Die Bilder lügen immer

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Ob beim Terror in den USA, ob beim Krieg in Afghanistan: Auch die "echten" Bilder erzählen nicht die Wahrheit.

Es war ein Bericht über die Milzbrand-Attacken in den USA. Ganz beiläufig bemerkte die Reporterin, die den Beitrag in einer deutschen TV-Nachrichtensendung gestaltete, dass der Bakterienangriff das Werk Osama Bin Ladens sei. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt immer mehr über eine inneramerikanische Urheberschaft spekuliert wurde, ließen die vor und nach dem Beitrag gesendeten Bilder über Afghanistan die nicht gedeckte Behauptung im Unterbewusstsein zur Tatsache werden.

Das zitierte Beispiel betrifft nur eine Information von vielen, die tagtäglich bebildert ins Wohnzimmer geliefert werden. Den Wahrheitsgehalt des Dargestellten und des Behaupteten zu überprüfen, ist für den Zuschauer nicht möglich; schon die schiere Informationsfülle verurteilt jeden diesbezüglichen Versuch zum Scheitern.

Seit dem 11. September gibt es erneut Mutmaßungen über nicht ganz echte Bilder, die den Medienkonsumenten als authentisch verkauft wurden: Hatten die jubelnden Palästinenser, die bildmäßig um die Welt gingen, tatsächlich den Einsturz des World Trade Centers gefeiert? Waren die Bilder von "US-Truppen in Afghanistan" alte Übungsfotos der US-Army?

Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Schein sind in der derzeitigen Weltinformationslage so stark gegeneinander verschoben, dass insbesondere den Bildern nicht zu trauen ist: In Afghanistan herrscht realer Krieg, der als virtueller Krieg alle Teile der Welt einschließt und an dem sich die "Good Guys" wie die "Bad Guys" beteiligen: Das äußerst professionelle Timing der Terroristen in den USA etwa war so angelegt, dass die TV-Öffentlichkeit dem Einsturz der Twin Towers live "beiwohnen" konnte. Dass Osama Bin Laden beim arabischen TV-Kanal El Dschasira längst vor den US-Angriffen in Afghanistan ein Video hinterlegt hatte, um auf diese zu reagieren (ob es mehrere Bin-Laden-Videos für unterschiedliche Angriffsszenarios gegeben haben mag?), zeigt deutlich, wie sehr die Auseinandersetzung eine Inszenierung geworden ist - mit Tausenden Toten als "Mitspielern" oder als "Kulisse".

Natürlich gehörte es mit zum "Spiel", dass Bin Laden auf besagtem Video fahl und gezeichnet seine Anhänger zu mobiliseren suchte. Und im Westen gibt es genügend mediale Trittbrettfahrer, die beim Spiel der Bilder, dessen sich die Bin Ladens und die Taliban auf der einen, die USA und ihre Verbündeten auf der anderen Seite befleißigen, emsig mitmachen.

Die Illustrierte "News" etwa - um ein österreichisches Beispiel herauszugreifen - stellte angesichts des fahlen Bin Laden am TV-Bild gleich die Fern-dianose: Der "Pate des Terrors" sei schwer nierenkrank.

Mögen solche Trittbrettfahrten noch erkennbar sein, die Hintergründe und die Dimensionen der weltweiten virtuellen Auseinandersetzung sind kaum zu durchschauen. Auch der Westen steuert Information in seinem Sinn: Die US-Regierung hat etwa auch die Verwertungsrechte ziviler Satellitenbilder erworben, damit keine Luftaufnahmen von Afghanistan verbreitet werden, Frankreich verfügte Ähnliches; die größten TV-Sender der USA wurden von der Bush-Administration angehalten, sich "nationalen Interessen" zu unterwerfen und beispielsweise möglichst keine Bilder von Bin Laden zu zeigen; der Radiosender "Voice of America", der ein Interview mit Talibanchef Omar besitzt, wird von der amerikanischen Politik daran gehindert, dieses auch zu senden.

Bilder-Geschichten

Reporter, die aus Afghanistan berichten, geben selbst immer häufiger zu, nur Informationen bieten zu können, die abhängig von den Interessen einer Seite sind. Auch hier erzählen wieder Bilder Geschichten: Häuser in Kabul, zerstört - von wem, auf welche Weise, wer sind die Opfer? Amerika hassende Flüchtlinge in Pakistan - überzeugt, verblendet oder bloß von einer Kamera fasziniert, die mit der Geschichte nur dann on air geht, wenn deren Protagonisten sich besonders fanatisch geben?

Die Bilder vom Krieg lügen, auch die "echten": Eine verschleierte Frau, ein Kind, ein paar Weizensäcke, kahles Land. Daneben das Bild eines kraftstrotzenden Flugzeugs. In der Zusammenstellung entsteht die Geschichte: Die Reichen, die Kampfflieger schicken. Die Armen mit nur einem Sack Getreide für den Winter: Für wieviele Kinder bekommt man Weizen um nur eine Tankfüllung einer F 14?

Die Geschichte, die mit diesen Bildern erzählt wird, ist eine Interpretation, sie berichtet nicht bloß nackte Wahrheit, ebenso wie die Bildgeschichten in Magazinen und TV die Geschichten des Lebens und des Krieges nur äußerst bedingt schildern.

Was aber tun, um Desinformation und der Lüge in Bilderform nicht aufzusitzen?

* Das erste Gebot der Stunde heißt Skepsis - dem Gezeigten kaum trauen.

* Ein zweites Gebot: Nicht abstumpfen. Das Bild einer verschleierten Frau mit Weizen im Ödland kann und soll das Herz rühren. Wenn dadurch realistisch und mit Augenmaß Hilfe initiiert wird, dann ist es kein Lügenbild - weil es einen Funken Hoffnung anzündet.

* Ein drittes Gebot: Im Streit Pressefreiheit gegen nationale (Sicherheits-)Interessen für die Freiheit optieren. Wenn heute die Bilder lügen, ist es - trotz allem - umso wichtiger, jede Gelegenheit, die Wahrheit zu ergründen, so wenig wie möglich zu behindern.

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