Der Unverblümte und das Prinzip Kritik

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Die Generalsekretäre von großen politischen Parteien sind meistens nicht über Gebühr beliebt. Immer müssen sie Scharten auswetzen, die die Dummheit oder die unglückliche Hand der Kollegen verursacht haben. Ständig stehen sie im Infight mit dem politischen Gegner, immer müssen sie anpatzen, aufdrehen und -auch das - schamlos lügen.

Heiner Geißler hat diesen Job, das Austeilen und Einstecken, das Provozieren geliebt. Er war um kein Interview und keine Spitze verlegen, und er holte oft auch mit dem rhetorischen Bihänder aus, wo es ein Florett auch getan hätte. Die Friedensbewegten der 30er-Jahre bezeichnete er einmal als "Ermöglicher" von Auschwitz, die SPD als die "fünfte Kolonne" des Kommunismus. Und seinen eigenen Parteivorsitzenden Helmut Kohl als Vorsitzenden einer "führerkultischen" Partei. Mit Heiner Geißler war also nicht gut Kirschen essen, weder als Gegner noch als Parteifreund. Von Kohl ist der Satz überliefert: "Der Mann macht mich krank, ich kann ihn nicht mehr ertragen." Ja, und so kann es in der Politik schnell bergab gehen, und Geißler wurde von seinem Chef nach einem gescheiterten Putschversuch 1989 gegangen.

Nun stand er vermehrt zur Vertretung von Bürgerinteressen zur Verfügung, als geschickter Vermittler in Tarifverhandlungen oder als Schlichter bei Stuttgart 21, vermittelnd,wenn es sein musste, als unverblümter Kritiker wo notwendig. Die internationale Finanzwirtschaft war sein erklärter Feind, undemokratisch und unkontrolliert, der Reichtum sei falsch verteilt, "Geld gibts wie Dreck, es liegt nur bei den falschen Leuten". Sein Fernbleiben bei Demonstrationen gegen einen G20-Gipfel begründete er einmal so: "Damit ich nicht zurückschlage, wenn ich (von einem Polizisten, Anm.) angegriffen werde." Das handelte ihm beinahe einen Parteiausschluss ein. Als "Herz-Jesu-Marxist"(Helmut Kohl) war er ohnehin schon verschrien. Dazu passte auch, dass er der erste CDU-Mann bei Attac wurde. Dort sagte er unter anderem: "Das Wirtschaftssystem ist nicht konsensfähig und zutiefst undemokratisch, es muss ersetzt werden durch eine neue Wirtschaftsordnung. "Zuletzt widmete er sich wieder der Gottesfrage, aber wie in allem blieb er auch da ein Zweifler: "Unabhängig davon, ob Gott existiert, ist die Botschaft des Evangeliums so überragend, dass ich versucht habe, mich in meinem politischen Leben daran zu orientieren." Heiner Geißler ist am 12. September 87-jährig gestorben.

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