Die andere Wahrheit über den Sudan

Werbung
Werbung
Werbung

Der Süden des Sudan ist einer der erdölreichsten Flecken Afrikas. Die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes wird durch Waffenlieferungen Chinas verstärkt.

Einst war das Innere Afrikas am blauen und weißen Nil ein Paradies. Stämme und Völker lebten dort in relativer Sicherheit vor Krieg und Zerstörung. Von Abbessinien im Osten bis nach Khordofahn und Darfur im Westen reichte dieses an Nahrung und Bodenschätzen reiche Gebiet. Schwer beladene Karawanen zogen bis nach Siut und Assuan in Ägypten, sie brachten Gummi Arabcum von den Akazien Kordofahns, Kamelherden und Pferde aus Dongola, Rhinozeros- und Nilpferdleder, Baumwolle aus Sennar, Elfenbein und Straußeneier, Kupfer aus Darfur.

1821 hielt der Krieg Einzug im Süden des Sudan. Auf der Suche nach Gold und Sklaven eroberten die islamisch-arabischen Heere des Mohammed Ali Pascha das von den Fung-Königen kontrollierte Gebiet. Städte und Dörfer werden gebrandschatzt und geplündert, Sklavenhändler machen sich über die Bewohner der Steppen und Urwälder her. In nur fünf Jahren werden mehr als hunderttausend Bewohner des Südsudan getötet, über 300.000 als Sklaven verkauft. Millionen sollten dieses Schicksal in den folgenden Jahrzehnten teilen. Der deutsche Forschungsreisende und Zoologe Alfred Brehm berichtet in seinen Sudan-Memoiren über einen Sklavenzug, beschreibt die Brandschatzung südsudanesischer Siedlungen, die Ermordung von Frauen und Kindern, den Abtransport der Unterworfenen in der Halsgabel, wird Zeuge von Auspeitschungen, sieht wie, "die blutgetränkten Peitschen in den bloßgelegten Muskelfasern wühlen, losgetrennte Fleischstücke bald hierhin, bald dorthin fliegen.“ Geschockt notiert er: "Der Anblick war schauderhaft. Keine Feder kann ihn beschreiben, keine Worte drücken ihn aus. Mir hat er wochenlang wie ein Bild des Schreckens vor Augen gestanden.“

Der damals gelegten Spur von Blut und Hass folgt das politische Schicksal des Südsudan bis heute. Zwischen 1983 und 2005 forderte ein Bürgerkrieg zwischen dem "weißen“ muslimischen Nordsudan und dem "schwarzen“ mehrheitlich christlichen Süden mehr als zwei Millionen Menschenleben, fünf Millionen Sudanesen wurden zu Flüchtlingen.

Ging es 1821 noch um Elfenbein und Sklaven, so ist der Rohstoff, um den es heute geht, Erdöl. Der seit 2011 unabhängige Staat Südsudan ist einer der erdölreichsten Regionen Afrikas. 350.000 Barrel Erdöl könnten die Quellen täglich liefern und den Staat zu einem der Reichsten des Kontinents machen. Doch viele Bewohner des Südsudan verdienen im Durchschnitt wenig mehr als einen Dollar pro Tag. Unterernährung und Tropenkrankheiten gehören zu den üblichen Begleiterscheinungen des Lebens. Bei schlechter Ernte sind einzelne Gebiete auf Lebensmittellieferungen aus den USA und Europa angewiesen. Warum aber dieses Elend angesichts solcher Bodenschätze?

Die Antwort darauf liegt in einem mehr als brüchigen Friedensabkommen zu der im Juli 2011 erfolgten Unabhängigkeit des Südsundan: So muss die 1800 Kilometer lange Grenze zum Nordsudan erst noch festgelegt werden. Das führt zu kriegsähnlichen Zuständen, wie der jüngsten Besetzung von Siedlungen und Erdölfeldern in der Region Abyei. Als die südsudanesische Miliz das Gebiet um das Erdölfeld Heglig einmarschierte, reagierte die sudanesische Armee mit Bombardements südsudanesischer Dörfe und Städte - vor allem in der Provinz Unity. Schon davor waren die 10.000 Einwohner der Stadt Jau bei Heglig durch Truppen des Nordens und arabische Milizen vertrieben worden.

