Deutscher, Europäer - und Herzensösterreicher

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Geschichte" ist ein Wort mit Doppelsinn: Geschichte als Historie - aber auch als Erzählung. Für den Autor dieser Zeilen war Helmut Kohl beides - ein Akteur der Zeitgeschichte, aber auch ein Stück eigener Erinnerung: als deutscher Kanzler, als Freund und Intimkenner Österreichs, als großer Europäer - und als Gegenüber mancher Begegnung. Unvergesslich die entspannten und doch spannenden Urlaubsinterviews mit Kohl am Wolfgangsee - politisch ein Erlebnis, körperlich eine Last: Am Schluss musste gemeinsam das Boot bestiegen werden - er redend, ich rudernd. Die Schieflage war eindrucksvoll. Unvergesslich auch ein Heurigenbesuch in Perchtoldsdorf mit anschließendem Gespräch im Auto, spätabends auf der Rückfahrt ins Wiener "Imperial". Kohl war in Erzähllaune -und unser Ziel schon zu nahe. Also umkreisten wir mit Polizei-Eskorte mehrfach die Ringstraße: "Noch eine Runde", verfügte der Kanzler - und dann noch eine Ich habe die Runden unserer "Ring-Rallye" nicht gezählt. Und: Mit Helmut Kohl unterwegs in deutschen Wahlkämpfen, Gerd Bacher an seiner Seite. Ein ungewöhnliches Duo: zwei so verschiedene Alpha-Typen, aber zwei Profis im Umgang mit der Macht. Und zwei, die miteinander konnten. Und international: Kohl tief berührt in Auschwitz und Verdun - und beim Abschied von Mitterrand im Pariser Dom. Und als Epizentrum und "Ehrenbürger Europas"(in Wien verliehen) immer umschwärmt, wenn sich die "Großen" trafen. Unerschütterlich als Unterstützer Kurt Waldheims vor und hinter den Kulissen der "Causa". Als bekennender Christ unter muslimischen Präsidenten in der Wiener Hofburg. Als unauffälliger "Tourist" im sommerlichen Salzburg -und als enorm kenntnisreicher Bewunderer der Kirchen und Kapellen des Alpenvorlandes. Später, schon im Rollstuhl, als stiller Überraschungsgast beim 80er seines Freundes Herbert Batliner in Liechtenstein usw. Was Kohl durchgängig auszeichnete, war seine Treue zu erprobten Freunden. Ein Beispiel: Obwohl Alois Mock 1989 eben die VP-Führung und das Vizekanzler-Amt verloren hatte, verließ der deutsche Kanzler spontan eine stürmische Bundestagsdebatte zu seiner Regierungserklärung, um ihn in Bonn willkommen zu heißen und eine Stunde mit ihm zusammenzusitzen. Kein anderer Europäer hat für Mocks Traum vom EU-Beitritt Österreichs mehr getan als Helmut Kohl. Beide zahlten am Ende gesundheitlich bitter für ihren politischen Einsatz - und als Kohl jetzt starb, war Mock eben begraben worden.

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