Die Gesetze des alten Mannes

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15 Jahre nach dem Ende der Diktatur tut sich Chile immer noch schwer mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit.

Das ist ein Rückschritt aus Sicht der Menschenrechte, eine Verletzung unserer Verfassung", tobte minutenlang Pablo Rodríguez, Anwalt von Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet (1973-1990). Draußen, vor dem Obersten Gericht von Santiago de Chile jubelten derweil Angehörige der Opfer einer der dunkelsten Zeiten von Chiles Geschichte. Sie fallen einander in die Arme, schwenken Fotos ihrer verlorenen Eltern, Geschwister, Ehegatten. Über 3000 Menschen sind in der Diktatur umgebracht worden oder verschwunden, Zehntausende wurden grausamst gefoltert.

Szenen vom 4. Jänner 2005. Ein Tag, der einen Durchbruch bei der langen Suche nach Gerechtigkeit in Chile brachte. Es war der Tag, an dem Pinochet endgültig für prozessfähig erklärt wurde. Das jahrelange Ringen um die Gesundheit des 89-jährigen Greises hatte damit ein Ende. Seine angebliche Altersdemenz, Hauptargument der Verteidigung, das über Jahre alle Anklagen abprallen ließ, schützt den General a. D. nun nicht mehr vor der Justiz. "Darauf haben wir 30 Jahre lang gewartet", sagt Viviana Diaz von der Vereinigung Angehöriger verschwundener Häftlinge (afdd) und nennt das Urteil "historisch" (siehe Interview).

Schockierende Berichte

Seit am 11. März 1990 Pinochet die Macht an den ersten wieder frei gewählten Präsidenten Patricio Aylwin abgab, sucht das Land nach dem rechten Weg einer Auseinandersetzung mit der Zeit der Diktatur. Eine Selbstamnestie der Militärs und die starke politische Rechte, die durch Pinochets Verfassung von 1980 geschaffen worden war, haben bisher eine juristische Verfolgung der Verbrechen weit gehend verhindert. Immerhin kam es zur moralischen Verurteilung der Diktatur durch eine Wahrheitskommission (1990) und einen Runden Tisch (1999). Im November vergangenen Jahres erschütterte dann der Bericht der Kommission für politische Haft und Folter das ganze Land. Obwohl die Folter unter Pinochet ein offenes Geheimnis war, entsetzten die Brutalität und Systematik, die die 35.000 Zeugenaussagen veranschaulichen: "Ich wurde in eine Zelle geführt, in der es stark nach Blut roch. Sie rissen mir die Kleider runter und banden mich auf einem Tisch fest. Dann gaben sie mir Stromstöße in die Vagina, die Brüste und die Knie. Später sagte ein Unteroffizier, er hoffe, dass dies nie seiner Tochter passieren würde, sollte sich der Spieß einmal umdrehen", erinnerte sich eine damals noch minderjährige Frau.

Die Angst vor den alten Machthabern regiert indes noch immer mit. Selbst der jetzige Präsident, der Sozialist Ricardo Lagos, geht immer nur zwei Schritte vorwärts und schnell einen wieder zurück. Darüber kann auch sein Motto "Es gibt kein Morgen ohne das Gestern" nicht hinwegtäuschen. So sollen die Namen der Folterer, die der Folterkommission vorliegen, in den nächsten 50 Jahren geheim gehalten werden. Richtern und Opfern sind damit die Hände gebunden, denn nach dieser Frist wird keiner der Henker mehr am Leben sein.

Nach jahrelanger Kleinstarbeit konnten Menschenrechtsorganisationen und einige engagierte Richter nun erste Erfolge verzeichnen. Über 350 Anklagen wurden inzwischen erhoben. Lücken im Amnestiegesetz führten jetzt zur Verurteilung der gesamten Führungsriege des Geheimdienstes dina - mit Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren wegen des Verschwindens des politischen Häftlings Miguel Angel Sandoval Rodríguez 1975. Und Pinochet selbst wird sich in mindestens drei Fällen verantworten müssen: Gegen ihn wird im im Fall der Operation Cóndor, die in ganz Südamerika die Verfolgung Oppositioneller koordinierte, im Fall des Mordes an General Prats, dem Ex-Kommandanten der chilenischen Armee unter Salvador Allende, sowie im Fall der Riggs-Bank-Konten in den usa ermittelt. Hier werden dem 89-Jährigen Bereicherung und Steuerhinterziehung vorgeworfen, überdies geht es um vermuteten Waffenhandel - vier falsche Pässe wurden schon gefunden.

Nur acht Verurteilungen

Skepsis ist freilich nach wie vor angebracht: Nur in acht der mehr als 350 Fälle kam es bislang zu Verurteilungen in erster Instanz; und nur 33 Anklagen sind überhaupt bis zur letzten Phase der Ermittlungen vorgedrungen.

Zwar ist es um Pinochet inzwischen sehr einsam geworden. Zu Weihnachten kamen nicht mehr wie gewohnt Generäle, Unternehmer und Politiker zu Besuch. Und auch die Pläne für den Todesfall des Ex-Staatschefs wurden, wie in den letzten 15 Jahren je nach seiner gesellschaftlichen Position häufig geschehen, erneut geändert: Weder Staatsehren noch nationale Trauer soll es demnach geben. Doch solange in Chile die Gesetze des alten Mannes gelten, wird sich das Land auch nicht aus den Fängen seiner Vergangenheit befreien.

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