"Die imperiale Politik EINDÄMMEN"

19451960198020002020

Wie der Westen "den Kolonialismus systematisch und unbewusst fortsetzt": Kapitalismus-Kritiker Ulrich Brand stellt prägnante Thesen auf. | Das Gespräch führte Sylvia Einöder

19451960198020002020

Wie der Westen "den Kolonialismus systematisch und unbewusst fortsetzt": Kapitalismus-Kritiker Ulrich Brand stellt prägnante Thesen auf. | Das Gespräch führte Sylvia Einöder

Werbung
Werbung
Werbung

Warum überlagern sich lokal und global so viele Krisen - politisch, sozial und ökologisch? Ulrich Brand, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Wien, liefert in seinem neuen Buch "Imperiale Lebensweise" gemeinsam mit dem Berliner Markus Wissen schonungslose Antworten.

DIE FURCHE: Was genau verstehen Sie unter einer "imperialen Lebensweise"?

Ulrich Brand: Diesen neuen Begriff haben wir vor dem Hintergrund der enormen Spannungen eingeführt, dass es einerseits ein hohes Umweltbewusstsein gibt - man weiß über Klimawandel, Ressourcenknappheit, Naturausbeutung Bescheid - und andererseits tut sich sehr wenig. Auf der Suche nach Gründen nehmen wir als einen Faktor die imperiale Lebensweise an, die im Kern sagt, dass wir in unserem Alltag in den wohlhabenden Ländern schon seit dem Kolonialismus systematisch und unbewusst auf billige Ressourcen und billige Arbeitskräfte in anderen Weltregionen zurückgreifen, um hier so leben zu können. Es sagt ja niemand, "ich lebe eine imperiale Lebensweise", man will halt ein gutes Leben führen, mobil sein, etc. Den aufstrebenden Mittelschichten in den neuen Märkten wie China geht es auch darum, die imperiale Lebensweise zu reproduzieren. Die Menschen wollen ein Auto haben.

DIE FURCHE: Inwiefern ist denn die Politik der EU imperial?

Brand: Die EU-Ressourcenpolitik ist eine imperiale Politik, denn der EU geht es um die Sicherung des Zugangs zu fremden Ressourcen für die eigene Industrie. Die sollen auch noch günstig sein, Nachhaltigkeit steht nicht im Vordergrund, obwohl alle darüber reden. Die Ressourcenpolitik müsste stärker reglementiert werden. Und die EU tut noch immer so, als ob es um ein Wirtschaftswachstum per se ginge, dann schreibt man "grün" dazu. Das ist ein Motor der imperialen Lebensweise. Trumps "America first" heißt genauso, dass zuerst für den US-Wohlstand, der nicht in Frage gestellt werden darf, die Ressourcen gesichert werden sollen.

DIE FURCHE: So zerstörerisch die imperiale Lebensweise für viele Menschen und die Natur ist, so sehr stabilisiert sie die Verhältnisse dort, wo man von ihr profitiert.

Brand: Das ist der Widerspruch. Diese Stabilisierung zeigt sich etwa am Zugang zu Smartphones, die immer billiger und besser werden, weil sie in China von Billigkräften hergestellt werden. Gerade in Krisenzeiten, wenn die Verteilungsspielräume abnehmen, gibt es eine Ahnung in der Gesellschaft, dass ich in Niederösterreich noch immer besser lebe als 100 Kilometer weiter im Osten. Die Leute wissen, dass sie etwas zu verlieren haben. Und obwohl die imperiale Lebensweise hier stabilisierend wirkt, verschärft sie woanders die Krise.

DIE FURCHE: Durch Umweltkatastrophen, Dürren, etc. werden Umweltfragen zu nationalen Sicherheitsfragen. Was sagen die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen über die imperiale Lebensweise aus?

Brand: Die Fluchtursache hat oft mit der neokolonialen Weltordnung zu tun, die dazu führt, dass der Westen despotische Regime im Nahen Osten wie Syriens Diktator Assad oder auch Gaddaffi lange stützte. Auch die Ölstaaten sind nicht umsonst autoritär. Nicht nur, dass die Kontrolle des Erdöls in den Ländern enormen Reichtum für die Elite schafft, auch dem Westen ist es lieber, dass autoritäre Regime den Ölfluss sichern. Dazu kommt: Die syrischen Flüchtlinge wollen natürlich nach Westeuropa, wo sie erstmals eine gewisse Rechtssicherheit haben, die auch mit dem Wohlstandsniveau zusammenhängt.

DIE FURCHE: Sie schreiben im Buch, "die imperiale Lebensweise ist derzeit im Begriff, sich zu Tode zu siegen". Welche Bedrohung bzw. Chancen stecken in der Formulierung?

