Der slowakische Bruder ist Euro-Meister

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Ein europäischer Erfolgsweg auf getrennten Wegen: Im Jänner 2009 führt die Slowakei als erster ehemaliger Satellitenstaat Moskaus den Euro ein. Und mit dem Jahreswechsel übernimmt Tschechien 20 Jahre nach der Samtenen Revolution erstmals den EU-Ratsvorsitz.

Die Großmutter im früheren Deutsch-West-Ungarn, dem heutigen Burgenland, verwendete in den 70er Jahren für Orangen die tschechische Bezeichnung "Pomerantschen". Der "Sliwowitz", slowakisch für Zwetschkenschnaps, wurde selbst gebrannt. Heute lacht sich die Slowakische Republik einen Ast über den Nationalstolz Ungarns. Sie ist der erste ehemalige Satellitenstaat Moskaus, der den Euro einführt. Längst bevor am 1. Jänner 2009 die europäische Gemeinschaftswährung die Koruna ablöst, zeigten die Slowaken den Ungarn, wo der Bartel den Most holt. Ungarn stand bei den Slowaken so hoch im Kurs wie kaum je zuvor.

Beim südlichen Nachbarn war dank Kursverfall der Währung im Gefolge der weltweiten Finanzkrise alles verlockend billig geworden - und der Staat gerade noch am Bankrott vorbeigeschrammt. Die Slowakei hat im Gegensatz zu Ungarn schmerzhafte Reformen durchgeführt: Die Krise wurde nicht nur besser abgefedert, sondern der südliche Rivale auch in Bezug auf den Euro ausgebremst. Die Slowaken freuten sich an der Wertsteigerung gegenüber dem Forint und pendelten eifrig über die Grenze. Ob zum Ausflug in die Konditorei oder zum Kauf einer Tiefkühltruhe inklusive Inhalts.

Konflikt mit "beraubten" Ungarn

Selbstbewusstsein ist Trumpf, nachdem sich die Slowaken jahrhundertelang zurückgesetzt fühlten. Zunächst Teil Ungarns, also des Osmanischen Reiches, geht die kleine Nation 1918 im neuen Staat Tschechoslowakei auf. "Das war die Lebensrettung. Ohne diesen Schritt hätten wir heute keine Slowakische Republik", sagt Juraj Alner. Er ist Journalist in Bratislava und sicherte sich bei der Auflösung der Tschechoslowakei beide Staatsbürgerschaften (siehe Interview). Die Entstehung der CSSR ist aber auch die Antwort auf die Frage, warum die ungarisch-slowakischen Beziehungen nach wie vor nicht gelöst sind. Denn nach ungarischer Interpretation hätten die Tschechen in Trianon (einer der Pariser Vororte-Verträge von 1918/19) Oberungarn "geraubt".

Trotz föderaler Struktur der Tschechoslowakei blieb der slowakische Teil benachteiligt und vor allem wirtschaftlich unterentwickelt im Vergleich zum größeren tschechischen Landesteil. Gut, dass sich zwei machtbewusste Starrköpfe wie Václav Klaus und Vladimir Meciar nach der Samtenen Revolution nicht einigen konnten und sich auf eine Verselbstständigung der beiden Gebiete festlegten. Dabei waren 1992 die Aussichten für die Slowakei wesentlich ungünstiger als für die Tschechische Republik. Zudem war Staatsgründer Vladimir Meciar ein Rabauke. Er führte das Land vorübergehend in die internationale Isolation, die Beitritte zu NATO und EU schienen sich zu verzögern - bis Meciar endlich über seinen undemokratischen und polarisierenden Regierungsstil stolperte und abgewählt wurde. Eine bürgerlich-sozialdemokratische Koalition löste 1998 die Willkürregierung des Ex-Kommunisten ab. Die Kommunistische Partei ist eine Randerscheinung und nicht im Parlament vertreten, während sie in Tschechien relativ stark ist.

Bakschisch ist immer noch okay!

Ein echter Aufschwung begann erst nach 2002 mit den wirtschaftlichen Reformen und dem EU-Beitritt 2004. Anfang 2009 bleibt die Slowakei bei der doppelten Preisauszeichnung in Euro und Kronen, verpflichtend bis 24. August, in Realität wahrscheinlich bis 2010. Im 16. Euro-Land - das vierte (nach Zypern, Malta, Slowenien) der seit 2004 beigetretenen EU-Länder - haben sich rund 13.300 Unternehmen mit ausreichend Euro-Münzen und -Banknoten eingedeckt.

