragen. Nach sechsjähriger Abwesenheit, 1990, kehrt er in die Schweiz zurück und beginnt nun mit derselben Hartnäckigkeit und Zähigkeit, mit der er das Leben als Urwaldnomade erlernte, eine internationale Kampagne zum Schutz des Regenwaldes der Penan - und bald auch anderer Regenwaldvölker - aufzubauen.

Der "Penan-Mann" gründet in der Schweiz den "Bruno-Manser-Fonds" (bmf) und rückt den Überlebenskampf des Urwaldvolkes aus Borneo in den Mittelpunkt der globalen Regenwaldbewegung. Die Regierung von Malaysia und die Regionalregierung von Sarawak stehen als größte Regenwaldzerstörer am Pranger. Ein Ziel der Aktivitäten des bmf ist ein internationaler Bann aller Tropenholzimporte. Unermüdlich reist Manser um die Welt, hält Vorträge, spricht mit internationalen Gremien. Am 1. März 1993 beginnt er in der Nähe des Berner Bundeshauses ein Wasserfasten mit der Forderung, die Schweiz möge alle Tropenholzimporte aus Malaysia verbieten. Die Schweizer Öffentlichkeit reagiert mit großer Anteilnahme, die Regierung jedoch lässt sich nicht erweichen. Am 60. Fastentag bricht Manser, zu Tode geschwächt, auf Drängen seiner Freunde den Hungerstreik ab. Jedes Kind in der Schweiz weiß nunmehr, wer die Penan sind und dass ihr Überleben vom Erhalt der Regenwälder abhängt.

Zurück zu den Penan

In diesen Jahren besucht Bruno Manser mehrmals im geheimen "seine" Penan. Die malaysische Regierung hatte ihn schon vorher zum Staatsfeind erklärt und ein Kopfgeld von 50.000 us-Dollar auf seine Ergreifung ausgesetzt, Doch die Zerstörung durch den Raubbau geht weiter, und Penan werden bei ihren Protestaktionen wie Straßenblockaden verhaftet, misshandelt, vor Gericht gestellt.

Am 15. Februar 2000 bricht Bruno Manser erneut nach Borneo auf. Der eingangs erwähnte Brief vom 23. Mai ist sein letztes Lebenszeichen. Das bmf-Büro in Basel versucht erfolglos, mit Manser Kontakt aufzunehmen. Penan-Suchtrupps durchkämmen die Wälder und Abholzgebiete; aus der Schweiz starten mehrere Suchexpeditionen. Doch Bruno bleibt verschollen. Er könnte verunglückt sein, in einem Gefängnis schmachten - oder, am wahrscheinlichsten, ermordet und spurlos beseitigt worden sein. Doch es gibt keine Beweise für diese Annahme.

Am 10. März 2005 entscheidet das Basler Zivilgericht, den "Penan-Mann" amtlich für tot zu erklären; am 21. Mai findet in Basel eine Erinnerungsfeier für Bruno Manser statt. Der Manser-Fonds setzt seinen Kampf fürs Überleben der Penan und vieler anderer von der Zerstörung ihres Lebensraumes bedrohter Urwaldvölker fort.

Tagebuch

Der Bruno-Manser-Fonds hat eine vierbändige Edition der Tagebücher von Bruno Manser aus seiner Penan-Zeit herausgegeben - eine großartige Edition und Hommage an den unbeugsamen Regenwaldschützer.

BRUNO MANSER

Tagebücher aus dem Regenwald

Verlag Christoph Merian, 4 Bände im Schuber, 720 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, e 64,-

Der bmf gibt eine Zeitschrift heraus, "Tong Tana", die sich für den Schutz der Regenwälder und der Waldvölker einsetzt.

Info und Bestellungen:

www.bmf.ch und info@bmf.ch,

Tel. 0041 - 61 - 261 94 73

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung