Der Tag des Subcomandante

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Vor zehn Jahren begann die Zapatistenrevolution in Mexiko. Die politisch-ökonomischen Strukturen konnte der Aufstand zwar kaum verändern - doch ein weltweiter Umdenkprozess wurde in Gang gesetzt.

Öffne die Augen - es geht uns schlecht!" steht auf einer Mauer im Zentrum von San Cristóbal de las Casas im südlichen Mexiko. Dieser Satz stimmt - heute mindestens genauso wie vor zehn Jahren, 1. Jänner 1994, wenige Minuten nach dem Jahreswechsel nehmen Angehörige verschiedener Maya-Völker mehrere Bezirkshauptorte und San Cristóbal de las Casas, die ehemalige Hauptstadt von Chiapas, ein. Diese erste Phase des Aufstands verläuft erfolgreich und relativ unblutig, doch in folgenden Kämpfen mit der Armee und durch die Repressionsmaßnahmen von Polizei und Militär kommen viele indianische Kämpfer und Zivilpersonen ums Leben. Die Kirche zählte Tausend Tote.

Am Morgen dieses 1. Jänner gibt "Subcomandante Marcos" in San Cristóbal eine Pressekonferenz, in der er der "illegitimen" mexikanischen Regierung den Krieg erklärt. Die bewaffneten Auseinandersetzungen finden jedoch bald ein Ende: Am 12. Jänner ordnet Präsident Carlos Salinas de Gortari eine Waffenruhe seitens der Armee an; wenige Tage später verkündet er eine Generalamnestie für die zapatistischen Aufständischen - so benannt nach dem mexikanischen Revolutionshelden Emiliano Zapata. Doch die sozialen Ursachen für den Aufstand gibt es auch ein Jahrzehnt später noch, ja sie haben sich verschärft.

Brot, Gesundheit, Frieden

Diese Verschärfung hat viel mit dem zweiten historischen Ereignis zu tun, für das dieser 1. Jänner 1994 steht. Mit diesem Datum trat das NAFTA in Kraft, das aus Kanada, den USA und Mexiko bestehende nordamerikanische Freihandelsabkommen. Der von den Zapatisten für den Aufstand gewählte Zeitpunkt war kein Zufall.

Marcos, der sich bald als der Führer oder vielmehr der Sprecher der indianischen Rebellen zu erkennen gab - bis heute aber seine Identität nicht gelüftet hat -, begründete die bewaffnete Aktion als eine der Möglichkeiten, die Forderungen der indigenen Bevölkerung zu Gehör zu bringen. Und diese Forderungen beziehen sich in erster Linie auf die Befriedigung der Primärbedürfnisse: "Brot, Gesundheit, Erziehung, Frieden", wie es der "Sub" Marcos kurz und prägnant aufzählte.

Die offizielle Rhetorik spricht eine andere Sprache. Für die Regierung ist das NAFTA-Abkommen der Weg, Mexiko schlagartig "ins 21. Jahrhundert und in die Erste Welt" zu katapultieren. Das Schicksal der Menschen dieses Landes, vor allem der indianischen ländlichen Bevölkerung, hat die Regierungen Mexikos noch nie sonderlich interessiert.

Kann der zapatistische Aufstand in der Geschichte als Erfolgsstory verbucht werden oder war es bloß eine spektakuläre Theaterposse mit tragischen Folgen für die ansässige Zivilbevölkerung? Die Antwort wird verschieden ausfallen, je nach dem Realitätsgrad der Erwartungen des Antwortenden und auch entsprechend der Einschätzung der heutigen Situation.

Polit-Tourismus boomt

Chiapas ist immer noch der ärmste Bundesstaat Mexikos. Das Pro-Kopf-Einkommen ist um die Hälfte niedriger als in der Hauptstadt, und bei allen Entwicklungs-Parametern wie Kindersterblichkeit, Einschulungsraten, Arbeitslosigkeit liegt Chiapas an unterster Stelle. Die politisch-ökonomische Herrschaftsstruktur im Bundesstaat hat sich nicht geändert. Profitiert hat höchstens San Cristóbal, das nun nicht nur wegen seiner kolonialen Sehenswürdigkeiten, sondern auch als Symbol des zapatistischen Aufstandes besucht wird. Dieser Polit-Tourismus hat zum Entstehen neuer Unterkünfte und Restaurants und Internet-Cafés geführt, und die moderne Devotionalien-Industrie läuft auf Hochtouren. Der Subcomandante auf T-Shirts und als Strohpuppe, ebenso Emiliano Zapata und Che Guevara, die alle möglichen Konsumartikel verzieren. Aber auch Verkaufsläden des fairen Handels von lokalen Bauern-Genossenschaften gehören nunmehr zum Stadtbild.

