Der Weg führt ins Freie

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Manfried Welan engagierte sich als Wissenschafter für den Aufbruch der Universitäten, als Kommunalpolitiker für jenen Wiens. Seine Betrachtungen zeigen, wo Politik anzusetzen hat.

Manfried Welan hat die Hochschulpolitik mitgeprägt, an der Wiener Kommunalpolitik mitgewirkt, kurz, ein halbes Jahrhundert der Republik gedient (s.u.). Ein Gespräch über Entwicklungslinien, eigene und republikanische.

Die Furche: Ihr Leben ist offensichtlich geprägt von Rechtswissenschaft und Politik?

Manfried Welan: Und von der Bürokratie.

Die Furche: Wir denken nicht an externe Einflüsse, sondern an Ihren inneren Antrieb.

Welan: Bemerkenswerterweise habe ich nie einen Karriereweg geplant, sondern akzeptiert, was sich mir angeboten hat.

Die Furche: Warum wählten Sie die Rechtswissenschaft? Wegen der Gerechtigkeit? Wegen des abstrakten, analytischen Denkens? Und warum dann die Politologie?

Welan: Das trifft alles zu. Wesentlich ist, dass mir im Studium der Bezug zur Gesellschaft fehlte. Wir haben Recht ohne Gesellschaft studiert, ober besser gesagt, gelehrt bekommen. Durch meine Praxis als Verwaltungsjurist der Technischen Universität und als Schriftführer am Verfassungsgerichtshof habe ich stark die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Recht, zwischen Politik und Recht sowie zwischen Politik und Verfassung erlebt.

Die Furche: Politik ist von Recht nicht zu trennen. Es geht um das Leben des Einzelnen, um dessen Rechte und Pflichten sowie darum, welcher staatlichen Steuerung dies alles unterliegt.

Welan: Ich war stark durch die "Reine Rechtslehre“ von Hans Kelsen beeinflusst. Die Bedeutung dieser Lehre für die Praxis habe ich am Verfassungsgerichtshof schätzen gelernt: Dort konnten sich die Vertreter der katholischen Naturrechtslehre und jener einer materialistischen Philosophie durch das Medium der "Reinen Rechtslehre“ gut verständigen. Diese Lehre hat es unterschiedlichen Gruppierungen und Ideologien erlaubt, miteinander umzugehen, einen Dialog zu pflegen.

Die Furche: Liegen darin nicht Geheimnis und Dilemma Österreichs? Dass die Rechten und die Linken zwar miteinander sprechen können, aber einiges dann nicht ausverhandeln? Viele Fragen der Gesellschaftspolitik, etwa im Schulwesen, sind bis heute offen.

Welan: Ja, und auch der Grundrechtskatalog gehört zu diesen offenen Punkten. Wir stehen in Österreich vor dem merkwürdigen Paradoxon, vieles von der Monarchie in der Republik weiterzuführen. Das beginnt bei Grundrechten und reicht bis zu Institutionen der Kontrolle. Es ist die Fortsetzung der Monarchie, nicht im dynastischen Sinne, sondern in jenem des Liberalismus. Dieser hat sich in der Monarchie in Recht und Verfassung ausgedrückt, und das setzt sich in der Republik fort. Das ist der Unterschied Österreichs zu allen anderen Nachfolgestaaten der Monarchie.

Die Furche: Ist dieses Österreich geprägt von einem kleinbürgerlichen Milieu mit der Bereitschaft, sich einem Paternalismus zu unterwerfen, um sich dann sicher zu fühlen?

Welan: Die Österreicher, sagte ich stets, sind ein gutes Volk, ein gutmütiges, wohl wert, dass sich die Politiker seiner unterwinden. Die Kontinuität jedenfalls bedeutet auch Stabilität. Die Bundesländer stammen aus dem Mittelalter, die Gemeinden bestehen seit der Grundentlastung 1848, die Ministerien ebenfalls seit diesem Jahr, die Bezirkshauptmannschaften seit 1868. Der Bundespräsident verdankt 80 Prozent seiner Zuständigkeiten dem Monarchen. Es besteht hier tatsächlich Kontinuität. Neu war in der Republik die Demokratisierung des Wahlrechts. Aber die Parteien, mit Ausnahme der Grünen, haben sich ebenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebildet. Das ist die Dialektik der Entwicklung: Dass sich das Liberale, das in den Institutionen steckt, durchsetzt und erzieherisch wirkt. Der Sinn der österreichischen Geschichte ist der Weg ins Freie. Wobei mir die Zivilgesellschaft zu sehr Bourgeoisie ist und zu wenig Citoyen, also zu individualistisch, zu wenig republikanisch. Das gesamthafte, das Gemeinschaftsdenken ist zu wenig ausgeprägt, das zeigen auch die neuen Gruppierungen.

