Die iranische Bedrohung

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Der Linguist Noam Chomsky gilt seit den 60er-Jahren als scharfer Kritiker der US-Außenpolitik. Nun verurteilt er das Vorgehen der USA gegen den Iran und fordert eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten.

Mehrere renommierte Analysten schildern die angebliche iranische Bedrohung in einer geradezu apokalyptischen Begrifflichkeit. So warnt Amitai Etzioni: „Die USA müssen den Iran konfrontieren oder den Mittleren Osten aufgeben“ – darunter ginge es nicht. Falls das Atomprogramm des Iran Fortschritte mache, so betont Etzioni, würden sich die Türkei, Saudi-Arabien und weitere Staaten auf die neue iranische „Supermacht zubewegen“. Etwas weniger aufgeregt könnte man es auch so formulieren: Vielleicht würde sich ein regionales Bündnis herausformen, das unabhängig wäre von den USA. Im amerikanischen Armeejournal Military Review drängt Etzioni auf einen Angriff der USA: „Eine Militäraktion dieser Art wäre das Gleiche wie Sanktionen – (sie würde) ‚Schmerzen‘, mit dem Ziel einer Verhaltensänderung, verursachen – allerdings durch sehr viel mächtigere Mittel“, so Etzioni.

Welche Bedrohung?

Lassen wir die grauenhafte Sprache einmal beiseite und fragen uns: Worin besteht die Bedrohung durch den Iran eigentlich? Eine maßgebliche Antwort liefert eine Studie des „International Institute of Strategic Studies“ vom April 2010. Sie trägt den Titel: ‚„Military Balance 2010“. Die Studie stellt klar, dass vom Iran keine militärische Gefahr ausgeht. Die iranischen Militärausgaben seien „relativ niedrig – im Vergleich zu denen der restlichen Region“ – und betragen nur zwei Prozent dessen, was Amerika in dieser Hinsicht ausgibt. Die iranische Militärdoktrin sei strikt „defensiv ... darauf abzielend, eine Invasion abzubremsen und bei Hostilitäten diplomatische Lösungen durchzusetzen“. Der Iran sei „nur eingeschränkt fähig, jenseits seiner Grenzen Gewalt einzusetzen“. Was die nuklearen Möglichkeiten des Iran angeht, heißt es in der oben erwähnten Studie: „Das iranische Atomprogramm und der Wille (des Iran), sich die Möglichkeit offen zu halten, Atomwaffen zu entwickeln, sind ein zentraler Bestandteil seiner Abschreckungsstrategie.“

Der Iran stellt also keine militärische Gefahr dar. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass Washington ihn tolerieren kann. Mit seinem Abschreckungspotenzial übt der Iran eine illegitime Souveränität aus, die den globalen Zielen der USA in die Quere kommt. Vor allem gefährdet es die Kontrolle der USA über die Energieressourcen des Mittleren Ostens – denen (US-)Planer schon seit dem Zweiten Weltkrieg hohe Priorität einräumen.

Unterstützung des Terrors

Was die Verbrechen des Iran angeht, so heißt es in der oben genannten Studie weiter, der Iran unterstütze den Terrorismus, indem er den wichtigsten politischen Kräften (falls Wahlen überhaupt zählen) im Libanon und in Palästina – nämlich Hisbollah und Hamas – den Rücken stärke. Bei den letzten allgemeinen Wahlen im Libanon (2009) konnte das Bündnis rund um die Hisbollah einen bequemen Sieg einfahren. Die Hamas gewann 2006 die Wahlen in Palästina. Es war die einzige relativ freie Wahl in der arabischen Welt. Man wirft der Hamas vor, Raketen auf israelische Grenzsiedlungen abzufeuern. Das sind zweifellos kriminelle Akte. Allerdings entsprechen sie nur einem Bruchteil dessen, was Israel Gaza an Gewalt antut (von anderen Orten ganz zu schweigen).

Innerhalb der muslimischen Welt stellt die Türkei das Demokratiemodell dar - wenngleich mit ernsthaften Mängeln behaftet. Die Wahlen in der Türkei sind relativ frei. Die Türkei wurde und wird von den USA harsch kritisiert. Etwa als sie, gemeinsam mit Brasilien, einen Deal mit dem Iran arrangierte, mit dem Ziel, die iranische Urananreicherung einzuschränken. Obama hatte diese Initiative in einem Brief an den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva gelobt – offensichtlich in der Annahme, sie würde scheitern. Als die Initiative allerdings erfolgreich war, rasten die USA vor Zorn und beeilten sich, die Initiative zu untergraben. Es war deshalb nicht überraschend, dass die Türkei (und Brasilien) im Sicherheitsrat gegen die US-Sanktionen stimmte.