Dennoch ist die ökonomische Entwicklungsbilanz für den gesamten Bundesstaat eindeutig negativ. Auch die humanitäre Situation in Chiapas hat sich nach dem Aufstand verschlechtert. Die Region wurde völlig militarisiert; die Armee förderte, auf Anweisung der damaligen Regierungspartei PRI, den Aufbau von paramilitärischen Gruppen, die die zapatistischen Gemeinschaften und vermeintliche Sympathisanten terrorisierten. Trauriger Höhepunkt dieser Repressions-Strategie das Massaker von Acteál: Am 22. Dezember 1997 stürmten Paramilitärs eine kleine Holzkirche, in der sich gerade katholische Tzotzil-Indios zum Gebet versammelt hatten, und eröffneten wahllos das Feuer auf die Gläubigen - 45 Frauen, Männer und Kinder starben im Kugelhagel.

Es war das internationale Medienecho, das dazu führte, dass eine beträchtliche Anzahl von Tätern zur Verantwortung gezogen wurden. Die Frage nach den Hintermännern wurde in den Prozessen allerdings nicht berührt.

Letztendlich fehlgeschlagen ist auch die Zielsetzung der spektakulären Friedenskarawane der Zapatisten durch ganz Mexiko. Anfang 2001 wollten sie damit die parlamentarische Verabschiedung eines Autonomie-Statuts für indigene Gemeinschaften erreichen. Nach dem triumphalen, von Hunderttausenden Menschen bejubelten Einzug der Zapatisten in der Hauptstadt wurde von Präsident Fox die Umsetzung der Autonomie in Aussicht gestellt - wenige Monate später verabschiedete der Kongress ein völlig verwässertes, substanzloses Indígena-Gesetz.

Begeisterter Empfang

Dieser Marsch der Zapatisten zeigt eine andere Facette der zapatistischen Rebellion: die der Bewusstseinsbildung. Auf dieser "Karawane des Friedens" wurden die vermummten indianischen Frauen und Männer aus Chiapas von Millionen begeistert begrüßt. Ganz Mexiko stand im Bann der politischen Ethik der Zapatisten, die nicht nach der Staatsmacht greifen, sondern für das neue Politikverständnis einer partizipativen Demokratie werben.

Die starke nationale und internationale Solidarität mit den Zapatisten ist mit ein Grund dafür, dass die mexikanische Regierung heute nicht mehr auf militärische oder paramilitärische Unterdrückung und Einschüchterung setzt. Das EZLN genießt viel Freiraum, und nützt ihn auch. Kürzlich hat sie ihre Strategie neu definiert: Die etwa 30 zapatistischen Gemeinden in Chiapas wurden zu fünf Caracoles, "Muschelschnecken", zusammengeschlossen. Das zapatistische Befreiungsheer zieht sich zurück. Die Frauen und Männer in den Caracoles wählen nach ihren Bräuchen Juntas de Buen Gobierno, "Räte der guten Regierung", die das Konzept der zapatistischen Autonomie umsetzen sollen.

Gegründet im Urwald

Zwanzig Jahre EZLN, zehn Jahre Aufstand: Unter diesem Titel - "20 y 10" - feiern die Zapatisten derzeit die Jahrestage ihrer organisatorischen und kämpferischen Existenz. Am 17. November 1983 gründeten fünf Männer und eine Frau im Urwald von Chiapas die zapatistische Befreiungsbewegung. Erst mit dem 1. Jänner 1994 wurden die EZLN und ihr "Sub" nicht nur zu einer Symbol-Instanz des Kampfes für die Menschenrechte indigener Gemeinschaften, sondern zu Bannerträgern der globalisierungskritischen Bewegung überhaupt, für die die poetischen Manifeste Marcos eine wichtige ideelle Basis darstellen.

In Chiapas feierten die Zapatisten unter sich, ohne Öffentlichkeit. Doch in Mexiko-Stadt finden noch bis Mitte Jänner zahlreiche Ausstellungen, Veranstaltungen, Konzerte, Filmvorführungen zur Rebellion statt. "Es sind 20 Jahre, aber wir fangen gerade erst an", kommentiert EZLN-Comandante Abraham den Gründungstag seiner Organisation. Diese Gelassenheit und die Rückbesinnung auf traditionelle indianische Werte könnten dazu führen, dass die zapatistische Rebellion trotz des scharfen neoliberalen Gegenwinds mittelfristig doch den Sieg davonträgt.

Der Autor ist Redakteur des "Südwind-Magazins".www.suedwind-magazin.at

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