"Die deutsche Dominanz ist eine Katastrophe“

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Hannes Swoboda gehört seit Österreichs EU-Beitritt dem EU-Parlament an. Er wird nach der Wahl aus der aktiven Politik ausscheiden. Gespräch zum Abschluss einer langen Karriere.

Die Furche: Wenn Sie auf Ihre 18 Jahre in Brüssel zurückblicken: Wie hat sich die EU verändert?

Hannes Swoboda: Sie ist natürlich größer geworden durch die Erweiterung. Das halte ich trotz aller Kritik für richtig, wichtig und gelungen. Auf der anderen Seite gibt es heute mehr Regelungen, mehr Kompetenzen für Europa. Das führt aber auch zur Kritik und zu neuen Herausforderungen.

Die Furche: Sollen Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückgeholt werden?

Swoboda: Der Meinung bin ich absolut. Fragt sich nur, welche Kompetenzen. Kaum greift man einen Punkt an, kommt die Kritik, dass das sehr wohl europäisch geregelt werden sollte. Aber die Debatte darüber muss man führen, sonst führt diese Situation zu mehr Kritik, Ablehnung und Unverständnis der Bevölkerung.

Die Furche: Gibt es Regelungen, wo Sie klar sagen: Das müsste auf nationaler Ebene geregelt werden?

Swoboda: Es gibt Regelungen, wo es gar keine öffentlichen Eingriffe braucht. Ein abstruses Beispiel: In der Kommission gab es Überlegungen zu einer Regelung, dass Passagiere nur ein Gepäckstück ins Flugzeug mitnehmen sollen. Da sage ich: Warum soll das Europa oder der Staat regeln?

Die Furche: Eine innerparteiliche Frage: Gerade bei Europawahlen ist die SPÖ möglichst weit nach unten gegangen, um einen möglichst publikumswirksamen Kandidaten zu finden. Das ist einmal ganz schiefgegangen und auch diesmal könnte es schiefgehen. Ist das die richtige Taktik?

Swoboda: Ich denke, man sollte vorsichtig sein bei der Auswahl des Personals. Die, die man gewählt hat, sollte man unterstützen - nicht nur im Wahlkampf, sondern auch danach. Es macht wenig Sinn, jemanden für ein paar Wochen in den Vordergrund zu rücken, und nachher ist er in Brüssel, und man ist froh, dass er weg ist. Ich bin eigentlich dafür, dass man die möglichen Kandidaten einem transparenteren Prozess, einem Hearing unterzieht, damit man sich ein Bild von den Leuten machen kann. Die Parteimitglieder sollten ein Mitspracherecht haben.

Die Furche: Sie haben gesagt, dass sich Brüssel sogar für die Menschen in Brüssel weit weg anfühlt. Was kann man dagegen tun?

Swoboda: Da wären die nationalen Parteien und die Medien gefragt. Die heimischen Medien bringen sehr wenig über das Europäische Parlament. Die Krone hat keinen Brüssel-Korrespondenten.

Die Furche: Sie sind Teil der Initiative "A Soul for Europe“. Fehlt der EU diese Seele noch?

Swoboda: Es gibt so viele Seelen in Europa, insofern ist der Begriff nicht ganz richtig. Die Union soll eben kein kalter Apparat sein, sondern etwas, das mit Emotionen verbunden ist. Das ist immer leichter, wenn es um einen übersteigerten Nationalismus geht oder darum, etwas abzulehnen. Die Idee ist vor allem, sich mit dem Thema Europa auseinanderzusetzen: Ob es um Zuwanderung, Unterschiede zwischen Arm und Reich etc. geht.

Die Furche: Wie soll die Integration weitergehen, wie soll man etwa mit der Ukraine verfahren?

