Die Anonymität im Internet wird faktisch aufgehoben

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Geht es nach dem diesfalls zwingenden politischen Fahrplan, dann wird das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung noch im ersten Halbjahr 2010 in Kraft treten. Dieses legitimiert den Staat, die Aufzeichnung der Telefondaten von Bürgern, auch ohne begründeten Verdacht auf rechtswidriges Handeln, zu veranlassen.

Das Gesetz, konkret eine Novelle zum Telekommunikationsgesetz (TKG), transformiert eine EU-Richtlinie (RL) aus dem Jahre 2006 in nationales Recht. Die Europäische Union hatte sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 darauf eingeschworen, zur Bekämpfung des Terrorismus die Telefondaten auf Vorrat zu speichern. Die Anschläge von Madrid im Jahr 2004 bekräftigten diese politischen Absichten.

Österreich weigert sich, die seit 2007 fällige Umsetzung der Richtlinie vorzunehmen. Begründung: Der Eingriff in die Privatsphäre scheint zu schwerwiegend zu sein, technische und rechtliche Fragen seien nicht ausreichend geklärt. Allerdings hat Österreich dieser Richtlinie zugestimmt, die Frist für eine Nichtigkeitsklage nicht genutzt. Nun hat die Kommission Wien wegen Säumigkeit geklagt, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ist anhängig: Brüssel droht mit Strafzahlungen.

Goldener Mittelweg der Ministerin

Wegen der Bedenken aus Sicht der Menschenrechte suchte die zuständige Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, Doris Bures, einen Ausweg: Sie erteilte dem Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien (BIM) den Auftrag, einen „den Bürger möglichst schonenden“ Entwurf zu erstellen. Dessen Begutachtung wurde im Jänner abgeschlossen. Die Reaktionen fielen durchwegs negativ, kritisch und ablehnend aus. Das hat weniger mit dem Bures-Ressort als mit der Richtlinie zu tun.

Die Anonymität im Internet wird faktisch aufgehoben. Die Anbieter von Internet und Telefonie sind verpflichtet, die Eckdaten aller Gesprächsverbindungen aufzuzeichnen: Das betrifft alle Telefonate, SMS, MMS, E-Mails sowie die Daten der Standorte.

Eine Flut an Protesten war die Folge.

Eine derartige Speicherung von Daten sei Überwachung und diese wiederum gefährde die Demokratie, meinen etwa Österreichs Richter und Staatsanwälte. Zudem sei die Zulässigkeit eines derartig massiven Eingriffes in Grundrechte bisher nicht überzeugend dargelegt worden. Ähnlich die Rechtsanwälte: Die Speicherung dieser Daten sei ein Eingriff in die Grundrechte der Privatsphäre, des Datenschutzes, der freien Meinungsäußerung, der Unschuldsvermutung und so fort. Andere teilen ihre Bedenken.

Vertrauensverhältnis gestört

Ganze Berufssparten befürchten Beschränkungen in der Ausübung ihrer Tätigkeit und eine Störung der Vertrauensverhältnisse, darunter Ärzte, Geistliche sowie Journalisten. Die Verleger, der ORF-Redakteursrat und der Präsident der österreichischen Journalistenclubs (ÖJC), Fred Turnheim, warnten etwa vor einer „Gefährdung des Redaktionsgeheimnisses“.

Der Datenschutzrat hat derartige Bedenken ebenfalls in seine Stellungnahme aufgenommen. Doch das Gesetz wird vorerst kommen, trotz aller Bedenken. In Deutschland haben 34.000 Beschwerdeführer in der größten Sammelklage der Justizgeschichte die Vorratsdatenspeicherung vor das Verfassungsgericht gebracht. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ist anhängig.

Ob die Fehler in Form und Inhalt gutzumachen sind, ist offen. Die Richtlinie wurde unter britischer Ratspräsidentschaft zu rasch entworfen, zu wenig debattiert, teils fehlerhaft übersetzt. Von den großen Tönen des Kampfes gegen den Terrorismus blieb wenig. Heute verlautet man in Brüssel kleinlaut, die Richtlinie diene ja auch der Einheitlichkeit in der Datenspeicherung und damit den Prinzipien des Binnenmarktes.

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