Das Öl und der lange Arm Pekings

Tatsächlich geht es um sehr viel für den Sudan. Mit der Unabhängigkeit des Südens verlor das Regime des wegen Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgten Omar al-Bashir drei Viertel seiner Ölreserven. Für Khartum bedeutet das nicht nur Milliardenverluste, sondern auch politische Instabilität. Von Machtkämpfen innerhalb der Führung ist die Rede. Die Armee hat ihre Unzufriedenheit mit der Abspaltung des Südens bekundet und die Gebietsansprüche in den ölreichen Regionen bekräftigt.

Auch in den Gesteinstiefen des südsudanesischen Melut County liegen Vorkommen, die pro Tag die Förderung von mehr als 100.000 Barrel Öl erlauben würden. Aber auch Melut County ist bitter arm. Vor der Unabhängigkeit flossen die Ölerlöse nach Khartum und nun fließen sie wegen der Grenzkonflikte gar nicht mehr. Der für Melut zuständige Regierungskommissar Francis Ayul Yuar, ein energischer Pastor und ehemaliger Unabhängigkeitskämpfer, versucht, Verbesserungen für die Bürger seiner Region zu erreichen. Doch das geht nur mit Mühe: "Es tut weh, zu erleben, wie wir unseren Reichtum nicht nutzen können und gleichzeitig nicht einmal das Geld haben, eine bessere Schule für unsere Kinder oder eine Basis-Krankenversorgung zu gewährleisten.“

Paradoxerweise liegt der Schlüssel zum Erfolg des Südsudan nicht in Juba oder in Khartum - sondern in Peking. Das chinesische Regime ist in allen im Sudan tätigen Ölkonsortien vertreten, es ist gemeinsam mit dem Regime in Karthoum Erbauerin und Betreiberin der einzigen Pipeline, welche die südsudanesischen Quellen mit dem Erdölhafen in Port Sudan verbindet.

Bisher stand Peking, das 60 Prozent des sudanesischen Öls abnimmt, fest zum Regime in Karthoum. Dem nicht genug, soll der von China dominierte Konzern Petrodar mitgeholfen haben, aus der Pipeline sechs Millionen Barrel südsudanesischen Öls in die Raffinerien des Nordens abzuzweigen. Daraufhin wurde der oberste chinesische Vertreter Petrodars unter dem Vorwurf "zu rauben und zu stehlen“ aus dem Südsudan ausgewiesen.

Auch ein Besuch des südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir Mayardit in Peking blieb ohne Erfolg. Statt besserer Erdölverträge versprach China bloß Entwicklungshilfe. Unterstützung ganz anderer Art gibt es statt dessen für die Armee des Nordsudan: Sie wird laut Amnesty International massiv mit chinesischem Kriegsgerät aufgerüstet. Der Nordsudan hat zuletzt auch die Mobilmachung seiner "Dschihadisten“ angeordnet.

In Jamam und Doro, Flüchtlingslagern an der Grenze zum Nordsudan, sammeln sich inzwischen die ersten Opfer des vielleicht nächsten mörderischen Kapitels der sudanesischen Geschichte: 80.000 Flüchtlinge zählen die Helfer der Vereinten Nationen seit Dezember. Wegen des Ansturms müssen die Nahrungsmittel inzwischen streng rationiert werden, auf Fotos und Videos sieht man Frauen und Kinder in vertrockneten Tümpeln nach Wasser graben. Es ist der neue, alte Alltag in einem Land, der einst das Paradies Afrikas war, vor über 150 Jahren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung