Die Botschaft lautet: schweigen

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Am Nil wird ein harter ideologischer Stellungskrieg ausgetragen, in dem Meinungsfreiheit und künstlerische Kreativität auf der Strecke bleiben.

Für all die Ideale, für die er sich sein ganzes Leben lang eingesetzt habe, "werde ich weiterkämpfen", betont Saadeddin Ibrahim in seinem Büro in der American University of Cairo. "Ich komme zurück." Auf einen Stock gestützt, kann der 63-jährige Soziologieprofessor seinen schlechten Gesundheitszustand nicht verbergen. Acht Monate Gefängnis haben einen der brillantesten ägyptischen Intellektuellen alarmierend geschwächt. Ein schweres neurologisches Leiden hat ohne fachkundige ärztliche Hilfe vielleicht nicht wieder zu behebenden Schaden angerichtet. Ibrahim steht derzeit erneut vor Gericht, nachdem ein Berufungsrichter im Februar die Urteile im Prozess gegen ihn und 27 seiner mitangeklagten Kollegen wegen schwerer Verfahrensmängel für ungültig erklärt hatte. Die Angeklagten waren im Mai 2001 wegen "Verbreitung von Lügen", die Ägyptens Ansehen besudelt haben sollen und der Annahme von Unterstützungsgeldern der EU ohne Genehmigung durch die Regierung in Kairo zu Haftstrafen verurteilt worden. Ibrahim erhielt sieben Jahre. Er hofft nun, dass der Richter die Anklage fallen lasse und den Fall abschließe.

Saadeddin Ibrahim hatte sich durch seinen unermüdlichen Einsatz für Demokratie und die Achtung von Menschenrechten in seinem Heimatland Feinde an der Spitze eines Regimes geschaffen, das politische Freiheiten als direkte Bedrohung für seine eigene Stabilität erachtet. Seine Verhaftung kurz vor Parlamentswahlen vor zwei Jahren sollte die Überwachung des Wahlvorganges durch eine unabhängige Kommission, das von Ibrahim 1988 gegründete und geleitete "Ibn Khaldoun Center for Development Studies", verhindern. Mit EU-Geldern organisierte das Zentrum Forschungsprojekte Konferenzen, Seminare und Workshops, die sich vor allem mit Fragen der Demokratisierung, der Minderheitenrechte, der Wählerregistrierungen und der Situation der Kopten befassten. Vor zwei Jahren wurde das Institut von den Behörden geschlossen und "vergiftete" damit nach Ansicht der angesehenen, in den USA stationierten "Human Rights Watch", "die für unabhängige akademische Arbeit nötige Atmosphäre".

Besudelung Ägyptens?

Zu Beginn des Prozesses im November 2000 beschrieb der Staatsankläger den Soziologen Ibrahim als "Genie, der seinen Intellekt einsetzte, um die Stabilität des Landes zu untergraben und die Saat der Uneinigkeit zu säen". Der Prozess entbehrte nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen jeder Fairness, und sie hegen keinen Zweifel an dem politischen Charakter des Verfahrens. "Es war eine Botschaft an die Intellektuellen, zu schweigen", kommentierte der liberale Schriftsteller Hussein Amin. "Der Vorwurf der Besudelung des Images unseres Landes kann als Warnung an alle dienen, auch nur die geringste Kritik am Regime zu wagen." Der intellektuellen Freiheit am Nil, meinen andere Stimmen, sei "der Todesstoß" versetzt worden.

Wird sich das Regime nun eines Besseren besinnen? Die Vorwürfe gegen Ibrahim und seine Kollegen "sind Ausdruck eines tiefen Ärgers in einflussreichen Schichten der Regierungspartei, denen Ibrahims demokratisches Engagement ein Dorn im Auge ist, die aber auch persönliche Animositäten gegen ihn hegen", analysiert der Menschenrechtsaktivist Abdel Razek. So werfen Ibrahims Kritiker dem Soziologen vor, seine engen Bindungen zu den höchsten Kreisen des Staates und sein internationales Ansehen, hätten ihn "arrogant gemacht". So soll er selbst Mubarak kritisiert haben, als dieser ihn bei einem Termin warten ließ. "Er hat viel Zivilcourage", meint der politische Kommentator Mohammed Sid Ahmed bewundernd. "Wer glaubt er eigentlich, dass er ist", meinen hingegen seine einflussreichen Feinde. "Heute macht mich jeder auf die roten Linien aufmerksam, die ich überschritten hätte", bemerkt dazu der Professor.

