"Die Europäer müssen ihre Kräfte bündeln"

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In Zukunft darf Österreich bei EU-geführten militärischen Operationen keine Durchfahrts- oder Überflugverbote mehr verhängen. Ein EU-Staat kann sich zwar einem Einsatz verweigern, doch behindern darf er diesen nicht. Der neue österreichische Botschafter in Brüssel, bei der WEU und NATO erörtert im Furche-Gespräch die sicherheitspolitischen Perspektiven Österreichs und Europas.

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In Zukunft darf Österreich bei EU-geführten militärischen Operationen keine Durchfahrts- oder Überflugverbote mehr verhängen. Ein EU-Staat kann sich zwar einem Einsatz verweigern, doch behindern darf er diesen nicht. Der neue österreichische Botschafter in Brüssel, bei der WEU und NATO erörtert im Furche-Gespräch die sicherheitspolitischen Perspektiven Österreichs und Europas.

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dieFurche: Sie wurden vom Ministerrat zum Österreichischen Missionschef in Belgien ernannt. Was sind Ihre Hauptaufgaben in dieser Funktion?

Thomas Mayr-Harting: Erstens bin ich für den diplomatischen Kontakt mit Belgien zuständig. Wichtig hierbei, daß Belgien in Größe und europäischer Orientierung mit uns vergleichbar ist, und es daher wichtige Anknüpfungspunkte gibt. Der zweite Aufgabenbereich ist die Vertretung Österreichs bei der Westeuropäischen Union (WEU). Hier tut sich ein interessantes Betätigungsfeld auf: die Integration der WEU in die EU. Diese Diskussion, die für die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik sehr wichtig ist, werde ich mitbetreuen. Dritte Aufgabe ist die des Ständigen Vertreters Österreichs bei der NATO. Da geht es um die gesamte Frage der vertieften Partnerschaft für den Frieden und um das zukünftige Verhältnis zwischen EU und NATO.

dieFurche: Bleiben wir bei diesem Thema. In welche Richtung bewegt sich das Verhältnis zwischen EU und NATO?

Mayr-Harting: Die Diskussion geht dahin, daß die Europäer ihre Kräfte bündeln müssen. Alle EU-Staaten sind sich einig, daß ein funktionierendes System des Krisenmanagements geschaffen werden soll. Es geht nicht um kollektive Verteidigung im klassischen Sinn. Es geht darum, daß wir Krisen besser bewältigen, als bisher. Die Europäer müssen mit überschaubaren Krisen alleine fertig werden, ohne auf die Unterstützung der Amerikaner angewiesen zu sein.

Das setzt voraus, daß die EU mit neuen Entscheidungsstrukturen ausgestattet wird und auf Kapazitäten zurückgreifen kann. Das können europäische Kapazitäten sein, nationale, multinationale; das können aber auch Kapazitäten im Rahmen der NATO sein. Da muß sich die EU darauf verlassen können, daß die NATO im entscheidenden Fall diese Strukturen auch zur Verfügung stellt.

Gleichzeitig glaube ich, daß für die großen sicherheitspolitischen Probleme der Welt die transatlantische Partnerschaft weiterhin von entscheidender Bedeutung bleibt. Aber eine besser austarierte Partnerschaft, in der die Europäer ein größeres Gewicht haben, in ihrer Summe und durch ihr gemeinsames Auftreten gegenüber den Amerikanern.

dieFurche: Wenn sich die militärischen Proportionen in der NATO nicht gravierend verändern, und die Amerikaner ihre militärische Übermacht behalten, wird doch die NATO immer am Gängelband der USA bleiben ...

Mayr-Harting: Das ist sicher richtig, nur gemessen an den Verteidigungsausgaben geben die Europäer nicht wesentlich weniger aus. Nur kriegen wir in der Effizienz darum wahrscheinlich weniger. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß in großen Konflikten die Amerikaner nicht nur das nötige Material zur Verfügung haben, sondern einfach auch die schnelleren Entscheidungsmechanismen. Für eine Präsidialverfassung ist es eben leichter wesentliche Entscheidungen zu treffen, als für einen Verbund von 15 Staaten.

Wenn die Entwicklungen aber so weiter gehen wie bisher, kann man sicher sein, daß das Gewicht der verbündeten Europäer innerhalb der NATO ein stärkeres wird.

dieFurche: Welche Rolle spielt das neutrale Österreich in der Frage über eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik?

Mayr-Harting: Entscheidungen mit militärischen Implikationen können im EU-Kontext grundsätzlich nur einstimmig fallen. Es kann also ein Beschluß, europäische Soldaten da oder dort einzusetzen, nicht gegen den Willen eines Landes gefaßt werden. Doch man hat die Möglichkeit geschaffen, daß ein Mitgliedsstaat sich konstruktiv der Stimme enthalten kann. Er widersetzt sich zwar nicht dem Konsens, doch er braucht sich nicht zu beteiligen, darf aber auch den Einsatz nicht behindern. In einem solchen Fall, wenn sich Österreich bei einem EU-Einsatz konstruktiv der Stimme enthält, hätten wir Überflugs- und Durchfahrtsgenehmigungen zu gewähren, weil das sonst eine Behinderung der Operation wäre.

dieFurche: Heißt das, Österreich darf in Zukunft keine Überflugs- und Durchfahrtsverbote wie im Falle des Kosovo-Konfliktes mehr aussprechen?