Vor Kurzem trafen sich Vertreter des Iran und Pakistans in der Türkei und unterzeichneten ein Abkommen über eine neue Pipeline. Noch mehr beunruhigen dürfte die USA allerdings die Tatsache, dass diese Pipeline bis nach Indien führen könnte. 2008 unterzeichneten die USA mit Indien einen Vertrag, in dem die USA eine Förderung des indischen Atomprogramms – und indirekt auch des indischen Atomwaffenprogramms – zusagen. „Damit wollte Amerika erreichen, dass Indien sich nicht an eben dieser Pipeline beteiligt“, meint Moeed Yusuf vom „United States Institute of Peace“.

Indien und Pakistan sind zwei von drei Atommächten (die dritte ist Israel), die sich weigern, dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) beizutreten. Alle drei haben ihre Atomwaffen mit amerikanischer Unterstützung entwickelt – und diese Unterstützung dauert weiter an. Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand wünscht sich, dass der Iran Atomwaffen entwickelt – oder irgend ein anderes Land. Ein offensichtlich möglicher Weg, um diese Gefahr zu reduzieren oder gar zu eliminieren, wäre die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Der Westen – einschließlich die USA – hatte einer solchen Zone bereits 1995, auf der damaligen Review-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag, zugestimmt.

Atomwaffenfreie Zone Nahost

Auf der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag sagte US-Außenministerin Hillary Clinton allerdings, die Zeit für eine solche Zone sei noch nicht reif. Gleichzeitig bestand Washington darauf, dass kein Antrag, der von Israel verlangt, sein Atomwaffenprogramm unter die Aufsicht der Internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde (IAEA) zu stellen, zu akzeptieren sei. Ebenso wenig akzeptabel sei ein solcher Antrag, wenn er an die Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages (vor allem aber an die USA), appelliere, Informationen über „Israels Atomanlagen und -Aktivitäten, einschließlich Informationen über Atomlieferungen an Israel, die in jüngster Zeit erfolgten“, preiszugeben.

Zur gleichen Zeit rief Yukiya Amano, Chef der Internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde (IAEA), die Außenminister der 151 Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre Meinung zu sagen, wie man eine Resolution zustande bringen könne, die Israel dazu auffordert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und seine Nuklearanlagen für die Inspektionen der IAEA zu öffnen.

Wenig berichtet wird allerdings darüber, dass die USA und Großbritannien bereits die Sonderverpflichtung eingegangen sind, sich für die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen/Mittleren Osten einzusetzen. Das war vor dem Irak-Einmarsch 2003. Beim Versuch, den Einmarsch - notdürftig – legal abzusichern, beriefen sie sich auf die Sicherheitsratsresolution 687 aus dem Jahr 1991, mit der der Irak zur Beendigung der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen aufgefordert wurde. Gleichzeitig verpflichtet die Resolution alle Unterzeichner dazu, sich für eine Atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten einzusetzen.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass die Atomwaffenfreie Zone, die von der Afrikanischen Union eingerichtet wurde, untergraben wird, indem die USA trotzig auf die Stationierung von Atomwaffen auf der Insel Diego Garcia beharren. Ebenso blockiert Amerika eine solche Zone im Pazifik, weil es seinen „Dependance“-Inseln nicht gestattet, bei einer solchen Zone mitzumachen. Obamas rhetorische Verpflichtung zur atomaren Abrüstung wurde gelobt – er bekam sogar den Friedensnobelpreis. Ein praktischer Schritt in diese Richtung wäre die Einrichtung von Atomwaffenfreien Zonen. Eine weitere Option wäre die Streichung der Unterstützung für die Atomprogramme jener drei Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben (Israel, Pakistan, Indien).

Anstatt die eigentliche, große Gefahr (Weiterverbreitung von Atomwaffen) mit praktischen Schritten zu verringern, unternehmen die USA große Schritte, um ihre Kontrolle über die vitalen, Öl produzierenden Regionen im Mittleren Osten zu verstärken. Und wenn kein anderes Mittel hilft, werden sie es mit Gewalt tun. Sie müssen es tun. Das ist verständlich und sogar sinnvoll – vorausgesetzt, man glaubt an die vorherrschende Imperialdoktrin.

* Übersetzung: Andrea Noll

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