Die gefesselte Phantasie

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Es war im Prinzip alles wie gehabt: das Rumoren (bei der SPÖ nennt man das "Gesudere") in der Partei, der Unmut der Kurfürsten, die Beteuerungen, es gebe keine Obmanndebatte -bis sich dann doch irgendein fünfter Zwerg von links mit einer Rücktrittsaufforderung aus der Deckung wagt (Tiroler AK-Präsidenten sind für diese Rolle prädestiniert; sie beziehen ihr Selbstwertgefühl offensichtlich aus dem Umstand als VP-ler in dieser Funktion Seltenheitswert zu besitzen -sonst kennt ja nur noch Vorarlberg "schwarze" AK-Chefs). Und irgendwann musste auch der Hinweis kommen, man vermisse die "christlich-soziale Handschrift" in der Partei. Diese Kritik kommt stets entweder von jenen, die mit "christlich" nichts am Hut haben und unter "sozial" sich nichts anderes als "sozialistisch" vorstellen können; oder von Parteifreunden -Altvordere, Gewerkschafter, Kämmerer, Landespolitiker etc. - mit besonderen Profilierungsbedürfnissen. Auf die entsprechende mediale Resonanz ist Verlass. Alles wie gehabt auch danach: Der Neue verspricht sinngemäß nicht alles anders, aber vieles besser zu machen, die Paladine signalisieren Geschlossenheit (jetzt aber wirklich) und schwören dem Kaiser treue Gefolgschaft. Der Koalitionspartner gibt sich betont höflich, was bisweilen schon eine subtile Form der Demütigung sein kann.

Inhalte? Fehlanzeige!

Und sonst? Ach ja, wofür steht der Neue eigentlich, wohin will er die Partei führen? Wer meint, das müsste die vordringliche Frage sein, liegt falsch. Kaum eine Frage in den ersten Interviews mit Reinhold Mitterlehner, die auf Programmatisches abzielte: Da konnte er sich locker mit ein paar Schlagworten (Marktwirtschaft mit Adjektiven) drüberturnen, von Gesellschaftspolitik sowieso keine Rede. Dafür bis zum Abwinken Personalspekulationen und Ähnliches: wer, was, wie lange? Inhalte? Fehlanzeige!

Vermutlich wird es aber letztlich doch genau darauf ankommen. Genauer gesagt: Für das Schicksal der ÖVP wird entscheidend sein, ob es ihr gelingt, die Abwanderung enttäuschter Bürgerlicher bzw. Liberalkonservativer zu Nichtwählern, FPÖ, Team Stronach und NEOS zu stoppen oder zu verhindern. Das heißt natürlich nicht, dass diese Parteien durchgängig bürgerlich-liberale Positionen verträten -aber sie machen in (unterschiedlichen) Teilbereichen der ÖVP ernsthafte Konkurrenz, wie etwa auch die ORF-Diskussion der Klubobleute am Abend des VP-Obmannwechsels deutlich gezeigt hat.

Zukunftsweisende Abschiedsrede

Um es sarkastisch zu sagen: Reinhold Mitterlehner könnte sich die Abschiedsrede von Michael Spindelegger zu Herzen nehmen. Hätte sich Spindeleggers Politik daran orientiert, hätte er das, was er im Nachhinein quasi ex negativo formuliert hat, auf Schienen gebracht, in konkrete Politik umgesetzt, er wäre nicht gescheitert. So hinterlässt er es immerhin seinem Nachfolger als Aufgabe. Denn natürlich war das Programm der "Entfesselung" - der Wirtschaft, aber auch von Bürokratie, überkommenen Strukturen etc. - richtig, auch wenn der ORF in bewährter Unmanier das auch noch zum Abschied ins Lächerliche gezogen hat. Natürlich haben wir es mit einem grassierenden Sozialpopulismus zu tun, der unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit Österreich eher in Richtung Athen als Berlin (Spindelegger) führt. Ob der bisher großkoalitionär-sozialpartnerschaftlich orientierte Mitterlehner diese Bälle aufnehmen will oder kann, bleibt abzuwarten.

Noch mehr Skepsis ist freilich in gesellschaftspolitischen sowie generell weltanschaulichen Belangen angebracht. Hier hat schon Spindelegger, an dessen persönlichen Werthaltungen kein Zweifel bestand, durch seltsame Personalentscheidungen und mangelnde Führungskraft für Irritationen gesorgt. Bei Mitterlehner weiß man wohl noch weniger, wie man dran ist.

rudolf.mitloehner@furche.at

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