Mayr-Harting: Bei EU-geführten Operationen wird sich in Zukunft dieses Problem nicht in der Form stellen, in der es sich beim Kosovo-Krieg gestellt hat, wo es ja keine EU-geführte sondern eine NATO-geführte Operation war. Im Fall von Operationen unter der politischen Verantwortung der EU ist die Situation seit dem Vertrag von Amsterdam für Österreich eine andere, weil wir mit dem Artikel 23f in der Bundesverfassung die Möglichkeit geschaffen haben, unter gewissen Voraussetzungen auch Operationen zu gewähren, wenn sie nicht durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgestützt sind.

dieFurche: Ist durch diese Anpassungen Österreichs immerwährende Neutralität obsolet, geworden?

Mayr-Harting: Österreich hat im Beitrittsantrag zur EU de facto eine Art Neutralitätsvorbehalt gemacht. Wie wir dann beigetreten sind, sind wir aber erstens ohne Vorbehalt beigetreten, und haben zweitens zugesagt, daß wir unsere innerstaatliche Rechtsordnung so anpassen, daß wir unsere Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft erfüllen können.

Aufrecht ist nach wie vor, was wir im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt als den Kern der Neutralität bezeichnet haben. Wir sind durch die EU nicht Teil eines militärischen Bündnisses geworden. Andererseits befinden wir uns in der EU in einem Prozeß, der zu einer gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik führt. Immerhin gibt es eine Diskussion darüber, ob die EU nicht in Zukunft eine Beistandsverpflichtung haben soll. Das ist ein Thema, das meines Erachtens nicht endgültig weg ist, sondern eines Tages wieder auf die europäische Tagesordnung zurückkommen wird. Ich glaube, daß der Artikel 23f noch nicht die letzte Anpassung war, die wir im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft vorgenommen haben. Das ist ein Prozeß, der weitergehen wird.

dieFurche: Sie gelten als Befürworter eines NATO-Beitritts Österreichs. Ist der Beitritt nach dem am Koalitionsstreit gescheiterten Optionenbericht ein für allemal erledigt?

Mayr-Harting: Die Frage eines NATO-Beitritts ist im Moment nicht aktuell, weil die NATO selber im Moment nicht daran denkt, neue Mitglieder aufzunehmen. Die gesamte Frage der NATO-Erweiterung ist einmal bis zum nächsten NATO-Gipfel, der ja frühestens im Jahr 2002 stattfinden wird, nicht auf dem Tisch.

dieFurche: Die sicherheitspolitische Diskussion in Österreich kann somit bis 2002 auf Sparflamme köcheln ...

Mayr-Harting: Keineswegs! Die Frage, wie sich die europäische Sicherheitsordnung weiterentwickelt, ist sehr wohl am Tisch. Da sind wir in die Diskussionen der EU voll eingebunden. Die Entwicklung geht meiner Meinung nach in Richtung einer engeren Vernetzung von EU- und NATO-Strukturen. Der Europäische Rat in Köln hat gesagt, daß man ein Krisenmanagement entwickeln will, in dem sich die EU-Staaten, und zwar unabhängig davon, ob sie alliiert sind oder nicht alliiert, ob sie neutral oder bündnisfrei sind, gleichberechtigt beteiligen können.

Zwangsläufig werden sich da die Fragen unseres Verhältnisses zu allen beteiligten Organisationen wieder stellen. Zuerst muß aber die Frage geklärt werden, wie geht es in der EU sicherheitspolitisch weiter.

dieFurche: In Österreich bestehen nach wie vor starke Vorbehalte gegenüber einer Aufgabe der Neutralität. Wie argumentieren Sie dagegen?

Mayr-Harting: Viele Jahre lang wurde gesagt, daß die Neutralität etwas Wichtiges und Identitätsstiftendes ist. Bis heute ist der Nationalfeiertag der Tag, an dem das Neutralitätsgesetz erlassen wurde. Das war die politische Bedingung, damit wir unsere Freiheit und Unabhängigkeit erlangen konnten. Nur, wenn man sagt, die Neutralität ist die Grundlage unseres Wohlstandes und unserer Sicherheit, ist das sicherlich ein unvollkommenes Bild.

Die Grundlage unseres Wohlstandes war von Anfang an die europäische Integration. Unsere Sicherheit ist, wenn wir ehrlich sind, bis 1989 durch die Anstrengungen der westlichen Staatengemeinschaft mitgeschützt worden. Wir haben dazu einen bescheidenen Beitrag geleistet.

Das andere ist: wenn wir von der Neutralität reden, reden wir von Modellfällen wie Schweden und Schweiz. Das sind Erfolgsmodelle unter den europäischen Neutralen. Aber es gibt auch Belgien, es gibt Norwegen, es gibt Dänemark. In diesen Ländern war die Neutralitätspolitik nicht so erfolgreich. Das sollten Neutralitäts-Befürworter auch bedenken.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

ZUR PERSON Botschafter bei der NATO Im Vergleich zu früheren Botschafterernennungen, die oft zum koalitionären Kleinkrieg ausarteten, lief die Bestellung Thomas Mayr-Hartings zum neuen österreichischen Missionschef in Belgien reibungslos ab. In dieser Funktion ist Mayr-Harting auch Ständiger Vertreter Österreichs bei der NATO und bei der Westeuropäischen Union (WEU). Der 1954 in Epsom, Großbritannien, geborene Diplomat gehörte bisher zum Beraterkreis von Außenminister Wolfgang Schüssel. Er war seit 1996 stellvertretender Politischer Direktor im Außenministerium und leitete die Abteilung für Grundsatzfragen, sicherheitspolitische Angelegenheiten und Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Der neue Botschafter und bekannte Befürworter eines NATO-Beitritts Österreichs war einer der Autoren des am Koalitionsstreit gescheiterten Optionenberichts der Bundesregierung, der das zukünftige Verhältnis zwischen Österreich und der NATO zum Thema hatte.

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