Die Franchise-Terroristen

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Krieg in Afghanistan und im Irak, bewaffnete Auseinandersetzungen in Pakistan – die Terrorgefahr für den Westen ist nach wie vor immens hoch, wie eine vereitelte Entführung eines US-Passagierflugzeugs im Dezember 2009 zeigt. Denn das Al-Kaida-Terrornetzwerk zeigt sich flexibel und lässt sich vom „war on terror“ bei seinen Aktivitäten nicht stören.

Ein muslimischer Nigerianer, der aus wohlhabenden Verhältnissen stammt und sich als distinguierter, intelligenter Zeitgenosse präsentiert – das sind nicht unbedingt die Attribute, die man einem Terroristen zuschreiben würde. Und doch bilden die Eigenschaften den biografischen Hintergrund eines Mannes, der am ersten Weihnachtsfeiertag letzten Jahres ein Passagierflugzeug der Delta/Northwest auf dem Weg nach Detroit in die Luft sprengen wollte.

Die Geschichte des Umar Farouk Mutallab wäre allerdings nur unvollständig beschrieben, würde sein Lebensabschnitt im Jemen unerwähnt bleiben. In dem zerfallenden Staat begibt er sich in ein Militärcamp und lässt sich zum Terroristen ausbilden. Der studierte Ingenieur lernt, wie man Sprengsätze baut und sie in Flughäfen schmuggelt. Er wird mit antiamerikanischer Hasslehre geimpft und zum bedingungslosen Gehorsam zu Allah erzogen. Mutallab radikalisiert sich. Er ist bereit, für seine verquere Überzeugung zu töten.

Geschwächt, aber nicht zerstört

Zwar scheitert sein Anschlagsversuch vom 25. Dezember 2009 am Mut einiger Passagiere, die den Attentäter in letzter Sekunde überwältigen. Den USA hält der verhinderte Delta-Anschlag jedoch eindrücklich vor Augen, wie verwundbar das Land ist. Gut acht Jahre nachdem der damalige Präsident George W. Bush den „war on terror“ ausrief, sind die USA von der Vergangenheit eingeholt worden. Der Schrecken geistert wieder vor den Toren der Freiheit. Und das, obwohl einige Sicherheitsexperten glaubten, die Schlagkraft der Terroristen sei nachhaltig eingedämmt worden.

Zweifellos ist die Organisation in den letzten Jahren geschwächt worden: Das massive Vorgehen der NATO-Streitkräfte in Afghanistan sowie die unbemannten Drohnenangriffe in Pakistan haben der Führungsriege von Al Kaida schwer zugesetzt. Die Drahtzieher um Osama bin Laden sind entweder auf der Flucht oder schon tot – und folglich nicht handlungsfähig. Auch werden die restlichen Operationszentren in Afpak (Afghanistan und Pakistan) unter dem Druck ständiger Angriffe so sehr beeinträchtigt, dass eine kohärente Logistik und Kommunikation schier unmöglich ist. Wohl kaum wäre das Netzwerk derzeit in der Lage, Anschläge „in großem Stil“ zu verüben. Doch aus der vermeintlichen Schwäche erwächst die eigentliche Stärke der Terroristen.

Symbiotische Partnerschaften

Erstens verfügen die Dschihadisten über ein fungibles Netzwerk, das sich rund um den Globus spannt. Von Algerien bis Indonesien operieren dezentrale Terrorzellen, die sich weitgehend von der früheren Schaltzentrale abgekoppelt haben. Sie agieren relativ autonom und werden ideell wie materiell unterstützt. Zu den „Leistungen“ gehören theoretische Instruktionen, organisatorische Hilfestellung sowie – in geringem Umfang – Waffenlieferungen. Aber auch neue fundamentalistische Gebilde, die vorher noch nicht mit Al Kaida in Verbindung standen, treten an die Islamisten heran und zapfen den Technologiekanal an, über den das Know-how transferiert wird. Dieser Franchisemechanismus ist dadurch gekennzeichnet, dass zwischen Franchisegebern und -nehmern eine symbiotische Partnerschaft entsteht. Die Franchisenehmer, sprich die Terrorzellen vor Ort, bekommen ein Konzept an die Hand, mit dem sie selbstständig Terroranschläge durchführen können. Im Gegenzug „promotet“ der Franchisegeber seine „Glaubenssätze“ und kann – trotz schwacher Führung – mittelbaren Einfluss auf die verhassten Regierungen im Westen nehmen. Vermittels der klandestinen Auslagerung terroristischer Aktivitäten gelingt es Al Kaida, dezentrale Steuerungsmöglichkeiten zu eröffnen und den Zerfall zentraler Planungskapazitäten zu kompensieren.