Die Furche: Damit zu Wissenschaft und Universitäten, die von Aufbruch, von Dynamik, von Internationalisierung geprägt sind ...

Welan: ... das waren schon meine Programmpunkte als Präsident der Rektorenkonferenz (1979-1981, Anm.).

Die Furche: Dazu gibt es die Autonomie, die Sie zum zehnten Jahrestag wie beurteilen?

Welan: Um die Entwicklungen vom UOG 1975 bis heute vereinfacht auszudrücken: Damals hatten wir an den Universitäten eine Demokratie ohne Autonomie, heute haben wir eine Autonomie ohne Demokratie. Diese Dialektik, von einem Extrem in das andere zu wechseln, muss durch die Praxis überwunden werden. Daher plädiere ich immer wieder dafür, dass die Rektoren von sich aus informelle Mitbestimmungselemente einbauen, um dem Mittelbau und den Studierenden diesbezüglich mehr Möglichkeiten zu geben.

Die Furche: Die Universitäten beklagen einen Mangel an finanziellen Mitteln.

Welan: Die finanzielle Abhängigkeit der Universitäten vom Staat ist ein Problem. Daran könnten auch Studiengebühren nichts ändern. Nur kurz dazu: Ich war seinerzeit dagegen, weil ich meinte, bei schlechter Ausstattung der Universität könne man nicht Gebühren verlangen. Das ist jetzt anders. Ich könnte mir eine niedrige Stuiengebühr grundsätzlich vorstellen. Jede Universität sollte sie autonom festsetzen, je nach Studium in unterschiedlicher Höhe.

Die Furche: Als Präsident der Rektorenkonferenz präsentierten Sie vor 30 Jahren ein Umfrage, in der die Mehrheit der befragten Universitätslehrer Mängel in der Qualifikation der Studienanfänger feststellten. Kürzlich sprach Rektor Heinz Mayer von mangelnder Studierfähigkeit der Studierenden. Hat sich nichts geändert?

Welan: Es hat sich nichts geändert, weil die Matura nach wie vor die Gymnasien von der Universität trennt wie ein eiserner Vorhang. Ich bin dafür, diesen zu heben.Bereits ab der 6. Klasse sollten sich die Schüler als Studierende sehen, ihre Eignung und Neigungen für ein Studium auszuloten versuchen.

Die Furche: Sie waren für die Volkspartei in der Wiener Kommunalpolitik tätig. Die ÖVP oszilliert zwischen historischen Wurzeln, Klientilismus und politischen Flügeln. Was wäre denn ein zielführender und zukunftsweisender programmatischer Ansatz?

Welan: Das ist die ökosoziale Marktwirtschaft, das ist der Weg, den die ÖVP gehen soll. Dieses Programm ist für alle ihre Organisationen nachvollziehbar, erlernbar, vermittelbar. Aber ich sehe zu wenig Wirkung. Man hat dieses Konzept zu wenig auf die verschiedenen Fragen der Politik angewendet. Zudem wurde der gesellschaftliche Wandel von der ÖVP zu wenig mitvollzogen, etwa hinsichtlich der Stellung der Frau. Wenn die ÖVP nicht den Weg in Richtung Erneuerung beschreitet, dann werden neue Gruppen entstehen, wie in Innsbruck, wo es mehrere bürgerliche Parteien gibt.

Die Furche: Was wären denn die Themen?

Welan: ... wie die ökosoziale Marktwirtschaft durchdacht und auf die verschiedenen Problemfelder angewendet werden kann. Die Einigung in der ÖVP kann nicht mehr durch starke Persönlichkeiten oder durch Vorfeldorganisationen hergestellt werden. Sie muss eine andere Strategie einsetzen. Dieser Lernprozess hat in der SPÖ schon begonnen. Sie kann nicht immer mit dem Schlagwort sozialer Gerechtigkeit Wahlen gewinnen. Es gibt, wie Hans Kelsen gezeigt hat, keine absolute Gerechtigkeit, wohl aber ein relative, die den Anforderungen der jeweiligen Zeit entspricht. Darüber zu entscheiden, ist Sache der Demokratie, auf Grundlage der Freiheit. Das ist meine Theorie über die Gerechtigkeit.

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