7104232-1995_24_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Schock des Bosnien-Desasters sitzt tief

19451960198020002020

Das Desaster der UNO, der Weltgemeinschaft, in Bosnien hat allen, auch uns?, Angst vor Friedensabenteuern eingeflößt.

19451960198020002020

Das Desaster der UNO, der Weltgemeinschaft, in Bosnien hat allen, auch uns?, Angst vor Friedensabenteuern eingeflößt.

Werbung
Werbung
Werbung

Der international bekannte Schweizer Sicherheitsexperte Curt Gasteyger befürchtet, daß „diese Tragödie in Ex-Jugoslawien, die in den letzten Wochen vor unseren Augen abgelaufen ist, einen großen Schock für alles bedeutet, was nicht nur friedenserhaltende, sondern erst recht friedensschaffende Operationen der UNO anbetrifft”. Die Konsequenz für die sogenannte Weltgemeinschaft in der Einschätzung Gasteygers: „Man wird sich schon sehr genau überlegen, ob man sich nochmals unter solchen sehr umstrittenen, sehr unklaren Verhältnissen in solche Operationen einläßt -ganz abgesehen vom Finanziellen.” Der Konfliktforscher verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß * nach einer jüngst veröffentlichten Statistik - die UNO peace keeping Aktion in Ex-Jugoslawien 70 Prozent des Budgets der gesamten friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen absorbiert. Er könne verstehen, so Gasteyger, daß UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali die Meinung vertrete, Europa sei eine „reiche Begion”, die für sich selber sorgen solle, zumal kaum Geld für Buanda, Somalia und andere gigantischere Krisen- und Kriegsherde (siehe Graphik) zur Verfügung stehe.

Als Grund für das verheerende Scheitern der UNO-Mis-sion in Bosnien nennt Gasteyger die Tatsache, „daß man in einen Konflikt eingegriffen hat, der noch nicht beendet war, also das Gegenteil von dem bestand, was man mit peace keeping erreichen will, den Frieden erhalten”. Ein weiterer Grund liege in der Veränderung der friedenserhaltenden Missionen nach Ende des Kalten Krieges: jetzt beteiligten sich auch die bisher von solchen Aktionen bewußt ausgeschlossenen Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, was natürlich Diskussionen mit sich bringe und Missionen erschwere - siehe das Verhältnis Großbritannien/ Frankreich einerseits und Bußlands andererseits im Bosnienkrieg.

Soll die „Weltgemeinschaft” überhaupt in kriegerische Konflikte mit dem Ziel eingreifen, Frieden zu erhalten oder gar zu schaffen (was nach der Friedens-Agenda 1992 von UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali wünschenswert wäre)? Die Massenmedien, merkt Gasteyger an, hätten mit ihren schrecklichen Bildern von Gefangenen und Getöteten die öffentliche Meinung so stark mobilisiert, „daß die Begie-rungen hier unter Druck kamen, tatsächlich etwas zu tun”. Das sei ein relativ neues Phänomen, keine Begierung könne das ignorieren. Er wolle die Massenmedien damit nicht kritisieren, aber doch darauf hinweisen, daß eine Sensationshascherei für viele im Konkurrenzkampf wesentlich sei, was unvermeidlicherweise das Gesamtbild einer Konfliktsituation völlig verfälsche: „Wir sind auch in Jugoslawien meines Erachtens Opfer solcher Einseitigkeiten geworden, die Polarisierungen herbeiführten und die Bereitschaft zur Kon-flikbewältigung oder die Suche nach einem Konsens der beteiligten Parteien außerordentlich erschwerten.”

Ein Mechanismus zur Konfliktregelung interner Konflikte (um solche handelt es sich derzeit weltweit meistens; große internationale Kriege seien zumindest in der nördlichen Hemisphäre „sehr, sehr unwahrscheinlich” geworden) besteht nach Gasteyger derzeit entweder nicht oder er sei - Stichwort: präventive Diplomatie - so defizitär, „daß man wahrscheinlich aufgrund der bisherigen Erfahrungen sagt: Wir werden sehr vorsichtig sein, uns noch einmal so eine Blamage wie die in Jugoslawien zu leisten.” Friedensstörende Maßnahmen schon im Keime zu ersticken, sei zwar manchesmal mit vielen Konzessionen gelungen, „ob das weiter der Fall ist, nach diesen Erfahrungen, das ist doch ziemlich fraglich. Warum soll sich die Staatengemeinschaft, warum sollen sich Osterreich, die Schweiz oder die Vereinigten Staaten unbedingt dafür interessieren, was in Tschetschenien, in Kurdistan oder wo immer passiert -wo man schon von vornherein weiß, daß man wahrscheinlich wiederum versagen wird?”, stellt Gasteyger die Gewissensfrage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung