Der reiche, arme Vielvölkerstaat Asiens

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Vor einem Jahr hat sich Myanmar in die Demokratie gewählt. Doch der Weg zu einer funktionierenden Marktwirtschaft ist noch lang. Das liegt an mangelnden Investments, aber auch an den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen den 135 Ethnien im Land.

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Vor einem Jahr hat sich Myanmar in die Demokratie gewählt. Doch der Weg zu einer funktionierenden Marktwirtschaft ist noch lang. Das liegt an mangelnden Investments, aber auch an den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen den 135 Ethnien im Land.

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Riesige Plakate für Kreditkarten, obwohl kaum einer der etwa 52 Millionen Einwohner Myanmars eine hat; Jugendliche, die sich vor der Kassa eines Geschäftes drängen, das ein neues Handymodell verkauft in einem Land, in dem funktionierendes Internet keine Selbstverständlichkeit ist. Glaspaläste neben Bretterhütten und die jüngste Börse Asiens, an der kurz nach ihrer Eröffnung vor einem Jahr nur eine einzige Aktie gehandelt wurde.

Yangon, das vormalige Rangun, war bis 2005 Hauptstadt. Die Stadt am Ostrand des Irrawaddydeltas ist mit mehr als fünf Millionen Einwohnern die größte Stadt und das industrielle Zentrum Myanmars und symptomatisch für die Situation des südostasiatischen Landes.

Myanmar ist ein Land der Gegensätze; ein Land im Umbruch. Vor einem Jahr hat Aung San Suu Kyi, Tochter des Unabhängigkeitshelden General Aung San, mit ihrer Partei, der "Nationalliga für Demokratie"(NLD) die erste freie Wahl seit dem Ende der Jahrzehnte andauernden Herrschaft des Militärs klar gewonnen. Allerdings kann die 71-Jährige, die 1991 den Friedensnobelpreis für ihre Bemühungen, die Demokratisierung ihrer Heimat voranzutreiben, bekommen hat, nach der vom Militär diktierten Verfassung nicht Präsidentin werden, da sie mit einem Engländer verheiratet war und ihre beiden Söhne ausländische Pässe haben. So ließ sie ihren langjährigen Freund Htin Kyaw am 1. April 2016 zum Präsidenten angeloben und erklärte gleichzeitig, dass sie "über dem Präsidenten stehe". Nun lenkt sie als mächtige Außenministerin und Staatsrätin de facto die Geschicke des Landes.

Armut trotz Ressourcen

Probleme gibt es in Myanmar genug: Auf dem weltweiten Entwicklungsindex liegt Myanmar auf Platz 148 von 188, im Korruptions-Ranking auf Platz 156 von 175; und das Land hat nach wie vor die niedrigsten staatlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung in ganz Südost-Asien. Dabei ist Myanmar ein ressourcenreiches Land. Das wirtschaftliche Potenzial des Landes ist enorm, es verfügt über große Erdgas- und Erdölvorräte, Edelhölzer, Kupfer, Edelsteine und andere Rohstoffe sowie über große Wasserkraftreserven und landwirtschaftliche Nutzflächen.

Besonders die riesigen Erdgasvorkommen garantieren eigentlich auf Jahre großes Wirtschaftswachstum. Wirtschaftlich und politisch konkurrieren die großen Nachbarländer Indien und China seit Jahrhunderten bis heute um den Einfluss in Myanmar.

Pagoden aus Gold

Unzählige Edelsteine sind auch in die Shwedagon-Pagode in Yangon eingearbeitet. Und kolportierte 60 Tonnen Gold. Die Shwedagon-Pagode ist weithin sichtbar. Sie ist der wichtigste Sakralbau und das religiöse Zentrum Myanmars. Hier sammelten sich Könige und Generäle, bevor sie in die Schlacht zogen, hier steht das Denkmal zur Erinnerung an jene Studenten, die sich im Jahr 1920 gegen die Britische Herrschaft zur Wehr setzten, und hier demonstrierten im September 2007 tausende buddhistische Mönche - erfolglos - gegen die Militärregierung. Die Shwedagon-Pagode ist gleichzeitig politisches UND ein religiöses Symbol. Knapp 87 Prozent der Einwohner des Landes sind Buddhisten. Zudem gibt es 135 Ethnien und unterschiedliche Religionen - in einem Land, doppelt so groß wie Deutschland. Offiziellen Angaben zufolge sind fünf Prozent der Einwohner Myanmars Christen; etwas mehr als drei Prozent bekennen sich zum Islam.

