Der Schrei der Olivenbäume

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Seit Wochen schon hindert man die Leute der umliegenden 30 Dörfer daran, mit dem Auto nach Birzeit zu fahren. Sie gehen auf heimlichen Pfaden über die steinigen und dornigen Wege durch die Täler. Sie erzählen, was dort passiert, sie sind voller Angst vor Übergriffen und sprechen vom Verbrennen der Felder, von Ausgehverboten, die Augenzeugen verhindern sollen. Sie sagen, das Land westlich von Birzeit sei total abgeriegelt und zur geschlossenen Militärzone erklärt worden. Niemand kann - so sagen sie - die Hauptstraße benutzen, um Ramallah oder Birzeit zu erreichen.

Der Weg von Deir Glassaneh oder Abud nach Birzeit (normalerweise eine Autofahrt von zehn bis 15 Minuten) ist heute für Studenten nahezu unüberwindlich: zwei bis drei Stunden zu Lehrveranstaltungen, die dann vielleicht überhaupt nicht stattfinden. Kranke sterben, weil sie keine Chance haben, rechtzeitig medizinische Hilfe zu finden. Kranke und Alte werden über die Berge getragen und haben keine Chance, die nächste Straße zu erreichen. Das ist Folter, das ist entwürdigend, das ist ein klarer Bruch der Menschenrechte, und es ist noch mehr, es ist systematische Politik, den Menschen das Leben so schwer als möglich zu machen, damit sie endlich weggehen aus dieser Region. Es ist nichts anderes als Mord, auch wenn man versucht, ihm ein zivilisiertes Gesicht zu geben.

Gestern besuchte mich eine Freundin in Birzeit, und ich bat sie, mich in ihrem Auto - sie hat ein internationales Kennzeichen - in die militärische Sperrzone zu begleiten. Nach einem Kilometer der erste Check-Point. Die Soldaten hatten ein solches Kennzeichen noch nie gesehen. Verwirrung. Wir kamen durch. Wir blieben irgendwo stehen, und ich zeigte ihr unser Land, unsere Olivenbäume. Man hatte uns durch die Absperrung gehindert, unser Land zu bearbeiten. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, dass wir Palästinenser unser Land vernachlässigen, ein guter Vorwand, es einfach zu konfiszieren.

Was darauf folgt, konnten wir wenig später sehen. In der Nähe der Siedlung Halamish sahen wir entlang beider Seiten der Straße und tief ins Land hinein die totale Verwüstung. Hunderte Olivenbäume waren ausgerissen und zerstampft worden. Der Boden aufgebrochen und dutzende Panzer und viele Soldaten waren dabei, weitere Bäume auszureißen und buchstäblich zu zermalmen, das Land einzuebnen und die alten Terrassen zu zermalmen. Vielleicht ein neuer Bauplatz für eine Militärbasis oder eine der neuen so genannten Siedlungen, die ja nichts anderes als Wehrdörfer sind. Wir wurden entdeckt und lösten unsagbare Verwirrung aus. Die einen hießen uns bleiben und nicht zu rühren, die andern hießen uns möglichst schnell zu verschwinden. Die Soldaten reagierten wie Diebe, die sich auf frischer Tat ertappt fühlen. Unser überraschendes Erscheinen in dem von den Militärs zerstörten Gebiet passte ihnen nicht.

Für mich persönlich war das Ganze die Erfahrung von tiefstem Schmerz. Das Land rund um Birzeit ist meine Landschaft, meine Natur. Ich bin 53 Jahre alt, ich bin gemeinsam mit diesen Bäumen aufgewachsen. Ich bin Botanikerin, und über die Jahre habe ich meine Studenten und Studentinnen in diese wunderbare Landschaft geführt, um ihnen diese reiche Flora und die in ihr gewachsene Kultur und Geschichte zu zeigen. Ich habe ihnen hier die Liebe und Hingabe zu ihrem Land, ja, die Identifizierung mit dem Boden, dem Boden aus dem sie gewachsen sind, gelehrt.

Gestern musste ich einen militärischen Befehl unterlaufen, um dorthin zu gelangen, wo meine Wurzeln sind und wohin zu gehen man uns hindert. Mein Herz schlägt schnell und immer schneller, während ich mich dem Wald nähere. Da steht ein Panzer, mit schweren Waffen bestückt - um den Wald abzusperren. Ich winke meinen Bäumen zu, ich nenne sie beim Namen, erzähle ihnen von meinem Schmerz und dem Todesschrei ihrer alten Brüder, denen man gerade des Garaus gemacht hat. Mit Tränen in den Augen sehe ich im Schimmer die Rinde voller Runzeln und den Tanz der Äste und Zweige im Wind von gestern. Heute hängt alles schlaff herab an den dem Sterben ausgelieferten Körpern. Keine Chance für morgen meine Freunde, aber ein Lächeln für jene, die noch einmal davongekommen sind, zumindest für heute. Vielleicht seid ihr dann noch da, wiegt eure Zweige, für die Studenten, die Kinder von morgen, wenn es ein Morgen gibt. Ich jedenfalls bin voll von Schmerz, und ich schreibe dies nieder, damit niemand sagen kann: Ich habe es nicht gewusst!

Die Autorin ist Professorin für Biologie, Botanik und Ökologie an der Birzeit-Universität/Ramallah, Protagonistin des Dialogs zwischen israelischen und palästinensischen Frauen seit den Uranfängen, Trägerin des Bruno-Kreisky-Preises und Autorin (unter anderem "Thymian und Steine").

Zum Thema

Zwischen dem l9. und dem 30. September hat sich jenseits der medialen Berichterstattung etwas ereignet, das der Erwähnung bedarf. Drei Palästinensische Frauen hatten die Gelegenheit, in Innsbruck, Graz, Salzburg, Linz, St. Pölten und Wien darüber zu erzählen, was es heißt, in Zeiten der eskalierenden Gewalt im Heiligen Land zu leben, zu überleben, den Alltag zu bewältigen, ohne zu verzweifeln oder wegzulaufen. Tausende Österreicher ließen sich von ihren Erzählungen berühren und tief bewegen. Immer wieder die Frage: "Warum wissen wir das nicht? Warum sagt uns das keiner? Warum erfahren wir nichts davon?" Hier als Anstoß zum Nachdenken und zum Nachfragen zwei Texte, von Sumaya Farhat-Naser und eine während dieser Friedensmission entstandene Zeit-Beschreibung von Viola Raheb. Dolores Bauer

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