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Der Schlüssel zum Panzerschrank

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Auf der schweizerischen Expo- Ausstellung mag das Igelmodell einen gewissen dekorativ-propagan- distischen Wert als Ausdruck schweizerischer Wehrentschlossenheit besitzen und Anklänge an ein anderes Bild aus der vaterländischen Geschichte der Eidgenossen, an Sempach und Winkelried und die auf dessen Brust zusammengegriffenen Lanzenspitzen erwecken. Als Hauptleitbild einer gesamten Landesverteidigung jedoch erinnert es fatal an dasjenige der Maginotlime, wenn auch einer unendlich vervielfachten, zwiebelähnlichen und bis ins Innere des Landes reichenden Vielzahl von Maginotlinien. Sie besitzt somit nicht nur die vervielfachten Nachteile einer passiv-stationären Verteidigung, sondern auch den, daß sie unendlich viel Geld kostet. So sehr uns Österreichern die schweizerische Wehrfreudigkeit wahrlich als Vorbild dienen soll, könnten wir uns an einer solchen strategischen Auffassung kaum ein Beispiel nehmen. Wenn die Schweizer mit dem Igel vor allem dartun wollen, wie sehr sich jeder Aggressor an dessen Spitzen stechen wird, so entspringt dieses Bild doch dem Bewußtsein eines Landes, das der Kern und Sitz eines finanziellen Imperiums ist, eines respektablen internationalen Panzerschrankes, dessen Unantastbarkeit ein von einem unerhört starkem staatsbürgerlichem Bewußtsein erfülltes Volk mit all den reichen finanziellen und materiellen Mitteln zu verteidigen bereit ist, die ihm zur Verfügung stehen. Sowohl jene internationale Funktion als auch die Entschlossenheit, sie und damit die internationale raison d’etre der Schweiz zu verteidigen, haben einander wechselseitig in den beiden Weltkriegen gestärkt und geholfen, die schweizerische Neutralität und territoriale Integrität zu erhalten.

Nichtsdestoweniger ist nun gerade aus dieser Panzerkassen-Maginot- Igel-Konzeption das eigentliche Problem der schweizerischen Landesverteidigung erstanden: sogar der reichen Schweiz werden die Kosten für diese Maginotzwiebel zu hoch, und das Aufkommen einer desperaten Diskussion über eine atomare Verteidigung der Schweiz ist nur ein Symptom dafür. Stellen denn auch daher die Schweizer neuerdings die

„geistige Landesverteidigung“ — das haßt, die Rolle des Menschen — wieder in den Vordergrund, so muß dieses Moment das Um und Auf einer österreichischen Landesverteidigung sein.

Das „Insekten“-Prinzip kommt dieser Aufgabe entgegen: Es ermöglicht die Lösung sehr spezifischer österreichischer Wehrprobleme. So würde durch den von ihm vertretenen Einsatz „kleiner und kleinster selbständig vorgehender Gruppen“, der so viel diskutierte Leerlauf in der Ausbildungszeit, wegfallen. Dieser Leerlauf wurde bisher vor allem durch den Mangel an höher ausgebildetem Personal bewirkt, das inbesondere für die Koordinierung zentralistisch gelenkter, umfangreicherer und komplizierterer Operationen unumgänglich nötig ist. Die Führer kleiner Gruppen brauchen keine Berufssoldaten zu sein; nach ausreichender theoretischer Instruktion kann sehr wohl von ihnen deren selbständige praktische Umsetzung im Übungsraum verlangt werden.

Das „Insekten“-Prinzip ist sowohl im Ernstfall als auch im Ausbildungsstadium verwirklichbar, nicht ohne engste Zusammenarbeit der agierenden Gruppen mit der Zivilbevölkerung. Gerade dadurch wird aber unserem Volke nicht nur der Sinn und Zweck unserer Verteidigung im wahrsten Sinne des Wortes „vorexerziert“ — es wird in sie auf eine Weise einbezogen, die es lehrt, die Landesverteidigung zu verstehen, zu akzeptieren und auf sich selbst anzuwenden. Übrigens wurden Übungen dieser Art höchst erfolgreich in jüngster Zeit von kleinen Einheiten des Bundesheeres in engstem Kontakt mit örtlichen Bevölkerungskreisen durchgeführt, welche die ihnen zugeteilten Aufgaben mit großem Gusto lösten. Es ist schade, daß diese so positive Erfahrung bisher einen so geringen Niederschlag in den öffentlich vertreten Auffassungen des Ministeriums für Landesverteidigung und somit ebensowenig Beachtung im Regierungsbericht und übrigens auch in Oberst Duič’ Artikel gefunden hat.

Dieses Konzept gestattet uns auch, auf für die heutige politische Struktur Österreichs bedeutsame Weise an positive jüngere Traditionen der österreichischen Landesverteidigung anzuknüpfen. Der republikanische Wehrgedanke in Österreich ist in den Kämpfen um das Burgenland und um Kärnten entwickelt worden, und zwar unter stärkster Beteiligung der Sozialisten, j’J zum Teil unter deren Führung. Um so paradoxer erscheint es, daß heute Teile der SPÖ erst wieder für die Landesverteidigung gewonnen werden müssen.

Der britische Labour-Politiker Brian Magee, dessen Buch „Der neue Radikalismus“ demnächst in deutscher Übersetzung in Wien herauskommt, schreibt hierin unter anderem: „Eine Verteidigungspolitik muß erstens der für das Land notwendigen Verteidigung entsprechen, zweitens den finanziellen, menschlichen und anderen Ressourcen des Landes angepaßt, und drittens so beschaffen sein, daß dessen Wähler nicht dagegen stimmen. Wenn diese drei Bedingungen nicht erfüllt sind, kann es überhaupt nicht — oder zumindest lange nicht zu einer Landesverteidigung kommen.“ Magee wirft hierauf seiner Partei vor, diese drei

Bedingungen lange Zeit nicht genug beachtet zu haben. Der Vorwurf ist auf eine Weise auch der österreichischen SP zu machen, auf andere Weise jedoch auch der ÖVP, dort nämlich, wo es sich nicht (wie für Teile der SPÖ) um die Beantwortung des „Ob überhaupt Landesverteidigung“, sondern um „Was für eine Landesverteidigung?“ handelt. Hier wurde bisher entweder überhaupt nicht oder nur traditionalistisch oder nur von tagespolitischen Rücksichten und nicht von jenen oben genannten drei Voraussetzungen ausgehend gedacht. Das spiegelt sich denn auch noch immer im Denken mancher Militärs wider — was es aber nicht dürfte.

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