Brand: Die große Frage ist, wie man die imperiale Politik eindämmen kann. Ein erster Schritt wäre, TTIP zu verhindern. TTIP bedeutet mehr Welthandel, mehr Umweltzerstörung und mehr Kapital- und Machtkonzentration. Die Weltordnung ist ja nicht deshalb so, weil die Leute ihr Schnitzel essen wollen, sondern natürlich stecken da die Interessen multinationaler Konzerne wie Monsanto dahinter. Dennoch: Solange viele nicht darauf achten wollen oder können, dass sie mehr bezahlen, ist eine solidarische Lebensweise außer Reichweite. Es bräuchte attraktive Leitbilder und lebbare Veränderungen. Was hieße es etwa für die Stadt Wien, 2030 autofrei sein zu wollen?

DIE FURCHE: Das SUV-Fahren führen Sie als Ausdruck der imperialen Lebensweise an, ökologisch und auch die Klassen-und Geschlechterverhältnisse betreffend. Was symbolisiert der SUV für Sie?

Brand: Es ist ein Ausdruck von Klassenpositionen, Wohlstand und vermeintlicher Sicherheit - zumindest für die Insassen. Für die Radfahrer ist der SUV eine Gefahr, weil die Straßen nicht für so große Autos gebaut sind. Warum braucht man in der Stadt auch einen SUV? Es geht beim SUV auch um den Ausdruck einer sehr männlichen Position.

DIE FURCHE: Wie kommt man aus einem so machtvollen System wie dem globalen Kapitalismus je raus? Wie müsste ein alternatives Modell aussehen, das nicht zahnlos ist gegen den Turbo-Kapitalismus?

Brand: Der Kapitalismus und die Dominanz des Profitprinzips sind immer umkämpft. Bei Konflikten wie etwa rund um das geplante Mur-Kraftwerk in Graz oder um die dritte Startbahn am Flughafen Schwechat geht es um grundsätzliche gesellschaftliche Fragen: Wie verständigen wir uns über eine Lebensweise - ökonomisch, politisch, im Alltag? Alternative Nischen brauchen politische Unterstützung. Ein autofreies Wien braucht eine abgestimmte Infrastruktur-Politik. Und wir brauchen dringend einen solidarischen und ökologischen Konsum, und vor allem weniger Konsum. Es muss einem bewusst werden im Alltag, mit welchen Kaufentscheidungen man Billigjobs und Ressourcenraub fördert.

DIE FURCHE: Wenn man bei Saturn die Geräte-Palette vor sich hat, sind die Produktionsbedingungen im Toaster ja nicht mehr sichtbar.

Brand: Genau. Die Menschen machen die Erfahrung: "Hoppla, das Gerät wird jedes Jahr günstiger - und nicht teurer!" Und in der Werbung wird damit Freiheit suggeriert: "Im Arbeitsalltag im Büro musst du gehorchen, du wirst unterworfen, und dann hast du am Samstag 'die große Wahlfreiheit' im Elektromarkt."

DIE FURCHE: Ist das viel teurere, ökologische Modell nicht ein Privileg der Eliten?

Brand: Ja. Aber statt das teurerer Modell zu kaufen könnte man ja auch versuchen, das alte zu reparieren. Warum gibt es kein Bewusstsein dafür, gerade unter den Ärmeren?Auch für die Mittelklasse sollte es hip sein, einen Kurzurlaub in Österreich zu machen, und nicht zu fliegen. An den Bildern von Prestige muss gearbeitet werden. Und Herr Kern muss in die Schranken gewiesen werden, wenn er meint, die Flugticketabgabe müsse halbiert werden. Fliegen muss teurer werden. Die Armen fliegen sowieso nicht.

DIE FURCHE: Sie arbeiten an der Frage: Welche Wohlstandsmodelle sind ressourcenleicht?

Brand: Da kommt man schnell an Machtfragen, muss Supermärkte wie Billa oder Konzerne wie Raiffeisen in Frage stellen und andere Formen der gesellschaftlichen Produktion schaffen. Ich gehe nicht in die Ökofalle, die sagt, der Konsument soll's richten, sondern die Lebensweise und die Produktionsweise müssen sich ändern.

DIE FURCHE: Auf welches Szenario sehen Sie die Welt zusteuern, wenn es die nächsten Jahrzehnte im imperialen Stil weitergeht?

Brand: Es wird zu einem dramatischen Anstieg von Ressourcenkonflikten kommen. Das könnte zu einer Spaltung der Welt führen. In den reichen Ländern gibt es genug Ressourcen, sich die negativen Effekte vom Leib zu halten, durch Staudämme in Holland oder Schneekanonen in den Alpen. Betroffen sind vor allem die Ärmsten im globalen Süden. Positiv ist, dass es bereits Auseinandersetzungen bis in die staatlichen Institutionen und Unternehmen gibt, dass wir aus bestimmten Logiken wie etwa "Profit um jeden Preis" oder "Ressourcen um jeden Preis" aussteigen müssen.

Imperiale Lebensweise

Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus

Von Ulrich Brand und Markus Wissen, oekom Verlag 2017.

224 Seiten, brosch., € 14,95

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung