Destabilisierung einer Atommacht

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Die Überschwemmungskatastrophe gefährdet Millionen Menschen und dazu noch die Sicherheit der Region. Die Taliban sind im Atomstaat Pakistan am Vormarsch.

Auch eine so verheerende Katastrophe, wie die Flut in Pakistan kennt noch Gewinner: politisch, militärisch, terroristisch. In der nördlichsten Region Pakistans, Khyber Pakhtunkhwa hat die Katastrophe nicht nur Millionen Menschen obdachlos gemacht, ihr Vieh ertränkt, Kinder und Erwachsene mit Hunger, Durchfallkrankheiten und Cholera geschlagen. Sie hat auch alle staatlichen Strukturen zerstört und die Vertreter des pakistanischen Staates vertrieben.

In der Region hatte bis Ende Juli die pakistanische Armee regiert. Sie hatte in schwierigen, monatelangen Kämpfen den afghanischen und pakistanischen Taliban, Ort um Ort, Tal um Tal abgerungen. Vor allem aber hatte sie im strategisch wichtigen Swat-Tal das Kommando übernommen und damit den radikalen Islamisten in Afghanistan den Nachschub abgeschnitten. Doch dann kam die Flut.

Die Armee hat 60.000 Elitesoldaten, die sie für die Kämpfe zusammengezogen hatte, zur Fluthilfe in südliche Regionen abkommandiert. Alle verfügbaren Transportmittel, Lastkraftwägen, Hubschrauber, Amphibienfahrzeuge sind im Hilfseinsatz. Die Region wurde dadurch wieder den Taliban preisgegeben. Und die nahmen das Flutgeschenk gerne an.

Die Katastrophe

Pakistan Anfang dieser Woche: Nach wie vor sind mindestens ein Fünftel des Landes überschwemmt. Die internationale Hilfe kommt schleppend – wenn überhaupt – an und erreicht nur einen Bruchteil der 20 Millionen Betroffenen. Die Regierung des Präsidenten Alif Ali Zardari scheint vollkommen überfordert mit der Situation und gäbe es nicht die in der Führung des Landes durch jahrelange Militärherrschaft geübte Armee, Pakistan wäre wohl längt im Chaos versunken. Kein Wunder, dass der Armee gewogene Kommentatoren wieder eine „nationale Regierung“ mit starker militärischer Beteiligung einforderten. Gleichzeitig gibt es Nachrichten von ersten Hungerrevolten und Plünderungen in den dicht besiedelten Regionen der Indus-Ebene bei Sukkur. Ein erster Vorgeschmack auf Monate des Nahrungsmangels, der ganze Regionen, die früher die Kornkammer Pakistans waren, in einen Ort des zivilen Tumults verwandeln könnte. Steht die Destabilisierung der Atommacht Pakistan bevor, wie etwa der pakistanische Militärsprecher Athar Abbas („Es gibt schon Zeichen der Unruhe“) oder der Chef des außenpolitischen Ausschusses des US-Kongresses, John Kerry („das Gleichgewicht der Region ist gefährdet“), fürchten? Da trifft es doppelt schwer, dass die Katastrophe fast ausschließlich Regionen betrifft, in der ohnehin die ärmeren Gruppen der pakistanischen Bevölkerung leben. Die reiche Region rund um die Stadt Lahore etwa, ohnehin schon beneidet von den weniger begüterten Pakistanis, blieb von den Überschwemmungen verschont. Ein Umstand, der die Spannungen zwischen den verfeindeten Regionen noch einmal anheizt, wie der politische Autor und Journalist Ahmed Rashid warnt.

All das versuchen die Taliban und andere radikal-islamische Gruppen zu nutzen, die schon seit Jahren nichts sehnlicher erwarten als eine Destabilisierung des fragilen politischen Gleichgewichts in Pakistan. Die Selbstmordanschläge haben jedenfalls seit Ende Juli zugenommen. In den vergangenen fünf Wochen starben bei Überfällen auf gemäßigte islamische Gruppen 100 Menschen.

Ahmed Rashid geht davon aus, dass die gesamte Grenzregion zu Afghanistan wieder in die Hände der Taliban fallen könnte: „In bitterarmen Regionen wie Punjab, der Provinz Sindh, aber auch Belutschistan wird die Flut viele junge Männer in die Arme der Aufständischen treiben.“ Die Offensive der Taliban hat bereits begonnen: Die Orte des Swat-Tals sind für internationale Hilfsorganisationen gesperrt. Dort helfen ausnahmslos die Taliban und die mit radikalen Kräften verbündete islamische Jamaat ut Dawa. Ausländische NGOs werden mit Drohungen ferngehalten. Das Hochwasser wird als „Strafe Gottes gegen die Regierung“ gedeutet, die nur durch die Unterstützung der Dschihadkrieger besänftigt werden könne.

Machtlose Regierung

Die Regierung in Islamabad hat wenig Möglichkeiten dieser Entwicklung gegenzusteuern. Die pakistanische Politik hat nicht nur ein riesiges Vertrauens- und Korruptionsproblem. Auch die budgetäre Situation des Landes könnte nicht schlechter sein: Ein Elf-Milliarden Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds sicherte vor dem Hochwasser die notdürftigsten Investitionen ab. Für Katastrophenhilfe gibt es schlicht kein Geld.

Ist ein solches Regime in der Lage, das atomare Potenzial des Landes zu kontrollieren? Reicht es, wenn der pakistanische Botschafter in Washington vergangene Woche gegenüber Medien davon sprach, man werde „sich schon durchwursteln“? Der Berliner Sicherheitsexperte Christian Wagner mahnt dringend die massive Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft ein: „Einen Zusammenbruch der Atommacht Pakistan kann sich die internationale Gemeinschaft einfach nicht leisten. Mit diesen Geldern versichern wir auch die Sicherheit des pakistanischen Atomprogramms.“

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