Swoboda: Natürlich gibt es Enttäuschungen. Wenn man es zu schnell macht, ist es nicht so sehr ein Problem für uns, als ein Problem für die Länder selbst. Für Bulgarien, Rumänien war die Erweiterung sicher zu schnell. Es ist immer schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Wie man mit der Ukraine umgeht? Ich sehe das Problem, dass sich Russland weiter vorwagt, wenn man kein klares Signal gibt. Andererseits sollten wir der Regierung in Kiew auch Bedingungen stellen, die faschistoide Gruppen zurückweist, auch Regierungsmitglieder aus der russischen Bevölkerungsgruppe aufnimmt.

Die Furche: Gibt es derzeit in Europa überhaupt Platz für ein weiteres Mitgliedsland?

Swoboda: Es geht ja nicht um den jetzigen Zeitpunkt, sondern um einen Beitritt in zehn oder 15 Jahren. Aus meiner Sicht sollte sich die EU neu konstruieren. Um den Euro herum sollte es einen fixen Kern geben von Ländern, die eine tiefe Integration wollen. Und dann sollte es einen Ring von Ländern geben, die zu Europa gehören wollen, aber (noch) nicht alles übernehmen wollen, was den Euro betrifft. So wie die EU derzeit verfasst ist, könnte sie, glaube ich, Länder wie die Türkei oder die Ukraine nicht aufnehmen. Das würde die Europäische Union sprengen. Es muss einen Kern geben, der klare wirtschaftliche, rechtsstaatliche Regeln vorgibt.

Die Furche: Welche Kompetenzen würden dann alle zu Kerneuropa gehören?

Swoboda: Da gehören Grundsätze der Steuerpolitik natürlich dazu, etwa eine Bandbreite von Unternehmensbesteuerung, eine Wettbewerbsgerechtigkeit unter den Staaten.

Die Furche: Europa versucht Griechenland zu stabilisieren. Doch den Griechen geht es immer schlechter. Müssen wir auch in der Krisenpolitik umdenken?

Swoboda: Da zeigt sich, wie zentral die Unterscheidung zwischen Euro- und Nicht-Euro-Zone ist. Denn die Frage der erweiterten Märkte betrifft die Nicht-Euro-Zone. Da kann ich sagen: Wenn es Ungleichgewichte gibt, wertet man einfach ab. In der Euro-Zone kann man das nicht machen, da gibt es eine Währung. Dort muss man eine andere, viel strukturellere Politik betrieben, das ist unterlassen worden. Der Euro hat die Zinsen in den südlichen Staaten verringert, andererseits ist es in Griechenland zu einem gewissen Schlendrian gekommen, die tiefenstrukturellen Probleme Griechenlands wurden einfach überdeckt. Ich ärgere mich immer über die Überschriften: "Das Geld, das wir hinunterschicken“, das ist vielfach ein Geld, das unseren Banken zugute kommt. Und bisher ist kein einziger Euro verloren gegangen. Wir schenken ja nichts her. Keiner unserer Damen und Herren in der Politik sagt das in der Öffentlichkeit. Wir geben Kredite und bisher haben wir alles zurückbekommen.

Die Furche: Große Länder wie Deutschland dominieren die EU. Sehen Sie das als Nachteil?

Swoboda: Das ist eine Katastrophe für die EU, dass ein reiches Land vieles bestimmt und alles verhindern kann. Das ist das Ende eines gemeinsamen Europas. Was haben Spanien, Frankreich, Großbritannien zu reden? Als ich nach Brüssel gekommen bin, war das anders.

Die Furche: Sie scheiden aus dem EU-Parlament aus. Was halten Sie denn für die nächsten großen Herausforderungen der Union?

Swoboda: Wir stehen erst am Anfang des Weges der europäischen Einigung. Es gibt immer wieder Rückschläge. Wir brauchen mehr europäische Einigung, um global stärker aufzutreten. Die Anforderungen steigen. Wir können unsere Interessen wirtschaftlich nur durchsetzen, wenn wir stärker zusammenwachsen.

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