Derzeit gibt es zahlreiche bewaffnete Konflikte zwischen religiösen und/oder ethnischen Minderheiten. Aktuell kämpfen 20 Rebellengruppen -vor allem gegen die Armee, sagt Suresh Bartlett, Landesdirektor von World Vision Myanmar, das mit seinen Projekten in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung und Gesundheitswesen in 13 Provinzen tätig ist. "In Kachin gibt es einen schlimmen Konflikt, und im Norden des Bundesstaates Shan", so Bartlett.

In Chin, an der Grenze zu Indien und Bangladesch, einer der abgelegensten Regionen des Landes, gibt es eine große christliche Minderheit, die von der Armee systematisch verfolgt und misshandelt wird." Bartlett spricht von alljährlich zehntausenden Tote und unzähligen Binnenflüchtlingen. Viele der Konflikte gibt es schon so lange, dass sie nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit stünden, klagt er.

Weltweit bekannt allerdings wurde jener gegen die muslimischen Rohingyas im nordwestlichen Teil des Landes, an der Grenze zu Bangladesch. Sie werden offiziell nicht als eigenständige Bevölkerungsgruppe anerkannt. Vor 35 Jahren wurde der diskriminierten Volksgruppe sogar die Staatsbürgerschaft aberkannt; vor einigen Monaten ist die Gewalt eskaliert. Ein Großteil der Bevölkerung Myanmars sieht die Rohingya - im Gegensatz zu ihrer Eigenwahrnehmung -immer noch als illegale Einwanderer, dazu kommt ein großes Misstrauen der buddhistischen Mehrheit gegen die muslimische Minderheit.

Nun hat die Gewalt gegen die Rohingyas dramatische Ausmaße angenommen, hunderte wurden getötet, mehr als 150.000 vertrieben. "Ultra-nationalistische Mönche haben den lang schwelenden Konflikt entzündet. Buddhistischer Extremismus ist ein Phänomen, das wir seit Jahren beobachten", sagt Bartlett.

Zu grausamen Übergriffen gegen die religiöse und ethnische Minderheit der Rohingyas kommt es vor allem durch das Militär. Die Vereinten Nationen, NGOs, Papst Franziskus und einige muslimische Länder, allen voran Malaysia, haben die gezielte Verfolgung und Tötung verurteilt. Vor allem im Ausland wird auch Aung San Suu Kyi für ihr scheinbar passives Verhalten im Konflikt kritisiert.

World-Vision-Chef Bartlett meint, dass die Politikerin das Militär nicht durch eine zu harte Konfrontation zu einem neuen Coup provozieren will. "Die Demokratisierung unseres Landes wird deshalb noch lange Zeit brauchen."

Touristen-Magnet

Ungeachtet dessen kommen Jahr für Jahr mehr Touristen ins Land. Obwohl Aung San Suu Kyi vor Jahren zu einem Tourismus-Boykott aufgerufen hat, der so lange dauern solle, bis es Demokratie im Land gäbe. Ihr Argument war, kein weiteres Geld in die Taschen des Militärs fließen zu lassen. Das Gegenargument: Die Bevölkerung würde durch das Wegbleiben von Touristen zusätzlich gestraft.

Myanmar ist reich an prachtvollen buddhistischen Tempeln, Stupas und Pagoden. Die weltweit größte Ansammlung mit knapp 2.000 Bauten befindet sich auf einer Fläche von mehr als 30 Quadratkilometern in Bagan, der einstigen Königsstadt am Ufer des Flusses Irrawaddy. Spektakulär sind dort die Sonnenauf-und -untergänge, egal ob aus einem der Heißluftballons betrachtet oder von der Spitze eines der Bauwerke.

Das Hinaufklettern soll nun aber verboten werden, "weil es zu viele negative Auswirkungen hat", wie die mächtigste Politikerin vor Kurzem sagte. Das geplante Kletterverbot hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Aber der ist wohl eines der kleinsten Probleme, mit dem Aung San Suu Kyi derzeit zu kämpfen hat.

| Die Reise wurde von World Vision Österreich finanziert |

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