Der umgekehrte Kreisky-Effekt

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Zuerst war Bundeskanzler Bruno Kreisky gegen eine Zwentendorf-Volksabstimmung, dann war er dafür und verknüpfte die Entscheidung mit seiner politischen Zukunft. Wem hat das genützt?

Die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf am 5. November 1978 war die erste Volksabstimmung der Zweiten Republik. Im Jänner 1978 hatte Bundeskanzler Bruno Kreisky noch dezidiert festgestellt: "Die Frage Atom ist ganz und gar kein Thema, das sich für eine Volksabstimmung eignet." Ende Juni kündigte er diesselbe an.

Kreisky konnte zu diesem Zeitpunkt von einem haushohen Sieg der Zwentendorf-Befürworter ausgehen: Umfragen ergaben eine Zweidrittel-Mehrheit für den Anschluss des Atomkraftwerks an das Stromnetz. Innerhalb von vier Monaten gelang es den AKW-Gegnern jedoch, die Stimmung komplett umzudrehen, 20 Prozent der Stimmberechtigten auf ihre Seite zu ziehen. Und das gegen die Übermacht eines "Pro-Atom-Kolosses", bestehend aus Regierung, Wirtschaft, Industrie, Gewerkschaftsbund und E-Wirtschaft, die für ihre Kampagne über 30 Millionen Schilling (2,2 Millionen Euro) ausgegeben haben.

Auch die Kirche machte ratlosen Eindruck

Die Haltung der offiziellen Katholischen Kirche in der Debatte ist am besten als "Wischi-Waschi" zusammengefasst. In der Linzer Kirchenzeitung war im Juli 1978 als Überschrift zu lesen: "Auch die Kirche macht einen ratlosen Eindruck." Heinz Stockinger, damals wie heute Sprecher der "Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE) hat im September 1978 einen Offenen Brief an die Katholischen Bischöfe Österreichs verfasst. Darin schreibt er: "Zwar haben die Unterzeichner dieses Briefes den Eindruck, dass die Kirche zu den Atomkraftwerken lieber Nein sagen würde. Kardinal König erklärte denn auch Anfang Juli:, Es wäre besser, ohne auszukommen.' - doch gleichzeitig scheint es uns, sie wolle sich doch nicht die Finger verbrennen."

Schließlich entschieden 50,5 Prozent und ein Überhang von 30.000 Stimmen gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks. Kreisky sprach von einer "persönlichen Niederlage". Der Publizist und AKW-Gegner Günter Nenning schrieb am 7. November: "Das österreichische Volk hat über seine Regierenden gesiegt. Die Engagierten über die Bürokratisierten, die Hungerleider über die Geldsäcke, der gesunde Menschenverstand über die Besserwisserei der Experten."

Daheimgebliebene SPÖ-Anhänger

Die Experten hatten nach dem Abstimmungsdebakel auch sofort eine Erlärung für das Unerklärliche parat: Die Volksabstimmung sei nur aus parteipolitischen Gründen, aber nicht aus sachlichen, gegen Zwentendorf ausgegangen. Als Beleg führten die Anhänger dieser These den politischen Knieschuss Bruno Kreiskys an, der seine politische Zukunft mit der Entscheidung über Zwentendorf verknüpft hatte. Der "Kreisky-Effekt" habe demnach dem Nein genützt und dem Ja geschadet, habe Atombefürworter aus ÖVP und FPÖ aus Gegnerschaft zu Kreisky in AKW-Gegner verwandelt.

PLAGE-Sprecher Heinz Stockinger widerspricht. Die Abstimmungsabstinenz war bei den Zwentendorf-Gegnern deutlich größer als bei den Abstimmungs-Befürwortern. Und dafür gibt es eine plausible Erklärung: "Das sind mehrheitlich SPÖ-Anhänger gewesen, die lieber erst gar nicht hingegangen sind, als gegen die Parteilinie zu sündigen." (wm)

3,2 Mio.

Stimmen wurden insgesamt bei der Zwentendorf-Volksabstimmung abgegeben. In den Umfragen lagen die Befürworter bis zuletzt vorne. Am Ende entschied eine Mehrheit von 50,5 Prozent und ein Überhang von 30.000 Nein-Stimmen gegen das Kraftwerk im Tullnerfeld.

30 Jahre

NEIN zu Zwentendorf-Kundgebung: Zum Thema sprechen AKW-Gegnerinnen und -Gegner der ersten Stunde, Atom- und Klimaexperten, Vertreter aus dem gewerkschaftlichen und kirchlichen Demokratie- und Umweltbewegungen.

Mittwoch, 5. November 2008, 17 Uhr, Stock im Eisen Platz/Stephansplatz, 1010 Wien

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