Zweitens hat Al Kaida in den letzten Jahren seine interne Organisationsstruktur grundlegend verändert. Statt einer strengen Hierarchie mit einem Führer an der Spitze wurden Kompetenzen auf Zweigstellen aller Kontinente übertragen, die Verantwortung damit verteilt. Längst hat der verschollene Osama bin Laden seinen Status als „CEO“ des internationalen Terrorismus eingebüßt. Er spielt allenfalls noch die Rolle des Chefideologen, der sich in unregelmäßigen Abständen über Tonbandaufnahmen zu Wort meldet. Das Heft des Handelns führen andere: Bis zu seinem Tod 2006 gerierte sich Abu Musab az-Zarqawi als „Al-Kaida-Führer im Irak“, in Jordanien und Saudi-Arabien operieren heute selbst ernannte Mudschaheddin. Und in Nordafrika firmiert ein Ableger unter den Namen „Al Kaida im Maghreb“, der formal nicht in die Struktur eingebunden ist, aber die krude Ideologie der Mutterorganisation teilt. Es lässt sich hierbei feststellen, dass sich das System Al Kaida in heterogene Untergliederungen ausdifferenziert, die offiziell nicht dem Kommando des verblassten Kerns unterstehen. Die Verbreiterung der Zuständigkeitsbasis geht mit einer komplexen Binnenarchitektur einher: Al Kaida ist heute ein loses Netzwerk mit Tausenden Anschlüssen.

Drittens hat sich eine informelle Gruppierung sogenannter „homegrown terrorists“ herausgebildet, die die globale Omnipräsenz der Bewegung zementiert. Diese Personen sind zumeist Konvertiten von überdurchschnittlicher Intelligenz, die in einem liberaldemokratischen Land aufgewachsen und mit der lokalen Infrastruktur vertraut sind. Die Brandstiftung am Flughafen von Glasgow im Jahr 2007 oder die aufgeflogenen Pläne der Sauerland-Gruppe in Deutschland gehen auf dieses Phänomen zurück. Eingewoben in ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht, entwickeln die Wölfe im Schafspelz des Westens eine Art Do-it-yourself-Terrorismus nach dem Franchise-Prinzip: Die Anleitung zum Bombenbasteln schicken Al-Kaida-Schergen via Internet, gebastelt wird dann mit einfachsten Materialien aus dem Baumarkt. Scheinbar unbehelligt hecken die unauffälligen Straftäter ihre Pläne aus – inmitten bürgerlicher Umgebung.

Katz-und-Maus-Spiel

Durch die globale Ausdehnung und Verschlankung der Binnenstrukturen verfügen die Dschihadisten über einen hohen Grad an Mobilität und Flexibilität, der es ihnen erlaubt, mit den Häschern Katz und Maus zu spielen.

Jüngstes Beispiel ist der Jemen. Fast unbeachtet von der Öffentlichkeit eröffnete Al Kaida dort eine neue Terrorfront, während die NATO-Verbündeten in Afghanistan und Pakistan die Brutstätte des globalen Terrorismus zu bekämpfen glaubten. Im Schatten der instabilen Afpak-Region rekrutierte Al Kaida auf der arabischen Halbinsel neue Kämpfer gegen den feindlichen Westen – und fand dafür optimale Bedingungen: eine schwache Regierung, die in militärische Auseinandersetzungen mit separatistischen Rebellen verwickelt ist und keine (Macht-)Ressourcen besitzt, um gegen subversive Elemente vorzugehen. Nolens volens ließ die Regierung die Terroristen gewähren. So auch Umar Mutallab. Die USA sehen darin die Notwendigkeit, ihre Anstrengungen im Jemen zu intensivieren: Das korrumpierte Regime soll im Kampf gegen die Terroristen mit millionenschweren Zuwendungen unterstützt werden.

Dieser einseitigen, regionalen Fokussierung wohnt jedoch ein fundamentaler Denkfehler inne: Al Kaida ist weder militärisch noch politisch zu „fassen“ – die Bewegung hat sich weitgehend verselbstständigt. Wie ein Krebsgeschwür wuchert sie im internationalen System und streut ihre tödlichen Metastasen in alle Winkel der Welt.

Die freien Radikale, die bei der globalen Expansion freigesetzt werden, bilden ihrerseits den Anknüpfungspunkt des ausgeklügelten Franchisesystems, über das ein informelles Netz symbiotischer Austauschbeziehungen gespannt wird. Gespeist mit technologischem Know-how, entwickeln die autonomen Glieder ein institutionelles Eigenleben. Mangels zentraler Kommandogewalt sind die Operationen kaum kontrollierbar, die internen Kommunikationsprozesse höchst intransparent – und damit schwer zurechenbar. Was noch schwerer wiegt: Die ungehemmte Zellvermehrung, gepaart mit unvorhersehbaren Mutationen, lässt keinen konzentrierten Angriffspunkt zu, die Auswucherungen zu bekämpfen.

Die Eigendynamik des internationalen Terrorismus bindet den USA und ihren Verbündeten die Hände – und macht Al Kaida gegen Anti-Terrormaßnahmen zunehmend immun.

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