Die gelebte Demokratie war für uns alle ein bissl fremd"

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Norbert Schnedl ist neuer Chef der Christlichen Gewerkschafter und ÖGB-Vizepräsident. Dass Fritz Neugebauer nicht im ÖGB-Vorstand sitzt, macht für ihn eine "sehr schiefe Optik".

Die Furche: Herr Vizepräsident, haben Sie die Nichtwahl von Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer als "konzertierte Aktion" der SP-Gewerkschafter erlebt?

Norbert Schnedl: Der Reformpfad des ÖGB ist so angelegt, dass alle Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften vertreten sein sollen. Wenn jetzt der Spitzenrepräsentant einer der größten Gewerkschaften fehlt, ergibt das eine sehr schiefe Optik.

Die Furche: Sind Sie nicht Repräsentant im ÖGB-Vorstand genug?

Schnedl: Ich bin in meiner Funktion als Fraktionschef der Christlichen Gewerkschafter dabei, das ist etwas anderes.

Die Furche: Die rote Gewerkschafterin Renate Csörgits wurde ebenfalls nicht gewählt - ist es also doch um bestimmte Personen und nicht um Parteizugehörigkeiten gegangen?

Schnedl: Renate Csörgits ist als Frauenvorsitzende ihrer Fraktion gewählt worden; dass sie dann offensichtlich ihre sozialdemokratischen Männerkollegen abgewählt haben, ist eine andere Sache.

Die Furche: Hat Neugebauer durch seine Abwesenheit vom Kongress seiner Nichtwahl Vorschub geleistet?

Schnedl: Nein, Vorsitzender Neugebauer hat sich bei Präsident Hundstorfer für den Kongress entschuldigt.

Die Furche: Für eine Tagung des Europarates - war da die Gewichtung der Prioritäten in Ordnung?

Schnedl: Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die europäische Ebene sehr wichtig. Gerade dort werden die Weichen für nationale Regelungen gestellt.

Die Furche: Mit der Ankündigung der Gründung eines Zweigvereins hat die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) jetzt dem ÖGB die Rute ins Fenster gestellt.

Schnedl: Das ist keine Rute. Die Rechtsfähigkeit und damit die Möglichkeit der Gründung von Zweigvereinen wurde beim Kongress fast einstimmig beschlossen.

Die Furche: Wenn die GÖD jetzt diesen Schritt tut, kann der ÖGB demnach nichts dagegen haben.

Schnedl: Vollkommen korrekt. Dieser Weg ist statutenkonform und ein wesentliches Element des Reformkongresses gewesen.

Die Furche: Dass damit die Schlagkraft des ÖGB insgesamt geschwächt wird, fürchten Sie nicht?

Schnedl: Absolut nicht, der Zentralismus hat uns dort hingeführt, wo der ÖGB heute steht. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Subsidiarität auch innerhalb des ÖGB mit Leben erfüllen. Das entspricht auch ganz unserem christlich-sozialen Weltbild.

Die Furche: Neben der Teilrechtsfähigkeit, was war für Sie der größte Fortschritt dieses Reformkongresses?

Schnedl: Die Weichen für die Zukunft des ÖGB sind gut gestellt. Besonders wichtig ist, dass wir in Zukunft auch jene Kolleginnen und Kollegen unterstützen können, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen stehen oder freiberuflich tätig sind; damit auch diese Gruppen eine bessere soziale Absicherung erhalten. Ganz wichtig ist mir auch, dass im ÖGB-neu die Überparteilichkeit neu gelebt wird.

Die Furche: Sind Sie dann mehr Gewerkschafter oder Christdemokrat?

Schnedl: Ich bin Vorsitzender der Bundesfraktion Christlicher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter.

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

Roswitha Bachner ist neue ÖGB-Vizepräsidentin. Gegenüber Zweigvereinen ist sie skeptisch, aber das zarte Pflänzchen Demokratie will sie im Gewerkschaftsbund weiter wachsen lassen.

Die Furche: Frau Vizepräsidentin, wie stehen Sie zur angedrohten Zweigsvereinsgründung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst?

Roswitha Bachner: Grundsätzlich bin ich skeptisch, denn allein die Diskussion über die Gründung von Zweigsvereinen assoziiert, dass es zu einer Schwächung des Gesamtvereins kommt. Zudem gibt es unterschiedliche Rechtsauskünfte dazu, was ein Zweigverein kann und was nicht und wie das Verhältnis zum Hauptverein ausschaut.

Die Furche: Der ÖGB-Kongress hat die Teilrechtsfähigkeit beschlossen - warum, wenn das bei konkreter Umsetzung Bauchweh verursacht?

Bachner: Wir haben diese Möglichkeit in dem Bewusstsein in unseren Statuten verankert, dass das nicht umgehend passieren kann oder soll. Und es war immer klar, dass es vor einer Umsetzung rechtlicher Prüfungen bedarf.

Die Furche: Das Argument teilen Sie nicht, dass gerade der zentralistisch geführte ÖGB das Desaster des letzten Jahres verschuldet hat?

Bachner: Dieses Argument entspricht nicht den Tatsachen: Für die Causa BAWAG kann man nicht dem zentralistischen ÖGB die Schuld geben. Da haben zwei Personen widerrechtlich zu ÖGB-Statuten Beschlüsse gefasst. Um so etwas in Zukunft zu verhindern, brauchen wir keine Zweigvereine, sondern mehr Kontrollmechanismen, die wir bei diesem Kongress auch eingezogen haben.

Die Furche: Wird nach den überraschenden Wahlergebnissen beim Kongress die Basisdemokratie im ÖGB wieder zurückgeschraubt?

Bachner: Das wäre ein schwerer Fehler; die gelebte Demokratie auf dem Kongress, speziell bei den Wahlen, war für uns alle ein bissl fremd - aber es war ein wichtiger und richtiger Schritt und es würde dem ÖGB nicht gut tun, diese ersten Ansätze zu mehr Demokratie wieder zurückzuschrauben.

Die Furche: Haben diese Wahlergebnisse dem ÖGB gut getan?

Bachner: Für die handelnden Personen ist das sicher eine extrem schwierige Situation; es ist nicht lustig, wenn man für eine Funktion kandidiert, dann aber keine Mehrheit bekommt. Aber gelebte Demokratie bedeutet: Wenn ich mich Wahlen stelle, muss ich das Ergebnis akzeptieren.

Die Furche: Waren das "konzertierte Aktionen" gegen Neugebauer und Csörgits?

Bachner: Nein, in beiden Fällen, haben die Delegierten einfach ihre Unzufriedenheit kundgetan.

Die Furche: Bei Ihrer Wahl hat Ihr Bundesratsmandat keine Rolle gespielt, während Frau Csörgits die Mehrfachfunktion als Nationalratsabgeordnete vorgeworfen wurde.

Bachner: Offensichtlich hat es bei mir zum Zeitpunkt der Wahl noch keine Rolle gespielt, aber ich meine, dass es in weiterer Folge eine Rolle spielen würde ...

Die Furche: Das bedeutet?

Bachner: Dass, sobald wir meine Nachfolge geordnet haben, ich den Bundesrat verlassen werde.

Die Furche: Noch ein Wort zum Streikfonds, weil er gar so sang-und klanglos abgeschafft wurde - hat der ÖGB jetzt ausgestreikt?

Bachner: Es muss auch ohne gehen. In anderen Ländern hat es noch nie Streikfonds gegeben - und die streiken wesentlich mehr als wir. Wir sind mit Streiks immer sehr vorsichtig umgegangen. Aber niemand wird uns auch in Zukunft daran hindern, wenn es notwendig ist, zu streiken.

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