Tatsächlich hatte er sich an eine Reihe von Tabus herangewagt. Mit seinen Studien über Diskriminierung der koptischen Minderheit und seinem Einsatz für gute Beziehungen zu Israel berührte er die empfindlichsten Punkte. Regierungsmedien warfen ihm vor, er habe sich an einem internationalen zionistischen Komplott zur Spaltung Ägyptens beteiligt, indem er Unzufriedenheit unter den Kopten gesät habe. Den besonderen Zorn des Präsidenten aber dürfte er sich durch einen satirischen Artikel über die arabischen "Erb-Republiken" zugezogen haben, in dem er es wagte, Mubaraks ältesten Sohn, Gamal, einen "wartenden Pharaonen" zu nennen. Die Frage der Nachfolge ist in Ägypten ein besonders heikles Thema, da der Präsident auch nach 20 Jahren im Amt bis heute keinen Stellvertreter ernannte.

Der "Fall Ibrahim" ist Teil einer sich verschärfenden Hetzjagd gegen unliebsame Kritiker des autoritären ägyptischen Regimes. Sie gefährdet eine intellektuelle Tradition, die einige der größten modernen Denker der arabischen Welt hervorgebracht hat, vom Erziehungswissenschafter Taha Hussein, über den Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfouz, bis zum berühmten Filmregisseur Youssef Chahine. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre attackierten radikale Islamisten zahlreiche Intellektuelle tätlich. Der liberale Autor und Säkularist Farag Foda wurde 1992 ermordet. Mahfouz überlebte ein Messerattentat.

Glaube, Sex, Politik

Vor etwa zwei Jahren gelang es der Regierung, den Terror islamistischer Gewalttäter weitgehend unter Kontrolle zu bringen. Doch zugleich verschärft sich die Repression der Intelligenz. Künstler und Intellektuelle klagen über die zunehmende Islamisierung jeder Diskussion und die wachsenden Ängste, Anstoß bei der religiösen Orthodoxie oder der politischen Führung zu nehmen. Der höchste sunnitische Geistliche, Scheich al-Azhar Muhammad Tantawi, nannte jüngst drei für die Literatur und Kunst verbotene Bereiche: den Glauben, Sex und die Politik. Als der als gemäßigt geltende Tantawi 1996 von Präsident Mubarak zum Scheich al-Azhar ernannt wurde, hatte Ägyptens Intelligenz aufgeatmet. Tantawi erhielt den Auftrag, den Einfluss erzkonservativer islamischer Gelehrter, die dem Geistesleben am Nil engste Grenzen setzten, zurückzudämmen. Doch allein in seinem ersten Amtsjahr stieg die Zahl der durch die Azhar-Akademie zensierten Bücher rapide an. Zugleich zeigte sich immer deutlicher, dass das Regime in heiklen ideologischen Fragen seine Position durch Erklärungen oder Fetwas der höchsten Religionsbehörden untermauern lassen konnte. Nähme man Tantawis Richtlinien zum Maßstab, bemerkt ein Publizist verbittert, dann müsste ein Großteil der arabischen Literatur verboten werden.

Der Beginn der neuen Repressionswelle geht auf das Frühjahr 2000 zurück, als Islamisten ein Verbot des Romans "Festmal für den Seetang" des syrischen Autors Haidar Haidar erzwangen. Das 1983 vollendete Werk war wiederholt in verschiedenen arabischen Ländern gedruckt worden, ohne dass irgend jemand daran Anstoß genommen hätte. Der Roman behandelt keine religiösen Fragen, sondern setzt sich mit Revolutionen in der arabischen Welt auseinander. Fanatische Islamisten nutzten das Verbot des Buches, um eine heftige öffentliche Diskussion über Kulturpolitik und die "Beleidigung Gottes" auszulösen. Unter dem Slogan "Die Wut zur Verteidigung Gottes" organisierte die islamistische Labour-Party einen Kongress, der sich zu einem Volkstribunal gegen die Kulturpolitik des Staates erhob. Das Regime Mubarak geriet unter Zugszwang. Der Druck wuchs, als bei den jüngsten Parlamentswahlen im November Anhänger der Moslembruderschaft mit 17 Deputierten als stärkste Opposition ins Abgeordnetenhaus einzogen und in scharfen Konkurrenzkampf mit der Regierung um die Verteidigung der "öffentlichen Moral" und islamische Werte traten.

