Die H.-P.-Martin-Falle

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Das EU-Gehaltssystem gehört gegen Missbrauch geschützt. Aber nur weil Hans-Peter Martin jetzt diese richtige Forderung wiederholt, hat er noch lange nicht Recht.

Mein Nachbar will nicht zur EU-Wahl gehen. Und wenn er geht, sagt er, dann wählt er "den Abtrünnigen". Schon ist sie zugeschnappt, die Hans-Peter-Martin-Falle; mein Nachbar ist drin - und jeder, der ihm erklären will, wie wichtig die Wahlen zum EU-Parlament sind ("80 Prozent der Gesetze werden doch auf Unions-Ebene beschlossen!") und wie scheinheilig und wie kontraproduktiv die Hans-Peter-Martin-Kampagne ist, der steckt auch drin: in der HPM-Falle.

Niemand kann gegen ein missbrauchsgeschütztes Gehalts-, Spesen- und Reisekostensystem der Europaparlamentarier sein. Genausowenig kann aber jemand die Methoden und die dahinter steckende Absicht eines Hans-Peter Martin gutheißen: Fast fünf Jahre lang nützt er das Spesensystem extensiv zu seinem eigenen Vorteil aus; erst in den letzten Monaten seiner Amtszeit kommt er drauf, wie verwerflich diese Praxis und wie tief dieser EU-Spesensumpf doch sind - und plötzlich mutiert Martin zum Saubermann und bespitzelt und verleumdet andere, die mit ihm im EU-Parlament sitzen, mit dem alleinigen Ziel, Proteststimmen zu gewinnen, die ihn auch in der nächsten Legislaturperiode wieder ins EU-Parlament bringen.

Stimmt doch, oder? Trotzdem - in der HPM-Falle sitzend, ist solches Argumentieren zwecklos. Mein Nachbar sagt dann: "Ist eh alles das gleiche G'sindel, darum gehe ich ja nicht zur EU-Wahl" - oder er sagt: "Lieber spät als gar nie, wenigstens jetzt räumt er in Brüssel auf, der Martin." Gerade diese beiden Antworten wollte man eigentlich nicht hören - aber so funktioniert sie eben, die HPM-Falle.

Hans-Peter Martin hat erklärt, er werde einen sparsamen Wahlkampf führen. Deswegen verzichtet er darauf, "Kaugummis und Süßigkeiten" zu verteilen. Martin sagt aber nicht, dass er stattdessen dem Wahlvolk reichlich Sand in die Augen streut: Zuerst tut er so, als ob er als erster einen unglaublichen Skandal aufgedeckt hätte. Das stimmt nicht. Die unlauteren Möglichkeiten, die das EU-Reisekosten- und Spesen-System den "Optimierungsakrobaten" unter den Europaabgeordneten bietet, sind seit langem bekannt. Der Abrechnungsmodus steht seit Jahren am Pranger und wurde auch immer wieder - immer zuwenig - reformiert. Es hat schon einige HPMs gegeben: in den Niederlanden und auch in Österreich. Der grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber rennt seit 1995 gegen dieses Spesenregime an - und wurde dafür als "Verräter" beschimpft. Der entscheidende Unterschied zu Martin ist aber: Voggenhuber kämpft gegen das System und konnte auch Verbesserungen - immer zuwenig - erreichen. Martin hingegen zielt auf Einzelpersonen, ist ihnen nachgeschlichen, hat sie im Geheimen fotografiert, gefilmt, hat sie bespitzelt; und wenn er trotzdem nichts oder zuwenig Unrechtes finden konnte, dann hat er seine Kolleginnen und Kollegen ohne stichhaltige Beweise diskreditiert und ihren Ruf und den des EU-Parlaments in den Dreck gezogen.

Meinen Nachbarn interessiert das leider nicht. Er sitzt in der HPM-Falle. Da drin ist alles einfach, da gibt es Schwarz und Weiß, Gute und Böse, "uns" und "die in Brüssel". Außerhalb der Falle aber ist alles komplizierter, und es überwiegt das Grau.

"Ich bin in der eigenen Fraktion ins Sperrfeuer geraten", sagt VP-Abgeordnete Ursula Stenzel, die Spanier hätten sie "bekniet", nur nichts am Spesensystem ändern zu wollen. Und so wie Stenzel und anderen in der EVP ist es Hannes Swoboda und anderen in der SPE-Fraktion gegangen - auch dort gibt es Spanier, Portugiesen, Griechen, die ihr im Vergleich niedriges Grundeinkommen mit Spesengeldern auffetten wollen. Um aus der Malaise rauszukommen, hat der Europäische Rat im letzten Jänner ein einheitliches Gehaltsstatut vorgelegt. Und wer war dagegen? Unter anderem Österreich, weil die Kronen Zeitung dagegen mobil gemacht hatte: EU-Abgeordnete hätten um einen Bagatell mehr verdient als Nationalratsabgeordnete - das durfte nicht sein.

Trotz HPM und trotz Krone - das ganze EU-Besoldungssystem, nicht nur im Parlament, nicht nur vor den Wahlen, gehört reformiert. Auch auf die Gefahr hin, dass mein Nachbar in der HPM-Falle dann sagt: "Hat er ja doch was erreicht, der Martin."

wolfgang.machreich@furche.at

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