Die größten Probleme sind dessen ungeachtet die nach wie vor langsame und korrupte Justiz sowie Korruption generell, unterstreicht der slowakische Politologe Ivan Kuhn gegenüber der FURCHE. Viele Bürger würden daher ihre Rechte erst gar nicht verteidigen, "weil sie nicht glauben, dass Wahrheit und Recht gewinnen können", sagt er. Korruption und Klientelismus auf allen politischen Ebenen und in der öffentlichen Verwaltung seien tief verwurzelt und rührten ebenfalls aus den kommunistischen Zeiten. "Da war es aufgrund der Knappheit allgemein akzeptiert und wurde nicht als moralisch verwerflich angesehen, wenn man Bakschisch zahlte, um Waren und Dienstleistungen zu bekommen."

Das kommunistische Erbe sieht der tschechische Soziologe und Meinungsforscher Pavel Severa auch als "ein wirkliches Problem" in der Tschechischen Republik. "Die Kommunisten sind nach wie vor die drittstärkste Partei, obwohl sie sich nie reformiert haben und sich niemals schuldig bekannten für das, was sie 40 Jahre lang getan haben." Korruption und die "geringe politische Kultur" seien ebenso große Probleme und mit den kommunistischen Strukturen des Landes verbunden.

Der Fürst als europäische Leitfigur

Tschechien ist das erste ehemalige Ostblock-Land, das ab Jänner den EU-Ratsvorsitz führt. Und das ausgerechnet mit dem europäischen Paria Václav Klaus an der, freilich ohnehin nur repräsentativen, Staatsspitze. Im Gegensatz zu seinem slowakischen Ex-Kollegen Meciar als erster Regierungschef nach der Trennung Tschechiens und der Slowakei hält sich Klaus schon bedeutend länger in der Politik. Ob es ihn schmerzt, dass die abtrünnige Slowakei wirtschaftlich Tschechien den Rang abgelaufen hat und bereits den Euro einführt? Wohl kaum. Chauvinisten wie er setzen lieber auf historische Ressentiments. Die europäische Einigung, die auch seinem Land gut bekommt - von den zahlreichen Touristen in Prag bis zur Reise- und Arbeitnehmerfreizügigkeit der Tschechen selbst -, wird verteufelt. Außenminister Karel Schwarzenberg vermag als Leitfigur das internationale Ansehen des Landes auszugleichen.

Die EU-Stimmung in der tschechischen Bevölkerung liegt jedenfalls im europäischen Durchschnitt. Und ist damit deutlich positiver als in Österreich, geht aus den Eurobarometer-Umfragen hervor. Ihre EU-Mitgliedschaft hält rund die Hälfte der Tschechen für eine "gute Sache". Im Unterschied dazu sagt das in Österreich konstant nur ein Drittel der Befragten. Für ein Drittel der Österreicher ist die EU eine "schlechte Sache", und ein Drittel antwortet "weder noch". In Tschechien findet ebenfalls die Hälfte der Befragten, die Europäische Union entwickle sich in die richtige Richtung. Dieser Meinung sind nicht einmal ein Drittel der Österreicher.

"Europa ohne Grenzen" ist das Motto der tschechischen Regierung für den EU-Ratsvorsitz unter Premier Mirek Topolánek. Wirtschaft, Effizienz, Energie und auswärtige Angelegenheiten lauten die Schwerpunkte. Man wolle nicht zurückkehren zu "exzessiver staatlicher Regulierung", hieß es aus Prag in Bezug auf die wirtschaftlichen EU-Hilfsmaßnahmen infolge der Finanzkrise. Damit könnte sich Tschechien von dem protektionistisch ausgerichteten EU-Ratsvorsitz Nicolas Sarkozys abgrenzen. In einem weiteren Punkt unterscheidet sich das tschechische vom französischen EU-Halbjahresprogramm: Im außenpolitischen Schwerpunkt fehlen die EU-Russland-Beziehungen.

Die Autorin ist freie Journalistin und Österreich-Berichterstatterin für das Eurobarometer.

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