Jagd auf "Abtrünnige"

Hinzu gesellt sich der Druck so genannter Nationalisten, die sich vehement jeder Normalisierung der Beziehungen mit Israel widersetzen. So wurde jüngst der Dramatiker Ali Salem von der unter Regierungskontrolle stehenden "Ägyptischen Schriftsteller-Union" ausgeschlossen, weil er sich einem Verbot zur Kontaktpflege mit israelischen Kollegen widersetzt hatte.

Im Vorjahr konnte Nawal El Saadawi, die prominente Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, einen intensiven Einschüchterungsversuch radikaler Islamisten erfolgreich abwehren. Ein Gericht wies in einem monatelangen Verfahren schließlich den Antrag islamistischer Extremisten zurück, die die wortgewaltige 70-Jährige als "Abtrünnige" vom islamischen Glauben verurteilen und die Scheidung von ihrem 78-jährigen Gatten erzwingen wollten, mit dem sie seit 37 Jahren eine glückliche Ehe führt. Saadawi ist durch ihren engagierten Einsatz für intellektuelle Freiheit der Frauen den Konservativen schon lange ein Dorn im Auge und stand einst auch auf einer von radikalen Islamisten geführten "Todesliste". Besondere Empörung löste ein Passus in einem Interview aus, in dem sie gewisse Traditionen der Pilgerfahrt nach Mekka als "Relikte heidnischer Praktiken" bezeichnet hatte.

Ägyptens Kulturszene erlitt 2001 einen schweren Schock, als Kulturminister Faruk Hosni den langjährigen - relativ liberalen - Verantwortlichen für Belletristik und Sachbücher in seinem Ministerium, Abushadi, fristlos entließ, weil er drei - unterdessen verbotene - Romane mit "obszönen und moralisch schockierenden Passagen" veröffentlichen ließ. Ein einzige Anfrage eines islamistischen Abgeordneten hatte gereicht, um Abushadi zu Fall zu bringen. Auf der Kairoer Buchmesse traten sodann die staatlichen Sicherheitskräfte in Aktion wie nie zuvor. Nachdem Mubarak in seiner Eröffnungsrede klargestellt hatte: "Wir sind mit der Schaffensfreiheit", gleichzeitig aber den Islamisten versprach "wir schützen die Moral", schlug die Zensur heftiger denn je zu. 15 Bücher wurden beschlagnahmt. Intellektuelle sprachen von einem "kafkaesken Alptraum", denn niemand wusste, woher die Zensoren kamen und wer ihnen den Auftrag zur Aktion gegeben hatte. Die Kampagne verstärkt nach Ansicht ägyptischer Schriftsteller den psychologischen Mechanismus der verinnerlichten Selbstzensur.

Kafkaesker Alptraum

Filmproduzenten genießen noch ein wenig mehr Freiheiten. Der jüngst vollendete Streifen "Geheimnisse der Mädchen" setzt sich vorsichtig mit Tabus wie vorehelichem Sex, Schwangerschaft, Beschneidung von Mädchen und anderen der ägyptischen Tradition wenig schmeichelhaften Praktiken auseinander. Der Produzent könnte aber jederzeit von Fundamentalisten vor Gericht gebracht werden. In dieser Atmosphäre scheuen sich ägyptische Schauspielerinnen zunehmend, Kusszenen zu spielen. Dies sei ein radikaler Wandel von den glorreichen fünfziger Jahren des ägyptischen Films, erläutert Regisseur Raafat Meehy. Das Hauptproblem liege darin, dass niemand "die Regeln kennt,. selbst die Regierung nicht", meint Meehy.

Unabhängige Beobachter sehen die verschärfte Repression des ägyptischen Kulturlebens in Zusammenhang mit dem Dilemma der staatlichen Legitimation. Je weniger ein Staat über demokratische Wahlen legitimiert ist, desto wichtiger wird für ihn die Produktion einer staatstragenden Ideologie, die seine Macht legitimiert. Der ägyptische Staat verfügt aber über kein geschlossenes ideologisches Konzept, das in der Lage wäre, die Interessen diverser sozialer Gruppen zu integrieren. Der Soziologe Ibrahim erklärt das Grunddilemma folgend; "Die ägyptische Gesellschaft trägt einen Konflikt an drei Fronten aus: dem liberalen-demokratischen Trend, dem autoritären Staat und der religiösen Reaktion." Der Staat ist ängstlich darauf bedacht, sich im ideologischen Stellungskrieg mit den Islamisten die Initiative zu sichern. Auf der Strecke bleiben Meinungsfreiheit und künstlerische Kreativität, die heute am Nil gefährdet sind wie schon lange nicht mehr.

Die Autorin

ist Nahost-Korrespondentin.

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