"Die Flüchtlings-Debatte vollkommen unterschätzt"

19451960198020002020

Polens Wähler entscheiden am kommenden Wochenende über ein neues Parlament - im Zentrum der Wahldebatte stand die Fremdenpolitik.

19451960198020002020

Polens Wähler entscheiden am kommenden Wochenende über ein neues Parlament - im Zentrum der Wahldebatte stand die Fremdenpolitik.

Werbung
Werbung
Werbung

Polen wählt ein neues Parlament und damit eine neue Regierung. Ein Rechtsruck scheint wahrscheinlich. Gespräch mit dem Politologen und Polen-Spezialisten Klaus Bachmann.

Die Furche: In den europäischen Ländern hat die Flüchtlingswelle große Ängste ausgelöst und rechtsnationalen Politikern Auftrieb gegeben. Polen hat schon seit dem Frühjahr einen rechtsnationalen Präsidenten. Nun gibt es Parlamentswahlen, wird sich dieser Trend fortsetzen?

Klaus Bachmann: Die Umfragen lassen nur eine Prognose zu, nach der PiS, also die Rechtsnationalen, die größte Partei sein wird, gefolgt vom Mitterechtsbündnis PO. Alles weitere steht in den Sternen, vor allem wegen der großen Zahl derer, die in Umfragen keine Parteienpräferenz angeben und - falls sie überhaupt zur Wahl gehen - erst im letzten Moment ihre Entscheidung fällen.

Die Furche: Präsident Duda hat demnach seiner Partei großen Auftrieb geben können und keine Fehler gemacht?

Bachmann: Er hat, wie alle in Polen, die Dynamik der Flüchtlingsdebatte völlig unterschätzt. Es war auch ein Fehler, sich so sehr in der Bewunderung seiner Anhänger zu sonnen, statt ihnen klar zu machen, dass er die gigantischen Hoffnungen, die sie in ihn setzen, schon wegen der Begrenzungen seines Amtes gar nicht wird erfüllen können. Für seine Wiederwahlchancen wäre es besser, wenn sie das nicht erst kurz vor der nächsten Präsidentschaftswahl erfahren.

Die Furche: Zwischen Duda und dem Fraktionsführer Jarosław Kaczynski scheinen Welten zu liegen. Vor allem wenn es um Fremde und Flüchtlinge geht. Die "FAZ" schrieb kürzlich von einer Politik des Hasses, die Kaczynski vertritt. Schafft er sich damit Zulauf?

Bachmann: Ich glaube nein. Die Kernwähler von PiS würden die Partei auch ohne solche Rhetorik wählen, die anderen werden eher davon erschreckt. Das ist ein Grundproblem in Polen, dass die politischen Eliten die Wähler immer für hinterwäldlerischer halten, als sie wirklich sind und dann in einer Art vorauseilendem Gehorsam nationalistische Stimmungen noch anheizen. Duda war da viel vorsichtiger als Kaczynski, allerdings hat er auch den Wahlkampf hinter sich und ohnehin keine Kompetenzen in der Einwanderungs- und Asylpolitik.

Die Furche: Polen bekommt nicht besonders viel Aufmerksamkeit in europäischen Medien. Es sei denn, es geht um die Weigerung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Im Ausland und vor allem in Deutschland wird das als "Undankbarkeit" der Visegrád-Staaten empfunden.

Bachmann: Die Frage hat fast den gesamten Wahlkampf geprägt. Die Regierung - die ja von PO und der kleineren Polnischen Bauernpartei gestellt wird - fürchtete, PiS und der Präsident könnten das Thema gegen sie im Wahlkampf nutzen und stellten sich erst einmal kategorisch gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und gegen das Juncker'sche Quotensystem. Die Linie war natürlich nicht durchzuhalten, angesichts des Drucks der EU-Länder, die Hauptziel der Flüchtlinge sind -, und angesichts des enormen wirtschaftlichen Interesses Polens an offenen Binnengrenzen im Schengenraum. Deshalb brach in den Medien, aber z. T. auch in der Regierung regelrecht Panik aus, als Deutschland auch nur die Einführung von Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich ankündigte. Das anfängliche Nein zum Junckerplan führte eigentlich auch nur dazu, dass die Opposition noch radikaler opponierte, angetrieben von Teilen der rechtsnationalen Presse, die anfingen, die Flüchtlinge als Invasoren, Terroristen und - wie vor Kurzem dann Kaczynski - als Träger von ansteckenden Krankheiten und Parasiten zu verunglimpfen. Statt der Xenophobie den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Regierung nur erreicht, dass sich die Opposition beim Thema Flüchtlinge noch mehr radikalisierte.

Die Furche: Kann es da Ihrer Einschätzung nach zu Veränderungen nach der Wahl kommen?

Bachmann: In der Flüchtlingsfrage wird jede Regierung in einer Zwickmühle sein. Anders als Ungarn kann Polen keinen geopolitischen Spagat in der EU machen. Die Wirtschaftsentwicklung ist sehr stark von Deutschland abhängig, es gibt zehn- wenn nicht hunderttausende Polen die in Deutschland arbeiten und für die schon die einfache Wiedereinführung von Grenzkontrollen eine Katastrophe wäre (was die Ministerin für Regionalentwicklung auch schon so gesagt hat).

Die Furche: Polen hat nach eigener Darstellung ja auch schon sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen.

Bachmann: Polen hat fast keine Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Nach den aktuellen Zahlen befinden sich zur Zeit 52.000 Ukrainer legal in Polen, aber davon hat kein einziger Asyl erhalten. Es ist auch Unsinn, Ukrainer gegen Flüchtlinge aufzurechnen, besonders wenn man Flüchtlinge als Belastung ansieht weil Polen Ukrainer regelrecht ins Land bittet. Das ist eine Art Konjunkturprogramm für die relativ armen Grenzgebiete im Osten. Da ist es schwer zu argumentieren, dass das eine so große Belastung ist, dass Polen keine Flüchtlinge aufnehmen kann.

Die Furche: Wieviel hat die Krise mit Russland Polen gekostet?

Bachmann: In Polen spielt das eine Rolle für die Bauern, weil die von den Gegensanktionen am stärksten betroffen waren. Insgesamt wäre Polen eher für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland - auch aus Solidarität mit der Ukraine. Diese Solidarität mit den Flüchtlingen, die es in der Bevölkerung in Österreich und Deutschland zur Zeit gibt, hatte letztes Jahr ihre Entsprechung in Polen in Bezug auf die Ukraine - als man in Westeuropa nicht verstand, was da in der Ukraine eigentlich passierte, waren hier alle Medien voll davon.

Das Gespräch führte oliver tanzer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung